Zum Tag der Arbeit und German Overshoot Day: „Die Arbeit im Anthropozän“

Dlf: Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht – von Mathias Greffrath

Homo sapiens ist der Primat, der Werkzeuge herstellen kann, vom Faustkeil bis zu Computersystemen. Einstweilen produziert der kapitalgetriebene Automatismus noch Überfluss, aber auch immer mehr Menschen ohne Arbeit und Einkommen. Im Norden werden sie durchgefüttert, aus den Südregionen hat die große Elendswanderung begonnen. Homo sapiens scheint am Ende seiner Laufbahn, gefangen in den stählernen Netzen eines techno-ökonomischen Prozesses. Steuert der auf den ökologischen Kollaps hin? Bei den Elenden, den Ausgegrenzten, den Nutznießern, aber auch bei den Theoretikern wachsen Ratlosigkeit und Fatalismus. Und die Gewaltbereitschaft wächst, die der Elenden und die derjenigen, die ihren Wohlstand bedroht fühlen. Etwas in uns wehrt sich gegen die Alternativlosigkeit – aber worauf, auf welche Arbeit kann dieses Gefühl noch setzen? Im Dlf führte Mathias Greffrath in seinem Essay am 01.05.2021 Fakten und Gedanken zur Automation zusammen. Solarify dokumentiert Ausschnitte des am 03.01.2016 erstmals gesendeten – und immer noch aktuellen – Textes.

Luftverschmutzung in Mainz – Foto © Franziska Vogt für Solarify

Greffrath: „’Hören Sie auf, vom Holozän zu sprechen…‘ So begann Paul Crutzens zorniger Zwischenruf auf einer Geologenkonferenz vor 15 Jahren. Paul Crutzen, das ist der Atmosphärenchemiker, der das Ozonloch entdeckte und dafür den Nobelpreis erhielt. Und Holozän, so heißt die Epoche der Erdgeschichte, die vor 10.000 Jahren begann, am Ende der letzten großen Eiszeit. ‚Hören Sie auf, vom Holozän zu sprechen, wir leben doch schon längst im Anthropozän.‘ Anthropozän – das heißt: Zeitalter des Menschen, und Paul Crutzens Zwischenruf ist alles andere als beruhigend. Er resümiert, was wir spätestens seit einem halben Jahrhundert wissen: Die irdische Natur als Ganze ist zum Produkt der Menschen geworden.

Das Anthropozän beginnt, so definiert es Paul Crutzen, mit der Industriellen Revolution in Europa. Und paradoxerweise war es nicht der Erfindungsreichtum von Ingenieuren und Handwerkern allein, der die Produktivität explodieren ließ, sondern wiederum eine Naturkraft: die fossile Energie der Kohle, die Dampfmaschinen und Lokomotiven antrieb und den Wirkungsgrad der mechanischen Maschinen ins bis dahin Undenkbare erhöhte.

Ohne diese industrielle Revolution wären die Forderungen der Unterschichtsrebellionen, der Humanisten, der Aufklärung für immer im Himmel der Ideen geblieben: die Erklärung der ‚gleichen, unveräußerlichen Rechte: Leben, Freiheit und das Streben nach Glück‘ ebenso wie die Apotheose der Arbeit in der bürgerlichen Ideologie. Zwischen den Fortschrittsreden der Ideologen und der schmutzigen Praxis in den Fabriken der ersten Industrieperiode klaffte noch lange ein Abgrund. Der Reichtum der Nationen beruht auf der Arbeitsteilung, so konnte man es bei Adam Smith lesen. Aber im Kleingedruckten der gesellschaftlichen Wirklichkeit stand als Fußnote: Das Eigentum ist geschützt. Ein einklagbares Recht auf Arbeit – die Parole der frühen Arbeiterbewegung – kennen die westlichen kapitalistischen Nationen bis heute nicht.“…

„Die Kapitalistische Welt schien erfolgreich und alternativlos: ein Reich des Wohlstands und der Freiheiten, wenn auch nicht der Gleichheit. Die Sache hatte nur drei Haken, und die bekommen wir seit ein paar Jahrzehnten zu spüren.

  1. Seit den 70er-Jahren sanken die Wachstumsraten in den früh industrialisierten Ländern kontinuierlich, und die Arbeitslosigkeit wurde chronisch. Steuersenkungen, Deregulierungen und Privatisierungen stabilisierten die Profite; Renten und Sozialleistungen wurden reduziert; von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wuchs die private und staatliche Verschuldung, die den Weltwirtschaftskrisen der letzten Jahre zu Grunde lag.
  2. Der zweite Haken ist die Globalisierung: Die Wohlstandsmaschine Kapitalismus hat sich von ihrem Territorium, dem Nationalstaat, emanzipiert. Über die politische Weltkarte von Nationen haben sich die Netze einer Art Turbofeudalismus gelegt. Es ist ein Feudalismus, dessen Herren nicht greifbar sind.
  3. Der dritte Haken ist die Wachstumsfalle. Die Produktivitätsexplosion wäre nicht möglich gewesen ohne die Ausbeutung der fossilen Wälder, die in Jahrmillionen Erdgeschichte wuchsen und deren Verbrennung nun die Welt in die Klimakatastrophe treibt. Gegen eine Beschränkung dieses Wachstums aber stehen seine beiden mächtigen Treiber: der Wachstumszwang des Kapitals – und die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen. Nicht nur in den Wohlstandssregionen, sondern schärfer noch in den Schwellenländern und den armen Regionen der Welt. Mit gewissem historischen Recht blockieren diese, wenn die Klimaretter des Nordens ihnen nun zur Rettung der Atmosphäre egalitäre CO2-Reduktionsziele aufzwingen wollen.“…

Mathias Greffrath, Jahrgang 1945, ist Soziologe und Journalist. Er lebt in Berlin, arbeitet unter anderem für die taz, die ZEIT und den Rundfunk. In den letzten Jahren hat er sich in Essays, Hörspielen und Kommentaren mit den sozialen und kulturellen Auswirkungen von Globalisierung und Klimawandel beschäftigt.

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