„Big Oil’s böser, böser Tag“

Lesehinweis auf Artikel von Bill McGibben im New Yorker

Die vernichtenden Schläge gegen drei der größten Ölkonzerne der Welt haben deutlich gemacht, dass die Argumente, die viele seit Jahrzehnten vorgebracht haben, auf höchster Ebene angekommen sind. In dem vielleicht bisher katastrophalsten Tag für die traditionelle fossile Brennstoff-Industrie hat eine bemerkenswerte Reihe von Aktionärsabstimmungen und Gerichtsurteilen die Zukunft von drei der größten Ölkonzerne der Welt durcheinander gebracht – schreibt Bill McKibben am 26.05.2021 im New Yorker.

Exxon Mobil-Kerosintanker – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

  1. Ein Gericht in den Niederlanden urteilte, dass Royal Dutch Shell seine Emissionen in den nächsten zehn Jahren stark reduzieren muss – eine Auflage, die das Unternehmen wahrscheinlich nur durch eine drastische Änderung seines Geschäftsmodells erfüllen kann.
  2. Wenige Stunden später stimmten einundsechzig Prozent der Aktionäre von Chevron gegen die Einwände des Managements für die Forderung, dass das Unternehmen die so genannten Scope-3-Emissionen reduzieren soll, zu denen auch die Emissionen gehören, die infolge der Verbrennung der Produkte durch die Kunden entstehen.
  3. Der stärkste Beweis für diese Frustration kam kurz darauf, als Vertreter von ExxonMobil bekannt gaben, dass die Aktionäre (gegen den heftigen Widerstand des Unternehmens) zwei dissidente Kandidaten in den Vorstand des Unternehmens gewählt haben, die beide versprechen, sich für den Klimaschutz einzusetzen.

Bill McKibben ist einer der bekanntesten US-Umweltaktivisten und Autor; der Träger des alternativen Nobelpreises verfasste viele Bücher zu den Themen globale Erwärmung und alternative Energie. Im Sommer 2006 initiierte er die größte Demonstration der amerikanischen Geschichte gegen die Erderwärmung an. 2009 leitete er die Aktivitäten der Organisation 350.org, mit 5.200 gleichzeitigen Demonstrationen in 181 Ländern. Das Magazin Foreign Policy führt ihn in der Liste der 100 wichtigsten globalen Vordenker und MSN zählt ihn zu einem der einflussreichsten Menschen des Jahres 2009. McKibben nimmt aktiv an der Debatte über Auswege aus der Klimakrise teil. So ist er Mitunterzeichner eines im Dezember 2018 veröffentlichten Briefes, in dem der Politik vorgeworfen wird, sie sei bei der Thematisierung der Krise gescheitert, und dazu aufgerufen wird, sich Bewegungen wie Extinction Rebellion anzuschließen und Konsumverzicht zu leisten (siehe wikipedia.org/Bill_McKibben).

Das Geschehen bei der Aktionärsversammlung von ExxonMobil war faszinierend: Das Unternehmen, das früher regelmäßig die Liste der beliebtesten Unternehmen anführte, hatte alle Register gezogen, um die Kandidaten der Dissidenten zu besiegen, die von Engine No. 1 vorgeschlagen worden waren, einem winzigen Fonds von Aktivisten mit Sitz in San Francisco, der mit nur 0,02 Prozent der Aktien des Unternehmens darauf bestanden hat, dass Exxon eine bessere Antwort auf die Frage brauche, wie man der Herausforderung des Klimawandels begegnen könne. Exxon hatte einfach darauf bestanden, die Förderung zu verdoppeln. Aber der Versuch scheiterte.

Die Entscheidung des niederländischen Gerichts, gegen die Shell Berufung einlegen will, ist mindestens ebenso bemerkenswert. Das Gericht, das sich zum Teil auf europäische Menschenrechtsgesetze stützte, stellte fest, dass Shell zwar begonnen habe, seine Geschäftspläne zu ändern, sich aber nicht schnell genug bewege, um den Anforderungen der Wissenschaft gerecht zu werden, und dass das Unternehmen das Tempo seiner geplanten Emissionssenkungen deshalb mehr als verdoppeln müsse.

Das Gericht in Den Haag urteilte, Royal Dutch Shell müsse seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 verringern müsse. Denn Shell sei für die „schlimmen Folgen des Klimawandels“ mitverantwortlich und trage entsprechend Verantwortung für den Kampf dagegen. Zwar kündigte der Ölriese sofort an, in Berufung zu gehen, doch vorerst gilt das Urteil.

„Das Gericht versteht, dass die Konsequenzen für Shell groß sein könnten“, so Gerichtssprecherin Jeannette Honée, „aber das Gericht glaubt, dass die Folgen des starken Klimawandels wichtiger sind als die Interessen Shells. Starker Klimawandel hat Konsequenzen für die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben. Und das Gericht ist der Meinung, dass Unternehmen, darunter auch Shell, diese Menschenrechte respektieren müssen.“

Das Urteil ist die bisher eindeutigste offizielle Aussage darüber, was eine Verpflichtung gegenüber der Klimawissenschaft erfordert*). Stattdessen ist es klar, dass die Argumente, die viele seit einem Jahrzehnt vorbringen, auf höchster Ebene angekommen sind. Wenn man die Temperatur so niedrig halten will, dass die Zivilisation überleben kann, muss man Kohle, Öl und Gas im Boden lassen. Das klang vor einem Jahrzehnt noch radikal. Jetzt klingt es wie das Gesetz.

*) McKibben wusste es noch nicht, oder verzichtete bewusst auf die Erwähnung des Karlsruher Urteils, mit dem das Bundesverfassungsgericht am 29.04.2021 das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung kippte.

 

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