Weitere Klagen gegen RWE-E.ON-Fusion

„Verheerende Folgen für intakten Wettbewerb im liberalisierten Energiemarkt“ möglich

Die Freigabe der Fusion von RWE und E.ON durch EU-Kommission und Bundeskartellamt (BKartA) 2019 wird – so die Energie-Kanzlei Büttner-Becker-Held (BBH) am 01.02.2021 in ihrem Blog – „das Gesamtgefüge des deutschen Energiemarkts nachhaltig verändern und kann verheerende Folgen für den intakten Wettbewerb im liberalisierten Energiemarkt haben“ (siehe auch BBH-Blog vom 28.08.2019). Eine Reihe von Unternehmen hatte – begleitet durch Becker Büttner Held – deshalb bereits im Mai 2020  vor dem Europäischen Gericht (EuG) auf Nichtigkeit geklagt. Nun hat die Frankfurter Mainova zusammen mit weiteren zehn Energieversorgern eine zweite Nichtigkeitsklage beim EuG eingereicht. Der VKU unterstützt die Klage.

Kohlekraftwerk der Mainova, Frankfurt am Main – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Erste Klagerunde

EU und Bundeskartellamt hatten die Fusion ohne „substanzielle, wettbewerbssichernde Zusagen“ (BBH) der Konzerne freigegeben. Die erste Klagerunde richtete sich 2020 gegen die „ohne vertiefte Prüfung erteilte“ Erlaubnis, dass RWE und E.ON ihre konventionelle und regenerative Stromerzeugung bei RWE bündeln wollten, flankiert durch die Billigung des BKartA zum Einstieg von RWE bei E.ON (mit 16,67 % bei weitem größter Einzelaktionär). Die Bundesregierung war in dem Rechtsstreit der Kommission (und damit indirekt den Fusionsparteien) zur Seite gesprungen, was nicht nur im Bundestag die Frage nach seiner politischen Dimension aufwarf. Die Regierung nannte als Begründung, sie habe „einen Streitbeitritt auf Seiten der Europäischen Kommission – nicht auf Seiten der genannten Unternehmen – beantragt“, weil „die Verfahren grundsätzliche Fragen der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden im Bereich der Fusionskontrolle berühren“.

Zweite Klagerunde

Die neue Klagerunde betrifft einen weiteren Teil des „eng verknüpften, zum Wohle beider Seiten gründlich austarierten Gesamtgeschäfts“ (BBH): die Übertragung von innogy mitsamt Vertrieb, Netz und innovativem Geschäft von RWE auf E.ON.

BBH: „Die Fusion von E.ON und RWE stellt den Energiemarkt grundlegend auf den Kopf, und zwar auf der gesamten Wertschöpfungskette, so die Auffassung der Kläger. Sämtliche wesentlichen Erzeugungsassets liegen zukünftig bei RWE, die sowohl in der konventionellen als auch in der Erneuerbaren-Erzeugung die Nr. 1 in Deutschland (geworden) sind. Im Bereich Netze, Vertrieb und innovatives Geschäft wird die Marktmacht bei E.ON weiter gebündelt.“

Es komme zu einer im liberalisierten Energiemarkt so noch nie dagewesenen Konzentration von Marktmacht. Habe die Kommission den Sachverhalt etwa nicht umfassend genug geprüft? Oder die Folgen schlicht unterschätzt? Im Bereich Erzeugung sei „die Kommission im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens jedenfalls nicht in die vertiefte Prüfung (die sogenannte Phase II) eingestiegen. Den Bereich Netze, Vertrieb und innovatives Geschäft gab die Kommission wiederum – immerhin in Phase II – mit nur sehr marginalen Auflagen frei“.

Folgt das EuG den Klägern, „werden die Freigabeentscheidung(en) der Kommission zurückgenommen. Die Kommission muss die Fusion dann unter aktuellen Marktverhältnissen erneut prüfen, wäre aber je nach rechtlicher Bewertung und Maßgabe des Gerichts unter Umständen daran gehindert, das Vorhaben unverändert freizugeben. Das hieße letztlich, die Fusion wäre – gegebenenfalls in Teilen – rückgängig zu machen.“

Mainova +10: Bedenken wegen wettbewerblicher Auswirkung

Am 29.01.2021 hat die Mainova gemeinsam mit weiteren zehn Energieversorgern eine zweite Nichtigkeitsklage beim EuG gegen den Zusammenschluss von RWE und E.ON eingelegt. Der VKU unterstützt die Klage. Die Mainova und die Zehn wollen laut eigenen Angaben den faktischen Wegfall des Wettbewerbs zwischen den beiden größten deutschen Energieversorgern RWE und E.ON nicht hinnehmen. Die Aufteilung des Energiemarktes zwischen zwei Unternehmen sei schädlich für den Wettbewerb und die Verbraucher. „Durch die gleichzeitige Beteiligung von RWE an E.ON kann zusätzlich Einfluss auf die immer bedeutender werdende Vermarktung von erneuerbar erzeugtem Strom genommen und dieser dem wettbewerblichen Vertrieb durch andere Versorger vorenthalten werden“, sagte der Mainova-Vorstandsvorsitzende Constantin H. Alsheimer.

Nachdem sich Mainova bereits im Mai 2020 gegen die Bündelung sämtlicher Erzeugung bei RWE wandte, greift die heute beim EuG eingereichte Nichtigkeitsklage den zugunsten von E.ON verabredeten Zuschlag der Wertschöpfungsstufen Vertrieb, Netz und innovatives Geschäft an. Damit liegen insgesamt (mindestens) 22 Nichtigkeitsklagen beim Europäischen Gericht in Luxemburg.

Die Nichtigkeitsklage richtet sich gegen die Großfusion von RWE und E.ON, mit der die beiden ehemaligen Rivalen auf Augenhöhe den deutschen Energiemarkt unter sich aufteilen und jeglichen Wettbewerb untereinander einstellen. RWE wurde exklusiv die Wertschöpfungsstufe Erzeugung mit allen wesentlichen E.ON-Assets in diesem Bereich zugeschlagen, was die Kommission gebilligt und die Klägerin zusammen mit weiteren zehn Unternehmen bereits mit einer separaten Nichtigkeitsklage vom 27.05.2020 angegriffen hat.

Im Gegenzug erhielt E.ON mit der ehemaligen RWE-Tochter Innogy die Wertschöpfungsstufen Vertrieb, Netz und innovatives Geschäft. Auch dies billigte die Kommission. Diese Freigabe greift die Klägerin, wie zehn andere Unternehmen des Energiemarktes auch, mit der heutigen Klage an. Abgesichert wird diese Demarkation des Energiemarktes insbesondere durch die Überlassung von E.ON-Anteilen an RWE, mit der diese maßgeblichen Einfluss vor den Aktionären der E.ON erhält.

Alsheimer: „Mit dem RWE-E.ON Deal entsteht ein anorganisch gewachsenes Oligopol aus nationalen Champions mit marktdominanter Stellung. Allein für E.ON sind damit immense Vorteile aufgrund der dann hohen Kundenzahl, des enormen Netzbesitzes und der starken Einkaufsmacht verbunden. Zudem wird durch die gleichzeitige Beteiligung von RWE an E.ON darüber hinaus eine gewaltige, gemeinsame Erzeugungs- und Vertriebseinheit geschaffen. Diese Transaktion, bei der künstlich geschaffene und miteinander verflochtene Konzerne entstehen, konterkariert den fairen Wettbewerb und die Liberalisierung des Energiemarktes. Die Folgen sind erhebliche Nachteile für die lokalen und regionalen Energieversorger und vor allem für den Verbraucher.“

Was aus Sicht der Fusionsparteien ein Befreiungsschlag aus der Bedrängnis war, in die beide Unternehmen durch den Atom- und Kohleausstieg geraten waren, ist ein empfindlicher Rückschritt für den Wettbewerb. Er birgt große Gefahren insbesondere für die deutschen Endverbraucher von Strom und Gas. Die von der Kommission freigegebene Fusion darf keinen Bestand haben.

Mainova hat – ebenso wie eine Reihe weiterer Unternehmen, Verbände und Personen – das Vorhaben von Anfang an kritisch verfolgt und ihre Bedenken gegen die von RWE und E.ON verabredete Neuaufteilung des deutschen Energiemarktes, das Schaffen zweier nationaler Champions zu Lasten des Mittelstandes und den Verlust der Liberalisierung des Energiemarktes vorgetragen. Die Nachteile für den Wettbewerb und damit für alle Verbraucher sind nicht akzeptabel. Das jeweilige Ziel der insgesamt 22 Nichtigkeitsklagen ist es, die Freigaben der RWE-E.ON-Fusion für nichtig erklären zu lassen.

Bei den klagenden Energieversorgungsunternehmen handelt es sich um: eins energie in sachsen GmbH & Co. KG; enercity AG; EnergieVerbund Dresden GmbH; GGEW AG; Mainova AG; Naturstrom AG; Stadtwerke Frankfurt am Main Holding GmbH; EVH GmbH; GWS Stadtwerke Hameln GmbH; Stadtwerke Leipzig GmbH sowie TEAG Thüringer Energie AG.

Dazu VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing:

„Wir haben großes Verständnis für die agierenden (elf) Stadtwerke und regionalen Energieversorger, die nun mit einer weiteren Klage gegen den komplexen RWE/E.ON Deal vorgehen wollen. Ihr Vorgehen ist nachvollziehbar und konsequent. Der Zusammenschluss ist in mehrere Verfahren aufgeteilt, gegen die einzeln der Rechtsweg beschritten werden muss. Wie bei dem Klageverfahren, das im Herbst angestrengt wurde, halten wir eine gerichtliche Überprüfung der Fusion und ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb durch den europäischen Gerichtshof für sinnvoll und bauen auf eine Korrektur in Luxemburg. Die Auflagen der Kommission, unter der die Fusion gestattet wurde, werden den beachtlichen wettbewerblichen Auswirkungen der Transaktion gerade auf dem nationalen Markt nicht gerecht. Die Fusion schafft Nachteile für den dringend notwendigen Transformationsprozess der Energiewende und führen zu einer Wettbewerbsverzerrung, wenn nicht sogar ein faktischen Wettbewerbsverzicht droht. Dies belastet letztlich vor allem die Verbraucherinnen und Verbraucher und wird von diesen zu tragen sein. Oder in der Sprache des Sports ausgedrückt: Die beiden nationalen Champions tragen zwar äußerlich unterschiedliche Trikots, haben aber mit gleichem  Trainerteam und gleicher Taktik. Was vielleicht wie ein echtes Turnier wirkt, ist in Wahrheit nur ein Showkampf. Ein Freundschaftsspiel, bei dem es nur um Zuschauererlöse, nicht aber um echten Wettbewerb geht.

Konkrete Vorzeichen einer drohenden Schieflage deuten sich im aktuellen Zeitverlauf jetzt schon an und werden auch jenseits der Kommunalwirtschaft von relevanten Akteuren registriert und artikuliert. Der aktuelle Monitoringbericht 2020 der BNetzA und des Bundeskartellamtes weist darauf hin, dass jedenfalls die Schwelle zur Marktbeherrschung (im Bereich der Erzeugung) von RWE im weiteren Verlauf der Energiewende überschritten werden könnte.

Unabhängig von dem laufenden rechtlichen Verfahren muss es deshalb darum gehen, zeitnah das drohende wettbewerbliche Ungleichgewicht zwischen den Unternehmen im Energiemarkt ordnungspolitisch und langfristig effektiv zu verhindern. Klares Ziel muss sein, dass Stadtwerke und regionale Energieversorger auch zukünftig ihre wesentliche Rolle im Transformationsprozess des Energiesystems und zur Erreichung der Klimaschutzziele erfüllen können.

Aus Sicht des VKU ist es daher wichtig, dass der deutsche Gesetzgeber die Rahmenbedingungen so setzt, damit auch zukünftig ein funktionierender Wettbewerb auf den Energiemärkten gesichert ist.“

Verschiedene konkrete Handlungsfelder hatte der VKU bereits skizziert. Diese sind:

  • Schaffung und Sicherstellung eines „level playing field“ im wettbewerblichen Energiemarkt

Dazu gehören die Beseitigung von Wettbewerbshindernissen im Beihilfe- und Vergaberecht sowie im Gemeindewirtschaftsrecht. Die Verpflichtung, zukünftig Daten öffentlich zur Verfügung zu stellen, muss für öffentliche und privatwirtschaftliche Energieunternehmen gleichermaßen gelten.

  • Ausgewogenere Vorgaben für Vergleichsportale für mehr Transparenz und somit stärkere Berücksichtigung regionaler Wertschöpfung

Die Neutralität und Transparenz von Vergleichsportalen bedarf einer ordnungspolitisch induzierten Festlegung von Spielregeln für Vergleichsportale. Dazu gehören Kriterien, die nicht nur auf den alleinigen Preis der Kilowattstunde, sondern auch auf die Zuordnung der Marke zu einem Energieunternehmen bzw. Konzern, auf Aspekte der regionalen Wertschöpfung und auf das ökologische oder soziale Engagement der Unternehmen abstellen.

  • Faire Regeln im Konzessionswettbewerb, um kommunale Kompetenz vor Ort zu stärken

E.ON wird durch die Fusion der mit Abstand größte deutsche Verteilnetzbetreiber. Im zukünftigen Wettbewerb um Netzkonzessionen dürfen daraus keine Nachteile für lokale oder regionale Netzbetreiber entstehen. In den Ausschreibungsverfahren müssen auch lokale und regionale Faktoren – wie bspw. der Verbleib der Wertschöpfung vor Ort – angemessen Berücksichtigung finden. Daher ist zusätzlich erforderlich, die Befugnisse der Kommunen im Konzessionsverfahren durch Anpassungen im Energiewirtschaftsgesetz zu stärken.

  • Monopolstruktur und Entstehung von Nachfragemacht im Messstellenmarkt verhindern

Für die zukünftige Ausgestaltung des liberalisierten Messstellenmarktes muss sichergestellt werden, dass bei der Entwicklung von technischen Standards für Messsysteme alle Messstellenbetreiber gleichberechtigt mitwirken können. Darüber hinaus geht es zum Schutz der Verbraucher darum, dass die sich abzeichnende Markt- bzw. Einkaufsmacht des Messstellenbetreibers E.ON zu keinem Marktverschluss für andere Anbieter von Messstellendienstleistungen führt.

->Quellen: