Präsident Biden sollte es das nennen, was es ist: „Klimanotstand“

William J. Ripple am 28.01.2021 in der Seattle Times zum Klimawandel

Mehr als vielleicht jeder andere Präsident in der Geschichte unserer Nation hat Joe Biden durch Worte und Taten seine Absicht zum Ausdruck gebracht, den Klimawandel als die globale Krise zu behandeln, die er wirklich ist. Und während so viele Wissenschaftler wie ich bereit sind, diesen Kampf in unseren eigenen Einflussbereichen fortzusetzen – seien sie wissenschaftlich, akademisch oder sozial – brauchen wir dringend eine Führungspersönlichkeit, die den Klimaschutz auf nationaler, politischer Ebene vorantreibt. Genau hier brauchen wir Biden.

Bei Da Nang 2009: durch den Taifun Ketsana an den Strand geschwemmtes Schiff – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Schon gefährlich lange hat unser Land in diesem Bereich Richtung vermissen lassen und die Amerikaner den immer verheerenderen Auswirkungen der mit dem Klimawandel verbundenen Ereignisse ausgeliefert. Allein im letzten Jahr haben wir rekordverdächtige Hitzewellen, außergewöhnliche Waldbrände, zahlreiche tropische Stürme, starke Hurrikane und ausgedehnte Überschwemmungen erlebt. Das Rote Kreuz sagt jetzt, dass der Klimawandel für die Menschheit viel gefährlicher ist als die COVID-19-Pandemie und stellt fest, dass es nie einen Impfstoff gegen den Klimawandel geben wird. Trotz alledem hat es die nationale Regierung versäumt, die Ursachen dieser Katastrophen adäquat anzugehen.

Diese Apathie ist nicht neutral, sie ist aktiv schädlich für unseren Planeten und seine Bewohner. Uns läuft die Zeit davon, während wir auf eine politische Führungspersönlichkeit gewartet haben, deren Rhetorik die Schwere der Klimakrise widerspiegelt, aber noch mehr auf jemanden, der seiner Rhetorik auch Taten folgen lässt. Es ist immer noch ungewohnt, den Begriff „Klimanotstand“ von politischen Entscheidungsträgern zu hören, obwohl wir Wissenschaftler den Begriff absichtlich verwenden, um die Krise, mit der die Menschheit jetzt konfrontiert ist, zutreffend zu beschreiben. Es ist entscheidend, dass auch die Sprache der Regierung Biden die Schwere dieser Krise widerspiegelt – der erste Schritt auf dem langen Weg des Handelns, der vor uns liegt.

15.000 Weltwissenschaftler warnten schon mehrmals

Ich bin der Hauptautor der „World Scientists‘ Warning of a Climate Emergency“, die mehr als 11.000 Wissenschaftler aus 156 Ländern unterzeichnet haben (siehe: solarify.eu/forscher-warnen-vor-klimanotstand). Viele dieser Unterzeichner sind Mitglieder der Allianz der Weltwissenschaftler. In diesem Papier schlagen wir sechs transformative Schritte für den Klimaschutz vor (die kürzlich von Vordenkern diskutiert wurden) und beschreiben die „moralische Verpflichtung, die Menschheit deutlich vor einer katastrophalen Bedrohung zu warnen und zu sagen, wie es ist.“ Wir haben den Begriff „Klimanotstand“ gewählt, weil die Sprache sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik wichtig ist.

Der Klimanotstand verursacht bereits jetzt Konflikte und Leid auf der ganzen Welt, und wir sind nicht die einzigen, die eine ebenso dringende Antwort fordern. Bis heute haben 1.864 Gemeinden auf der ganzen Welt den Klimanotstand ausgerufen, die mehr als 820 Millionen Menschen in 33 Ländern vertreten. 2019 hat die Europäische Union den Klimanotstand ausgerufen (siehe: solarify.eu/klimanotstand-in-europa-ausgerufen). Kürzlich forderte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, alle Nationen auf, diesem Beispiel zu folgen. Ich fordere nun, dass wir entsprechend handeln.

Ähnlich wie Amerikas eigene Regierung ist auch der Klimawandel eine Angelegenheit des Volkes. Und während Biden die Führung übernehmen muss, um unser Land zu einer Lösung zu bewegen, braucht er politisch nicht allein zu handeln. Mitglieder sowohl des Repräsentantenhauses als auch des Senats haben bereits Resolutionen eingebracht, die einen „Klima-Notstand“ ausrufen. Ich fordere Präsident Biden auf, sich den 103 Unterstützern im Repräsentantenhaus und den acht Unterstützern im Senat anzuschließen, um zu handeln und diese Bemühungen zu unterstützen. Mir ist klar, dass eine Resolution des Kongresses angesichts der andauernden Parteienstreitigkeiten und Patt-Situationen schwierig sein könnte. In diesem Fall muss Biden trotzdem voranschreiten. Er könnte zum Beispiel den Schutz natürlicher Ökosysteme sicherstellen, die große Mengen an Kohlenstoff binden, wie der Tongass National Forest in Alaska.

Präsidentiale Exekutivbefugnisse erlauben Verwendung von Militärgeldern

Wenn der Kongress nicht bereit ist, Gelder für massive Klimaschutzmaßnahmen zu bewilligen, sollte Biden zügig seine Exekutivbefugnisse ausschöpfen. Selbst wenn Überparteilichkeit ideal sein mag, ist die Zeit für unseren Planeten jetzt von entscheidender Bedeutung. Wenn der Präsident eine Durchführungsverordnung erlassen würde, die einen nationalen Klimanotstand unter dem National Emergencies Act erklärt, würde dies die Verwendung von Militärgeldern erlauben, um unsere Nation schnell in Richtung erneuerbare Energien zu bewegen.

Obwohl wahrscheinlich durch gerichtliche Auseinandersetzungen verzögert, könnte Biden auch das Ölexportverbot wieder in Kraft setzen oder mit dem Ausstieg aus den Offshore-Bohrungen beginnen. Dies könnte mit dem Aufbau einer klimafreundlichen Infrastruktur einhergehen, die einige der von ihm versprochenen hochbezahlten Arbeitsplätze schaffen würde. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass die Umgehung des Kongresses auch Nachteile mit sich bringt, bin ich mir sicher, dass ein schnelles Handeln des Präsidenten in dieser Situation unerlässlich ist. Meiner Meinung nach hat es vielleicht noch nie einen dringenderen nationalen Notfall gegeben als den Klimawandel. Die Klimakrise ist eine Bedrohung unserer Sicherheit sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene; diese Bedrohungen rechtfertigen sicherlich den Einsatz der weitreichenden Befugnisse, die das Gesetz für nationale Notfälle bietet. Ich bin zuversichtlich, dass Biden vor Gericht obsiegen wird, wenn er angefochten wird, da der frühere Präsident Trump vor dem Obersten Gerichtshof den nationalen Notstand für eine polarisierende und weniger dringende Grenzmauer ausgerufen hat.

Bidens Sprache entscheidend

Die wissenschaftliche Gemeinschaft zählt auf Präsident Biden – seine neugefundene Führung unseres Landes erfordert Maßnahmen, egal auf welchem Weg. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hat er kühn Ausführungsverordnungen erlassen, um dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten und die Keystone XL-Pipeline zu stoppen. Jetzt, wo er in der Lage ist, diese Macht in einer kontextbezogenen Weise zu nutzen, bitte ich ihn inständig, den Begriff „Klimanotstand“ zu verwenden, wann immer er über die Klimakrise spricht; nur so kann er unsere Realität angemessen vermitteln. Die Verwendung des Begriffs, wenn es um seine Pläne zum Klimawandel geht, wäre ein großer Schritt nach vorn. Als Präsident werden seine Sprache, seine Handlungen und seine Führung in den kommenden Jahren entscheidend sein, um den Klimanotstand anzugehen, um uns zu retten und eine bessere Zukunft für Amerika und die gesamte Menschheit zu sichern.

William J. Ripple ist Lehrstuhlinhaber an der Oregon State University und Direktor der Alliance of World Scientists mit 25.000 Mitgliedswissenschaftlern in 180 Ländern. Ripple war Hauptautor der am 13.11.2017 veröffentlichten und von 15.364 Wissenschaftlern aus 184 Ländern mitunterzeichneten „Global Scientists‘ Warning to Humanity: A second Notice“. Der Aufruf fordert: „Um weitverbreitetes Elend und einen katastrophalen Verlust der biologischen Vielfalt zu verhindern, muss die Menschheit eine ökologisch nachhaltigere Alternative zum Business as usual praktizieren.“ 2020 leitete Ripple The World Scientists‘ Warning of a Climate Emergency, in dem er mit mehr als 11.000 wissenschaftlichen Mitunterzeichnern aus 153 Ländern erklärte, dass „der Planet Erde vor einem Klimanotstand steht“ und sechs Schritte zur Vermeidung der schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels vorstellt.

->Quelle: