„Maßnahmen zum Aufbau einer klimaneutralen Infrastruktur vernachlässigt“

Klimaschutzgesetz muss ergänzt werden, damit Klimaneutralität erreicht werden kann

Die Wirksamkeit des Klimaschutzgesetzes reicht laut einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Stiftung Umweltenergierecht noch nicht aus. Exakte Emissionsminderungsdaten kämen zu verzögert, um bei Zielverfehlung wirkungsvoll gegenzusteuern; externe Faktoren wie die Pandemie überlagerten klimapolitische Fortschritte; ergänzende Frühindikatoren seien erforderlich. Mit letzteren könnten auch politische Ziele in Koalitionsverhandlungen verankert werden.

Hauptemittend: Dichter Verkehr auf Berliner Ringautobahn – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde das Klimaschutzgesetz im Eiltempo nachgebessert. Die oberste juristische Instanz forderte im Frühjahr, klarere Vorgaben auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität für die Jahre nach 2030 zu schaffen. Doch die daraufhin gemachten Änderungen greifen noch nicht weit genug, befinden WissenschaftlerInnen des  (DIW Berlin) und der Stiftung Umweltenergierecht. In einer Analyse legen sie dar, dass neben dem Festlegen von Emissionsminderungszielen für die einzelnen Sektoren weitere Messgrößen – sogenannte Frühindikatoren – definiert und ins Gesetz aufgenommen werden sollten. Ansonsten können Verzögerungen und Fehlentwicklungen beim Emissionsrückgang nicht früh genug erkannt und ausgeräumt werden. Zudem werden den konkreten Emissionsminderungen vorgelagerte transformative Maßnahmen, die zum Erreichen der Klimaneutralität notwendig sind, nicht ausreichend erfasst.

Festsetzung von Minderungszielen für einzelne Sektoren allein unzureichend

Das Klimaschutzgesetz setzt für die Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft Minderungsziele für CO2-Äquivalente fest, deren Einhaltung jährlich vom unabhängigen Expertenrat für Klimafragen überprüft wird. Als Basis dienen Daten des Umweltbundesamtes. Verfehlt einer der Sektoren die anvisierten Minderungen, muss das für den Sektor zuständige Ministerium ein Sofortprogramm auflegen, das sicherstellt, dass der Emissionsrückgang in den folgenden Jahren wieder auf Kurs kommt.

„Genau hier liegt aber der Knackpunkt“, sagt Studienautor Mats Kröger, Mitarbeiter der Abteilung Klimapolitik am DIW Berlin. „Verlässliche Emissionsdaten sind nur mit Zeitverzug verfügbar.“ Weitere Verzerrungen entstünden etwa dadurch, dass klimapolitische Fortschritte durch konjunkturelle oder externe Effekte überlagert würden. „So wurden die Klimaziele im vergangenen Jahr wohl vor allem infolge der Corona-Pandemie erreicht. Dadurch wurden vermutlich notwendige Sonderprogramme der Ministerien verzögert.“ Außerdem würden Maßnahmen zum Aufbau einer klimaneutralen Infrastruktur vernachlässigt – wie beispielsweise die Bereitstellung eines Wasserstoffnetzes, die Zeit und Investitionen in Anspruch nimmt, aber keine sofortige Wirkung auf die Emissionen hat.

Frühindikatoren schaffen Klarheit über Transformationsstand und nötige Investitionen

Für eine bessere Informations- und Monitoring-Grundlage könnten sektorspezifische Frühindikatoren sorgen, sind sich die ForscherInnen sicher. Würden sie im Klimaschutzgesetz verankert und mit Zielwerten hinterlegt, könnte der Stand der Transformation im jeweiligen Sektor klarer veranschaulicht und gegebenenfalls ein schnelleres Umsteuern ermöglicht werden. Auch Unsicherheiten für die Wirtschaft würden reduziert. In der Energiewirtschaft könnten dies etwa Zielgrößen für die Transportkapazität für grünen Wasserstoff oder der angestrebte Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion sein. Im Verkehrssektor wären beispielsweise die Zahl der Ladestationen für E-Autos oder die Fahrgastkapazitäten des Öffentlichen Nahverkehrs und im Gebäudesektor die Sanierungsrate sinnvolle Indikatoren.

„Frühindikatoren ermöglichen ein besseres Management der Klimawende“, resümiert Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am DIW Berlin. „Durch sie entsteht ein Frühwarnsystem für die Bundesregierung, das sie schneller handeln lässt. Zudem schaffen die Indikatoren mehr Klarheit für die Wirtschaft, indem sie etwa aufzeigen, wo es sich lohnt, in Produktionsanlagen zu investieren.“ Daniela Fietze von der Stiftung Umweltenergierecht ergänzt: „Die Frühindikatoren wären zudem im Sinne des Bundesverfassungsgerichts, das dem Gesetzgeber mit seinem jüngsten Beschluss aufgegeben hat, den Übergang zur Klimaneutralität frühzeitig ein- und anzuleiten.“

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