EuGH stoppt Braunkohleförderung im polnischen Turow

Umweltministerium hatte erst im April Abbau bis 2044 verlängert

Polen muss nach einer Eilentscheidung des Europäischen Gerichtshofes den Braunkohletagebau Turów im Dreiländereck zu Deutschland und Tschechien sofort einstellen. Das polnische Umweltministerium hatte grünes Licht gegeben, dass der Energiekonzern PGE im Zittauer Dreiländereck unmittelbar an der Neiße bei Zittau bis zum Jahr 2044 Braunkohle abbauen und verstromen kann. Dafür ist das Kraftwerk Turów im polnischen Reichenau, das als eines der größten Polens fünf Prozent von Polens Energie produziert, mit Milliardenaufwand modernisiert worden. Die Förderung von Braunkohle im Tagebau Turow war 1994 aufgenommen worden.

Tagebau Turów – einschließlich der Abraum- und Aschenhalde rund 50 km² Fläche; im Hintergrund das dazugehörige Kohlekraftwerk – Foto © Jerzy Górecki auf Pixabay

Die Lizenz der polnischen Behörden war zunächst bis 2020 befristet. Nach dem polnischen Umweltrecht kann sie jedoch ohne eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung um sechs Jahre verlängert werden. Es ist sehr selten, dass ein Mitgliedstaat eine Vertragsverletzungsklage gegen einen anderen erhebt. Dies ist erst die neunte derartige Klage in der Geschichte des 1952 gegründeten Gerichtshofs.

Der veröffentlichte Beschluss geht auf eine Klage Tschechiens gegen das Nachbarland zurück. Friday für Future hatte zu einer Demonstration auf dem Marktplatz in Zittau gegen den Kohleabbau in Turów aufgerufen und etwa 100 Oberlausitzer waren diesem Aufruf gefolgt – davon die Hälfte Schüler oder Jugendliche. Alexander Hilse, Ortsgruppe Oberlausitz von Fridays for Future: „Es ist ein unglaublich gutes Zeichen für unsere Region, aber wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen. Die Bundesregierung hat noch bis zum 31. Mai Zeit, sich der tschechischen Klage gegen den Tagebau Turów anzuschließen. Und das sollte Deutschland tun.“ Umweltschützerinnen und -schützer hatten Mitte April vor der Staatskanzlei in Dresden auf einen offenen Brief an Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) aufmerksam gemacht. Darin verlangten die Umweltverbände Greenpeace, die Grüne Liga, Client Earth und der BUND Sachsen, dass sich der Freistaat für eine deutsche Beteiligung an der Klage gegen die Tagebauerweiterung Turów stark macht.

Der Beschluss des EuGH: Ausschnitte – „Polen muss den Braunkohleabbau im Tagebau Turów unverzüglich einstellen
Die von der Tschechischen Republik geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte rechtfertigen den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung.
Der Braunkohletagebau Turów liegt auf polnischem Gebiet, nahe der Grenze zur Tschechischen Republik und Deutschland. 1994 erteilten die polnischen Behörden eine Konzession für den Betrieb des Bergwerks bis zum 30.04.2020. Am 24.10.2019 stellte der Betreiber einen Antrag auf Verlängerung dieser Konzession um sechs Jahre. Am 21.01.2020 erließ der Regionaldirektor für Umweltschutz in Wroc?aw den Beschluss über die Umweltbedingungen für das Projekt zur weiteren Nutzung der Braunkohlelagerstätte Turów bis zum Jahr 2044 („UVP-Beschluss“) und erklärte diesen Beschluss am 23.01.2020 für sofort vollziehbar. Am 24.01.2020 hat der Betreiber den UVP-Beschluss seinem Antrag auf Verlängerung der Abbaukonzession für das Jahr 2019 beigefügt. Mit Bescheid vom 20.03.2020 erteilte der polnische Klimaminister die Genehmigung für den Braunkohleabbau bis 2026. Da die Tschechische Republik der Auffassung war, dass Polen mit der Erteilung dieser Genehmigung in mehrfacher Hinsicht gegen EU -Recht verstoßen habe, befasste sie die Europäische Kommission am 30.09.2020 mit der Angelegenheit. Am 17. Dezember 2020 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie Polen mehrere Verstöße gegen EU-Recht vorwarf. Insbesondere vertrat die Kommission die Auffassung, dass Polen durch den Erlass einer Maßnahme, die eine Verlängerung der Genehmigung für den Braunkohleabbau um sechs Jahre ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erlaubte, gegen die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung verstoßen habe. Da die Tschechische Republik der Ansicht war, dass Polen gegen EU-Recht verstoßen habe, erhob sie am 26.02.2021 eine Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof.
In Erwartung des endgültigen Urteils hat die Tschechische Republik im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, Polen anzuweisen, die Braunkohleförderung in der Grube Turów unverzüglich einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können solche einstweiligen Anordnungen nur dann vom Richter des vorläufigen Rechtsschutzes erlassen werden, wenn (1) feststeht, dass ihr Erlass prima facie in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerechtfertigt ist, und (2) sie dringlich in dem Sinne sind, dass ihr Erlass und ihre Wirkungen vor der endgültigen Entscheidung erforderlich sein müssen, um eine schwere und nicht wiedergutzumachende Beeinträchtigung der Interessen des Antragstellers zu vermeiden.Der Richter im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor.
Mit Beschluss vom heutigen Tag hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs, Frau Rosario Silva de Lapuerta, dem Antrag der Tschechischen Republik stattgegeben.
Was erstens die Voraussetzung eines Anscheinsbeweises anbelangt, so weist die Vizepräsidentin darauf hin, dass prima facie nicht ausgeschlossen werden kann, dass die polnischen Rechtsvorschriften gegen die Anforderungen der UVP-Richtlinie verstoßen, wonach die Erweiterung eines Tagebauprojekts im Wesentlichen einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder zumindest einer vorherigen Prüfung der Notwendigkeit einer solchen Prüfung unterzogen werden muss. Folglich erscheinen die von der Tschechischen Republik vorgebrachten Argumente prima facie als stichhaltig. Die Voraussetzung des Vorliegens eines Anscheinsbeweises ist daher erfüllt.
Was zweitens die Voraussetzung der Dringlichkeit angeht, so erscheint es hinreichend wahrscheinlich, dass die Fortsetzung der Braunkohleförderung im Bergwerk Turów bis zum Erlass des endgültigen Urteils negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel im tschechischen Hoheitsgebiet haben wird. Diese Tätigkeiten führen nämlich zu einem ununterbrochenen Abfluss einer beträchtlichen Wassermenge aus dem tschechischen in das polnische Gebiet, was zweifellos zu einer Verschlechterung des Grundwasserspiegels in Tschechien führt, welche die Trinkwasserversorgung der von den betroffenen Gewässern abhängigen Bevölkerung gefährden könnte. Die Vizepräsidentin hält diese Schäden für schwerwiegend…. Schließlich ist das Vorsorgeprinzip zu berücksichtigen, das eine der Grundlagen der Politik der Europäischen Union für ein hohes Schutzniveau im Bereich der Umwelt ist. Unter diesen Umständen stellt die Vizepräsidentin fest, dass die Bedingung der Dringlichkeit erfüllt zu sein scheint.
Drittens prüft die Vizepräsidentin, ob die Interessenabwägung für den Erlass der beantragten einstweiligen Maßnahmen spricht. Insbesondere zum Vortrag Polens, dass die Gewährung der beantragten einstweiligen Maßnahmen aufgrund der technologischen Konfiguration des Kraftwerks Turów zu einer irreversiblen Abschaltung führen würde, stellt die Vizepräsidentin fest, dass der Mitgliedstaat diese Behauptung nicht belegt hat und dass die plötzliche Nichtverfügbarkeit eines Kraftwerks zwar negative Auswirkungen haben kann, die Stromnetzbetreiber aber in der Lage sind, das Stromnetz auszugleichen, um eine solche Nichtverfügbarkeit zu kompensieren. Daher hat Polen nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Einstellung des Braunkohleabbaus im Bergwerk Turów eine tatsächliche Bedrohung für seine Energiesicherheit, die Stromversorgung polnischer Verbraucher oder den grenzüberschreitenden Stromaustausch darstellen würde.
Außerdem kann der von Polen behauptete Schaden, der sich daraus ergibt, dass wichtige Projekte und Investitionen im Energiebereich nicht durchgeführt werden könnten, auf keinen Fall Vorrang vor Erwägungen haben, welche die Umwelt und die menschliche Gesundheit betreffen. Schließlich stellt der von Polen geltend gemachte sozioökonomische Schaden, der mit dem Verlust der Arbeitsplätze der Arbeitnehmer des Bergwerks und des Kraftwerks Turów sowie der Beschäftigten der Zulieferbetriebe zusammenhängt, im Wesentlichen einen Vermögensschaden dar, der nur unter außergewöhnlichen Umständen als nicht wiedergutzumachend angesehen werden kann, da eine Entschädigung in Geld in der Regel geeignet ist, den Geschädigten in die Lage vor Eintritt des Schadens zu versetzen.“

In dem Beschluss heißt es nun, die Argumente der tschechischen Seite erschienen begründet. Die Fortführung des Tagebaus könne sich mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ auf den Grundwasserspiegel in Tschechien auswirken. Prag reagierte erleichtert auf die einstweilige Anordnung. Dagegen wies Warschau den Luxemburger Beschluss zurück. Schon mehrfach hatte es im Zittauer Dreiländereck Ärger mit dem polnischen Kraftwerk und dem Tagebau gegeben. In sächsischen Drausendorf und Hirschfelde bekamen Häuser Risse, die Anwohner machen Turów dafür verantwortlich. Lärm und Staub verursachen am deutschen Ufer immer wieder Missstimmung.

Der Branchenverband EURACOAL erklärte, es sei das Recht eines jeden Mitgliedsstaates, seinen Energiemix zu wählen und die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen zu bestimmen. Gleichzeitig sei es notwendig, alle geltenden EU-Umweltgesetze einzuhalten, einschließlich derjenigen, die sich auf die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bezögen. Das Gericht müsse nun in seinem endgültigen Urteil feststellen, ob das polnische Recht, insbesondere das Umweltinformationsgesetz und das UVP-Verfahren, in dieser Hinsicht konform ist. EURACOAL weist darauf hin, dass die vorübergehende Stilllegung eines Braunkohlebergwerks im Allgemeinen und des Turów-Bergwerks im Besonderen das dringende Problem der Wasserbewirtschaftung nicht löst, da die Pumparbeiten während der Stillstandszeit fortgesetzt werden müssen, um die strukturelle Integrität des Bergwerks zu schützen. Darüber hinaus birgt eine endgültige und kurzfristige Schließung des Bergwerks Turów erhebliche ökologische, soziale, technische und nationale Sicherheitsrisiken. Die Umsetzung geeigneter Lösungen für solche Herausforderungen ist von entscheidender Bedeutung, um Folgen irreparabler Natur zu vermeiden.

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