„Mit Atomkraft produzierter Wasserstoff ist ‚CO2-arm’“

EU-Kommission: Violetter Wasserstoff umweltfreundlich

Die Europäische Kommission wird aus Atomkraft erzeugten Wasserstoff als „CO2-arm“ betrachten, erklärte eine hochrangige EU-Beamtin am 16.11.2020 vor dem EU-Parlament: „Die Elektrolyse kann mit erneuerbarer Elektrizität durchgeführt werden. Dann wird der Wasserstoff als erneuerbar eingestuft,“ so Paula Abreu Marques, Leiterin des Referats für erneuerbare Energien und CCS-Politik in der Direktion Energie der EU-Kommission einem Bericht von Kyra Taylor für euractiv folgend. Würden die Elektrolyseure allerdings mit Atomstrom betrieben, sei ihr Produkt als „CO2-armer Wasserstoff einzustufen“, belehrte Abreu die EU-Abgeordneten im Umweltausschuss.

Diese Klarstellung der Europäischen Kommission war offenbar notwendig, denn in der Wasserstoffstrategie der EU, die im Juni dieses Jahres vorgestellt worden war, wird Atomkraft nicht erwähnt. Bei der Nutzung von Kernenergie zur Wasserstofferzeugung wird das Endprodukt als „violetter Wasserstoff“ bezeichnet. Sie bietet den Vorteil niedrigerer CO2-Emissionen im Vergleich zur Elektrolyseprodukt per Erdgas, dem sogenannten grauen Wasserstoff. Letzterer ist derzeit am weitesten verbreitet.

Als die Kommission ihre Wasserstoffstrategie vorstellte, führte sie das Konzept des „sauberen Wasserstoffs“ in Bezug auf Herstellungsverfahren ein, bei denen Erneuerbare Elektrizität verwendet wird. Diese Art der Wasserstoffproduktion soll innerhalb der EU klare Priorität haben. Weiter heißt es im Gesetzestext: „CO2armer Wasserstoff umfasst fossilen Wasserstoff mit CO2-Abscheidung und strombasierten Wasserstoff, bei dem die über den gesamten Lebenszyklus entstehenden Treibhausgasemissionen erheblich geringer sind als bei der derzeitigen Wasserstofferzeugung.“

Atomkraft wird hingegen nicht genannt, obwohl diese vielfach – ungeachtet ihrer anderen Risiken –  als CO2-arm angesehen werden kann.

Energieintensiver Wasserstoff: 95 % aus Erdgas-Elektrolyse – 1 Kilo H2 – 10 Kilo CO2

Wasserstoff wird als Mittel zur Dekarbonisierung von Schwerindustrien wie der Chemie- und Stahlindustrie oder des Fernverkehrs wie der Luft- und Schifffahrt gesehen. Die Verfahren zu seiner Herstellung selbst sind jedoch recht energieintensiv und ineffizient. Derzeit werden rund 95 Prozent des Wasserstoffs per Pyrolyse (auch mit Dampfreformierung) von Erdgas hergestellt. Laut dem französischen Energieversorger EDF emittiert die Herstellung von 1 kg Wasserstoff dabei aber 10 kg CO2. Pläne zur Verwendung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (carbon capture and storage, CCS oder aber CCU – Utilization) zur Verringerung der Emissionen befinden sich noch in der Entwicklung.

In ihrer neuen, sieben Milliarden Euro schweren nationalen Wasserstoffstrategie kündigt die französische Regierung an, „kohlenstoffarme“ Quellen nutzen zu wollen. Atomkraftwerke als Energiequelle für die Elektrolyse dürften also genutzt werden. Deutschland hingegen hat angekündigt, insbesondere „grünen“ Wasserstoff aus erneuerbaren Energien wie Offshore-Wind zu produzieren. (Mehr zur „Wasserstoff-Farbenlehre“ hier: solarify.eu/wasserstoff-farbenlehre)

Die Forschung im Bereich der Kernkraft zur Wasserstofferzeugung hat in letzter Zeit an Dynamik gewonnen.

  • Anfang des Jahres teilte EDF mit, man hege Pläne für die Erzeugung von Wasserstoff mit Energie aus britischen Kernkraftwerken. Ein von der Gruppe angeführtes Konsortium erklärte, dies würde einen erheblichen Teil des prognostizierten Energiebedarfs des Landes decken.
  • In den Vereinigten Staaten hat die Regierung bereits 2003 die „Nukleare Wasserstoff-Initiative“ ins Leben gerufen, in der detailliert beschrieben wird, wie Kernkraftwerke durch die Produktion von Wasserstoff als zweite Einnahmequelle zu „hybriden Energiesystemen“ werden könnten.
  • Die Europäische Kommission wünscht sich ihrerseits, dass sauberer Wasserstoff eine Ergänzung zu einer auf erneuerbaren Energien basierenden Energiewirtschaft wird, betonte Abreu. Die EU-Exekutive geht davon aus, dass sauberer Wasserstoff bis 2050 rund 24 Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken könnte. Man wolle die Installation von Wasserstoff-Elektrolyseure mit Kapazitäten von mindestens 6 GW zur Erzeugung von bis zu einer Million Tonnen Wasserstoff unterstützen. Bis 2030 soll diese Kapazität auf 40 GW steigen und spätestens 2050 in großem Maßstab eingesetzt werden.

Unterschiedliche Meinungen

Wie sauber Wasserstoff ist, hängt in jedem Fall von der Energiequelle ab, mit der er hergestellt wird. Während der Debatte im Umweltausschuss des Parlaments sprachen sich die grünen Europaabgeordneten klar für erneuerbaren Wasserstoff („grün“) gegenüber dem derzeit am meisten verwendeten Erdgas („grau“) aus. „Wir haben noch viel zu tun, um sicherzustellen, dass wir uns mit unserer Strategie nicht selbst ins Knie schießen. Wir dürfen nicht zulassen, dass dies zu einer „Greenwashing“-Aktion wird, die uns in eine weitere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen führt,“ warnte der schwedische Grünen-Abgeordnete Pär Holmgren.

Die deutsche CDU-Abgeordnete Hildegard Bentele, Berichterstatterin über die EU-Wasserstoffstrategie, sprach sich für Wasserstoff im Allgemeinen aus und betonte, dieser verspreche ein nachhaltigeres Energiesystem: „Wir müssen die Möglichkeiten des Wasserstoffs so schnell wie möglich nutzen, um uns selbst den Weg zur Klimaneutralität zu erleichtern.“ Sie warnte jedoch, dass es Zeit brauchen werde, die Produktion hochzufahren und Finanzierungsmechanismen einzurichten, um den Prozess zu beschleunigen.

Der Sozialdemokrat (S&D) Tiemo Wölken, ebenfalls deutscher Europaabgeordneter, warnte hingegen, vor Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Darüber hinaus sei die Nutzung von Kernenergie oder gar Kohle zur Wasserstofferzeugung keine gute Alternative.

Demgegenüber sprach sich Alexandr Vondra, konservativer tschechischer Europaabgeordneter (EKR), für den sofortigen Ausbau der Wasserstoffproduktion aus, auch durch weiteren Einsatz von Erdgas: „Die Verwendung von aus Erdgas hergestelltem Wasserstoff kann gewichtige Vorteile haben. Er kann lokal produziert werden, wodurch die ökologischen und finanziellen Kosten des Transports vermieden werden können.“ Vondra glaubt auch: „Außerdem kann dies bei einer [sozial] gerechten Energiewende helfen: Sie können die gleichen Leute weiter beschäftigen, die bereits bei den Unternehmen für fossile Brennstoffe arbeiten.“

Solarify merkt an: Dass Atomenergie CO2-frei sei, ist als Mär entlarvt (siehe: nature.com/s41560-020-00696-3.epdf), auch wenn das von ihren Verfechtern immer wieder behauptet wird. Schon deshalb ist die „CO2-Armut“ von Atomstrom-Wasserstoff im besten Fall relativ zu sehen.

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