Wir (ver)brauchen drei Erden

Heute (05.05.2021) ist German Overshoot Day: Städte und Bürgerinitiativen zeigen lokale Antworten für das gute Leben

Würden alle so leben, wie wir, bräuchten wir mindestens drei Erden. Anders ausgedrückt: Die Menschen in Deutschland haben die Ressourcen, welche die Natur in einem Jahr wiederherstellen kann, in nur etwas mehr als vier Monaten verbraucht. Ab dem 5. Mai leben wir also auf Kosten anderer Länder und zukünftiger Generationen. Heute ist German Overshoot Day: Wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden wie die  Deutschen, wäre heute der Earth Overshoot Day. Das geht aus den Berechnungen zum ökologischen Fußabdruck und der Nutzung von Ressourcen hervor, die von der Footprint Data Foundation der York University und dem Global Footprint Network veröffentlicht wurden.

Deutscher Erdüberlastungstag: Von heute an leben wir auf Pump

May 5 is German Overshoot Day – Header © footprintnetwork.org

Der frühe deutsche Erdüberlastungstag ist ein Alarmsignal und Armutszeugnis für die verfehlte Umwelt- und Naturschutzpolitik der vergangenen Jahre“, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Die Bundesregierung muss dringend handeln und nach dem wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts deutlich ambitioniertere Klima-Ziele und Instrumente festlegen. Zugleich muss sie die überfällige Ressourcenwende einleiten, um Deutschlands Ressourcenverbrauch dauerhaft und absolut zu senken.“

Im Gegensatz zum weltweiten Erdüberlastungstag im Hochsommer liegt der deutsche Erdüberlastungstag bereits im Frühjahr. Gründe dafür sind unter anderem der weiterhin viel zu hohe Energieverbrauch, der steigende CO2-Ausstoß im Verkehr und in der Massentierhaltung sowie die Verunreinigung von Böden, Luft und Grundwasser. „Deutschland lebt ab heute auf Pump und verschwendet die Lebensgrundlagen aller Länder und zukünftiger Generationen. Das ist zutiefst ungerecht und geht auf Kosten der Menschen im globalen Süden“, kritisiert Bandt.

Dürresommer und Starkregen, der Zustand unserer Wälder, das Insektensterben oder der Verlust an Artenvielfalt: Die Folgen des unverantwortlichen Umgangs mit unserem Planeten sind auch hierzulande unübersehbar und werden sich in den kommenden Jahren verschlimmern, wenn nicht gegengesteuert wird. Der BUND fordert klare gesetzliche Rahmenbedingungen, um gesellschaftliche und ökologische Veränderungen zu erreichen. Bandt: „Die Zeiten eines Wirtschaftswachstums um jeden Preis sind vorbei. Unser auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem führt neben den katastrophalen ökologischen Auswirkungen global und hier in Deutschland zugleich zu immer gravierenderen sozialen Brüchen. Alles, was wir jetzt auf den Weg bringen, ist eine Investition in die Freiheit dieser und künftiger Generationen.“

Der Erdüberlastungstag wird jährlich von dem Global Footprint Network für einzelne Länder sowie für den ganzen Planeten errechnet. Am globalen Erdüberlastungstag hat die Weltbevölkerung alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die unser Planet im Laufe eines Jahres erzeugen kann. Ab diesem Tag beanspruchen wir für das übrige Jahr mehr Acker- und Weideland, Fischgründe und Wald, als uns rein rechnerisch zur Verfügung stehen. Das Ziel des Aktionstages ist es, die Begrenztheit und Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und der Erde ins Bewusstsein der Menschen zu rücken.

Länder wie Haiti, Ruanda oder auch Indien haben einen weitaus kleineren ökologischen Fußabdruck als Deutschland, gleichzeitig schultern sie einen Großteil der Folgen der katastrophalen Erdausbeutung wie Dürren, Überschwemmungen oder Artensterben.
Bei der Berechnung der nationalen Erdüberlastungstage konnten die Auswirkungen der globalen Corona-Pandemie noch nicht berücksichtigt werden. Für das Pandemiejahr 2020 lässt sich ein signifikanter Rückgang der CO2-Emissionen vor allem durch weniger Verkehr feststellen. Das sind aber nur kurzfristige Effekte, ohne verbindliche Maßnahmen wird der CO2-Ausstoß nach Pandemie-Ende vermutlich wieder sprunghaft ansteigen.

Vom 01.01. bis heute haben Deutschlands Einwohner*innen im Durchschnitt so viel von der Natur verbraucht, wie der Planet  im gesamten Jahr erneuern kann. Eine Verschiebung des Datums (#MoveTheDate) des deutschen und des Earth Overshoot Day ist möglich, wenn wir unsere Infrastrukturen umgestalten, unsere Prozesse deutlich ressourceneffizienter gestalten, unsere Energiesysteme dekarbonisieren, CO2 durch Aufforstung binden und ressourcenschonender leben. Auch wenn wir sie vielleicht noch nicht selbst wahrgenommen haben, weil viele von uns sich derzeit auf das zu Hause beschränken müssen, tragen bereits diverse Bürgerinitiativen sowie kommunale und Unternehmensstrategien zu diesem Ziel bei. Jede*r trifft mit seiner/ihrer Lebensweise jeden Tag Entscheidungen, die sich auf unseren Planeten auswirken.  Zivilgesellschaftliche Initiativen gestalten in diesem Kontext in organisierter Form schon jetzt nachhaltige Zukünfte, sei es politisch oder praktisch. Sie setzen soziale Innovationen auf lokaler Ebene um und demonstrieren so, dass das gute Leben machbar ist – mit Spaß und Genuss.

We #MoveTheDate ist ein Projekt unter der Leitung des Global Footprint Network und dem Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP) und wird von der Stiftung Mercator gefördert. Zusammen mit Bürgerinitiativen, Stadtverwaltungen und der allgemeinen Öffentlichkeit in Deutschland beschleunigt das Projekt Lösungen für #MoveTheDate und sucht Wege, um diese zu vervielfachen. Im Rahmen des Pilotprojektes soll beispielhaft gemeinsam mit den beiden Städten Aachen und Wuppertal gezeigt werden, welche Wirkungen die Aktivitäten von städtischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren entfalten können. Dabei sind die Städte längst noch nicht am Ziel, aber sie haben sich auf den Weg gemacht gemeinsam mit starken Partnern – den Bürger*innen der Stadt.

„Klimaschutz ist die Antwort auf ein Gesellschaftsproblem, das uns alle direkt betrifft. Daher muss es gelingen, dass möglichst viele unterschiedliche gesellschaftliche Akteure den Klimaschutz zu ihrem Thema machen und sich politisch einbringen. Gerade auf der lokalen Ebene bestehen große Potenziale, im direkten Dialog mit den Stadtverwaltungen eine klimafreundliche und ressourcenschonende Zukunft mitzugestalten. We #MoveTheDate unterstützt solches zivilgesellschaftliche Engagement und daher fördern wir dieses Projekt mit großer Freude.“, sagte Dr. Lars Grotewold, Leiter Bereich Klimaschutz der Stiftung Mercator.

„Der Klimawandel und die explodierende Ressourcennachfrage auf der ganzen Welt verschmelzen zu einem perfekten Sturm der Ressourcenunsicherheit. Unser Boot zu reparieren und in unser Gemeinwesen zu investieren ist der naheliegendste Weg, um unsere eigenen Chancen auf eine sichere Zukunft zu verbessern“, pflichtete Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, bei. „Damit lässt dieser ‚Sturm‘ auch nach und wir können seine Folgen bewältigen.“ Schon jetzt zeigen viele Initiativen den Weg in eine nachhaltige Zukunft. Sie können Modelle für das sein, was wir annehmen, erweitern und replizieren müssen, um uns nach der Corona-Pandemie zu erholen.

So verfügt die Stadt Wuppertal beispielsweise inmitten ihres hügeligen Landschaftsbildes über eines der am stärksten befahrenen städtischen Radwegenetze Deutschlands. Die 23 Kilometer lange Nordbahntrasse hat sich schnell zu einer beliebten und schnellen Pendelstrecke für Berufstätige und Schüler entwickelt. Hochrechnungen zufolge werden rund 90 Millionen Radfahrer und Fußgänger in den nächsten 30 Jahren auf der Strecke unterwegs sein. Initiiert wurde die Umgestaltung der ehemaligen Bahntrasse von der Bürgerinitiative Wuppertalbewegung e.V.. Sie ist ein herausragendes Beispiel für die aktive und vielfältige Zivilgesellschaft, die die nachhaltige Entwicklung der Stadt prägt.

Auf politischer Ebene hat die Stadt Aachen mit dem Integrierten Klimaschutzkonzept (IKSK) die strategische Grundlage für eine klimaneutrale Stadt bis spätestens 2030 gelegt. In dem 5-Jahres-Programm mit einem Umfang von 30 Millionen Euro sind bereits mehr als 70 konkrete Projekte und Pläne zur kontinuierlichen Überprüfung und Verbesserung aufgeführt.

„Sich auf diesen Weg zu begeben, ist ein komplexes Unterfangen, aber unverzichtbar für ein gutes Leben jetzt und in Zukunft in unserer Stadt. Solche Ansätze verschieben den Deutschen Overshoot Day“, sagte Sybille Keupen, die Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen.

Ein großer Hebel für die Stadt Aachen liegt im Bereich der Energieerzeugung. Theoretisch haben Photovoltaik Anlagen auf den Dächern der Stadt das Potenzial den kompletten Strombedarf der Stadt selbst zu erzeugen. Das im September letzten Jahres im Rahmen des IKSK gestartete Öcher Solar-Förderprogramm zielt darauf ab, den CO2-Ausstoß dank Zuschüssen und Beratungsleistungen der Stadt um 77.000 Tonnen pro Jahr zu senken. Die Finanzierung von 150 Anlagen ist bereits gesichert, weitere 1.000 Anlagen werden noch in diesem Jahr in Angriff genommen. Mit der „Öcher Solaroffensive“ möchte die Stadt Haushalte und Unternehmen motivieren, eine Photovoltaik- oder Solarthermieanlage auf ihrem Dach zu installieren.

Erste Beispiele unter http://www.overshootday.org/movethedate-deutschland

Es gibt bereits viele Lösungen, die den Overshoot Day nach hinten schieben, von innovativen Produkten bis hin zur Stadtentwicklung. Wir organisieren einen We #MoveTheDate Wettbewerb für Lösungen, die zeigen, was in Deutschland bereits gemacht wird, um das Datum zu verschieben. Teilen Sie Projekte, die Sie begeistern, von Lebensmittelrettung zu Repair-Cafés, von öffentlichen Projekten bis hin zu Nachbarschaftsinitiativen auf der #MoveTheDate Karte der Lösungen. Die besten Beiträge, die auf der Karte gepostet werden, werden durch unsere Kommunikationsaktivitäten einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Die Bewertung erfolgt über eine Jury und nach Qualität des Beitrags und der Wirkung der Lösung.

Letztlich wird es auf eine einfache Frage ankommen: Können wir schnell genug handeln, um effektiv eine Zukunft zu gestalten, in der wir im Gleichgewicht mit dem regenerativen Budget der Natur leben können? Oder wird diese Neuausrichtung durch eine Katastrophe erzwungen?

Über den ökologischen Overshoot

Seit Anfang der 1970er Jahre befindet sich die Menschheit in einem ökologischen Defizit. Während Deutschlands Biokapazität pro Person etwa gleich groß ist wie die der Welt, ist der Ökologische Fußabdruck pro Einwohner etwa dreimal so groß. Die Überlastung kann nicht ewig andauern. Die Auswirkungen dieses globalen ökologischen Overshoot sind bereits in Form von Abholzung, Bodenerosion, Verlust der Artenvielfalt und der Anhäufung von Kohlendioxid in der Atmosphäre zu beobachten. Ökologisch defizitär zu wirtschaften bedeutet, dass wir nicht nur die jährlichen „Zinsen“ unseres Naturkapitals verbrauchen, sondern es auch abbauen, indem wir Ressourcen aus der Zukunft nehmen, um die Gegenwart zu bezahlen. Mit den ökologischen Vorschüssen zukünftiger Generationen zu arbeiten ist offensichtlich keine langfristig erfolgreiche Strategie. 

Über das CSCP

Das Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP) ist ein internationaler, gemeinnütziger Think and Do Tank mit Sitz in Wuppertal, der mit politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen, Partnerorganisationen und der Zivilgesellschaft an einem guten Leben für alle auf unserem Planeten arbeitet. Mit über 40 laufenden Projekten sowohl auf lokaler, als auch auf internationaler Ebene gestalten wir die Transformation zu zukunftsfesten Lebensstilen, neuen Geschäftsmodellen und nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen.

Über das Global Footprint Network

Global Footprint Network ist eine internationale Nachhaltigkeitsorganisation, die der Welt hilft, im Rahmen der Möglichkeiten der Erde zu leben und auf den Klimawandel zu reagieren. Seit 2003 haben wir mit mehr als 50 Ländern, 30 Städten und 70 globalen Partnern zusammengearbeitet, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern, die zu nachhaltigen politischen und Investitionsentscheidungen geführt haben. Gemeinsam bauen wir eine Zukunft, in der wir alle innerhalb der Grenzen unseres einen Planeten gedeihen können. www.footprintnetwork.org

Quelle und mehr: