Taxonomie: Greenwashing für Atomkraft und Gas – na und?

Kommentar von Harald Schumann
mit freundlicher Genehmigung

Was für ein Bohei! Auf Druck der französischen Regierung und einiger osteuropäischer Länder will die EU-Kommission die Stromerzeugung aus Atom- und Gaskraftwerken als „nachhaltig“ einstufen. NGOs und Klimaaktivisten sind empört. Die Kritik ist berechtigt. Aber die Aufregung steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung des Vorhabens. Das Vorhaben unter dem Rubrum „Taxonomie“ sei eine „Lizenz zum Greenwashing“, empört sich Greenpeace. Das grüne Etiketts für die Technologien von gestern sei eine „Provokation“, ärgert sich Luxemburgs Umweltminister Claude Turmes. Die deutschen Regierungsparteien treibt das Vorhaben in ihren ersten Streit und Österreichs Regierung will sogar Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen.

Gasspeicher Herzssprung (Prignitz), AKW Isar I (Ohu) – Fotos © Gerhard Hofmann für Solarify

Doch die Empörung steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung des Vorgangs. Gewiss, das einzig „Nachhaltige“ an der Atomkraft ist die über Jahrtausende anhaltende Strahlung des schon in Milligramm-Dosis tödlich giftigen Abfalls. Auch der Strom aus Erdgas ist kaum weniger schädlich als der aus Kohle, weil bei der Förderung Unmengen des potenten Klimagifts Methan entweichen.

Aber der in vielen Medien verbreitete Eindruck, infolge der geplanten Taxonomie drohe Europa nun ein Boom beim Bau von neuen Atom- und Gaskraftwerken, führt in die Irre. Schließlich geht es nur darum, dass die EU ein staatlich sanktioniertes Gütesiegel für klimafreundliche Kapitalanlagen bekommen sollte, um damit damit privates Anlegergeld in die gewünschte Richtung zu lenken. Wenn nun Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron das Siegel den Wünschen seiner Atomgemeinde angepasst hat und die Erdgaslobby ihre Propagandalüge von der  „Übergangstechnologie“ in den Gesetzentwurf drückte, dann schadet das zwar der Glaubwürdigkeit des Vorhabens. Aber kein Pensionsfond, keine Versicherung und kein Investmentfonds werden deswegen auch nur einen Euro in Atomkraftwerke investieren.

Denn die Stromproduktion mit der Energie aus gespaltenen Uranatomen ist schlicht unwirtschaftlich. Mit Produktionskosten von 65 Dollar pro Megawattstunde ist Atomstrom schon heute um ein Drittel teurer als der aus Windkraft und Fotovoltaik, kalkuliert die Internationale Energieagentur der OECD-Staaten. Bis 2030 wird der Abstandgar auf mehr als 50 Prozent anwachsen, erwarten die IEA-Experten. Darum investieren nirgendwo auf der Welt private Unternehmen auf eigenes Risiko in neue Atommeiler. Das geschieht nur, wenn der Steuerzahler die Gewinne garantiert und für die möglichen Schäden haftet. So wie etwa im britischen Hinkley Point. Dort sicherte die Regierung den Betreibern auf 30 Jahre die Abnahme zum Doppelten des Marktpreises zu. Weitgehend irrelevant ist das zweifelhafte EU-Etikett auch für den Bau von Gaskraftwerken. Ja, zum Ausgleich der schwankenden Lieferung aus Wind und Sonne, werden sie noch eine Weile gebraucht. Aber auch deren Nutzen ist bei fortschreitendem Einsatz von Batteriespeichern und europäischer Vernetzung begrenzt. Daran wird auch das EU-Siegel nichts ändern.

Kein Wunder also, dass die weltweit führenden Kapitalverwalter mit zusammen 40 Billionen Euro Anlagesumme erklärten, die Nachhaltigkeitsweihe für Erdgas und Atomkraft würde nur „die Bemühungen der Investoren behindern, die Dekarbonisierung voranzutreiben“. Im Klartext: Die Finanzindustrie wird das EU-Siegel nicht nutzen, sondern ihren klimabewussten Kunden andere Anlagen empfehlen. Der Kommissionsvorschlag solle „nicht überschätzt werden“, erklärte denn auch Kanzler Scholz gelassen. Einen Streit mit seinem Kollegen Macron ist das Thema einfach nicht wert.

->Quelle: investigate-europe.eu/taxonomy-nuclear-and-gas-energy-might-get-greenwashed-but-with-little-impact