Klimaschutz und Armutsbekämpfung gut vereinbar

„Weiterentwickelte Forschung zu optimaler Politik“

Wenn der Staat mit CO2-Bepreisung Tempo macht, muss das nicht zu Lasten Einkommensärmerer gehen – sie können sogar profitieren, meldet das Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) am 29.11.2021 in einer Medienmitteilung. Der Kampf gegen die Erderhitzung und das Zurückdrängen der Armut auf der Welt sind demnach auch kurzfristig vereinbar: Für beides kann es sich lohnen, Treibhausgas-Emissionen und damit fossile Brennstoffe schnell und drastisch zu verteuern. Zwar zeigen häufig verwendete Rechenmodelle hier einen Zielkonflikt – doch der löst sich auf, wenn man die Rückverteilung der Einnahmen miteinbezieht. Zu diesem Ergebnis kommen jetzt ein MCC-Forschungsteam und 16 wissenschaftliche Einrichtungen in Europa, Amerika und Asien, darunter Princeton, Harvard und Berkeley. Die Studie wurde ebenfalls am 29.11.2021 in Nature Climate Change veröffentlicht.

Armenviertel in Monrovia, Liberia – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Ansatzpunkt der Untersuchung sind die etablierten Kosten-Nutzen-Modelle zu „optimaler Klimapolitik“. Demnach tragen die Einkommensärmeren von heute stets einen Teil der Lasten der Klimapolitik, etwa höhere Preise für Sprit und Heizung. Die Menschen von morgen hingegen profitieren von vermiedenen Klimaschäden. Aus diesem Zielkonflikt ergibt sich in den etablierten Modellen ein optimaler Zeitpfad, bei dem man eine bestimmte Begrenzung der Erderhitzung – bei generationenübergreifender Betrachtung und aus sozialpolitischer Sicht – am günstigsten erreicht. „Im Ergebnis haben diese Modelle quasi eine eingebaute Empfehlung gegen rasches Handeln“, sagt Simon Feindt, Doktorand in der MCC-Arbeitsgruppe Governance und Co-Autor der Studie. „Doch sie haben eine Leerstelle: Sie ignorieren, dass eine sozial ausbalancierte Klimapolitik Einkommensarme auch kurzfristig besserstellen kann.“

Wie das geht, macht die Studie an einem einfachen Szenario deutlich: Die Welt würde die Erderhitzung auf 2 Grad begrenzen, und zwar ausschließlich über eine in allen Ländern einheitliche Steuer auf fossile Brennstoffe – und die kompletten Einnahmen jedes Landes würden als einheitliche Pro-Kopf-Zahlung an die jeweilige Bevölkerung zurückgegeben. Wie eine derartige Steuer in den jeweiligen Ländern wirkt, ermittelte das Autorenteam durch eine systematische Auswertung der entsprechenden Forschungsliteratur.

Mit dem in der Wissenschaft häufig genutzten Rechenmodell NICE ermittelte man schließlich die Verteilungswirkung der notwendigen Steuer – sowohl mit Einnahmen-Recycling als auch ohne. Das Modell teilt die Welt in zwölf Regionen und bildet dort jeweils fünf gleich große Einkommensschichten ab. Beispielhaft für Länder mit unterschiedlicher Wirtschaftskraft hebt die Studie für dieses 2-Grad-Szenario hervor: Sowohl in den USA als auch in China und Indien ist kurzfristig, also in der Phase der raschen Dekarbonisierung, jeweils die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung bessergestellt als in einer Welt ohne zusätzliche klimapolitische Anstrengungen und entsprechend höheren Klimaschäden. Die ärmsten 40 Prozent in Indien stehen sogar dauerhaft besser da. Und für den Wohlstand insgesamt ist CO2-Bepreisung mit Einnahmen-Recycling in allen Regionen besser als Business as Usual.

Wenn das 2-Grad-Ziel nicht von außen vorgeben wird, weist das Modell folgendes aus: Ohne Pro-Kopf-Rückzahlung empfiehlt sich wie zu erwarten eine zunächst nur moderate Klimapolitik, um die Armen nicht über Gebühr zu belasten – doch mit Pro-Kopf-Rückzahlung ist die optimale Lösung eine deutlich ambitioniertere Klimapolitik. Die globalen Emissionen 2030 liegen dann um rund 60 Prozent niedriger als im Business-as-usual-Szenario.

„Reiche Haushalte verursachen mehr CO2-Emissionen, zahlen also mehr für CO2-Bepreisung, aber bekommen nur so viel zurück wie arme Haushalte“, erklärt Ulrike Kornek, Senior Researcher am MCC, Professorin für Umwelt- und Ressourcenökonomik an der Universität Kiel und eine Leitautorin der Studie. „Aus diesem Grund führt sozial ausbalancierter Klimaschutz bei einem großen Teil der Bevölkerung nicht zu weniger, sondern zu mehr Kaufkraft. Dass der soziale Frieden und die wirtschaftliche Entwicklung leiden, ist ein klassisches Gegenargument zu entschlossenem Handeln, aber es ist falsch.“

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