Klimaschutzgesetz verfassungswidrig, weil naturwissenschaftlicher Budgetansatz unberücksichtigt

Erneute Verfassungsbeschwerde wegen Klimagesetz

Neun Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 13 bis 26 Jahren wollen vor dem Bundesverfassungsgericht eine weitere Verstärkung des deutschen Klimaschutzgesetzes erkämpfen. Nach Angaben der DUH ist die neue Beschwerde bereits am 25.01.2022 nach Karlsruhe zugestellt worden. „Wir haben nur diesen einen Planeten“, so Marlene aus München, mit 13 Jahren jüngste Beschwerdeführerin.

Klima-Demo am 24.09.2021 in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

„Seit ich mit anderen Jugendlichen die erfolgreiche erste Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung eingereicht habe, spüren wir die Klimakrise immer deutlicher mit Hitzesommern und Flutkatastrophen. Man hat nicht für alles eine zweite Chance. Es geht um meine Zukunft und wir haben nichts anderes.“ Wie auch die weiteren minderjährigen Beschwerdeführer wird sie von ihren Erziehungsberechtigten vertreten und von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unterstützt.

Wie bei der erfolgreichen ersten Verfassungsbeschwerde mit Unterstützung der DUH – die neben den anderen beiden Beschwerden zur wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2021 geführt hat – fordern die Kinder und jungen Erwachsenen eine Novelle des Klimaschutzgesetzes, um die verbindlichen Ziele des Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Die im aktuell geltenden, von der letzten Bundesregierung novellierten Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele sind davon noch immer weit entfernt. Die jungen Beschwerdeführer waren nach DUH-Angaben bereits am vorigen Klimaschutz-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt, das zu einem wegweisenden Beschluss im vergangenen Frühjahr führte, in dem das Gericht die Bundesregierung aufforderte, entschlossener und mehr Klimaschutz umzusetzen.

Das der Bundesrepublik zustehende Treibhausgasbudget zur Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad werde mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits 2023 überschritten, so die DUH. Selbst das nationale Restbudget für eine Begrenzung auf 1,8 Grad würde bei Einhaltung aller im aktuellen Klimaschutzgesetz enthaltenen Ziele schon 2030 fast erschöpft sein. Dies hätte zur Folge, dass kurz nach dem Jahr 2030 keine Treibhausgase mehr emittiert werden dürften – das Gesetz sehe jedoch erst ab 2045 Treibhausgasneutralität vor. Obwohl das Bundesverfassungsgericht die Budgetberechnung als erforderliche Grundlage für die Setzung der Ziele des Klimaschutzgesetzes akzeptiert habe, habe die Bundespolitik bei der Gesetzesnovellierung vom Sommer 2021 allein politisch gesetzte Zielvorgaben in das Gesetz aufgenommen, ohne den naturwissenschaftlichen Budgetansatz zu berücksichtigen. Das Klimaschutzgesetz sei „daher auch in seiner novellierten Fassung verfassungswidrig“.

Deutliche Kritik an Ampel

Die DUH-Bundesgeschäftsführung forderte, die Ampel-Regierung müsse „kurzfristig alle CO2-einsparenden Sofortmaßnahmen wie Tempolimit, energetische Sanierungsoffensive bei öffentlichen Gebäuden und sofortigen Stopp der Umwandlung von kohlenstoffspeichernden Ökosystemen wie Grünland und Feuchtwiesen ergreifen.“

Juristisch argumentiert DUH-Anwalt Remo Klinger in der neuen Beschwerde ähnlich wie im ersten Verfahren und beruft sich auf Artikel 20a des Grundgesetzes: Die Beschwerdeführer seien in ihren Freiheitsrechten bedroht: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“, steht dort. Das „Restbudget“ an klimaschädlichen Gasen, das absehbar noch zur Verfügung stehe, wenn die Erde sich nicht stärker erhitzen solle, sei endlich, schreibt Klinger. Je später die Bundesregierung handele, desto höher auch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen. „Das ist der zentrale Vorwurf: Die Reform orientiert sich weiterhin nicht an den Aussagen der Wissenschaft zum verbleibenden CO2-Budget“

Deutliche Kritik üben Beschwerdeführer und DUH auch an der neuen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Sie sei in der Pflicht, Sofortmaßnahmen gegen die Erderhitzung zu ergreifen, forderte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Die neue Bundesregierung spricht viel von ‚mehr Klimaschutz‘, die erste große Entscheidung von Klimaschutzminister Habeck war jedoch die Verlängerung der Förderung von Klimakiller-SUV um ein weiteres Jahr und der Stopp der Förderkredite für energieeffiziente Gebäude. Sofort umsetzbar, kostenlos und mit acht Millionen Tonnen CO2-Einsparung pro Jahr wirkungsvoll, ist die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen, Tempo 80 außerorts und Tempo 30 innerorts. Wenn sich diese Bundesregierung solchen konkreten Maßnahmen verweigert, müssen wir diese auf dem Klageweg durchsetzen.“

DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen auch natürliche Treibhausgassenken wie Wälder, Moore und Auen stärker geschützt werden. Deswegen müssen konkrete Ziele für die Steigerung der Kohlenstoffbindung durch Ökosysteme im Klimaschutzgesetz verankert und durch Mittel aus dem Bundeshaushalt unterfüttert werden. Insbesondere im Bereich der Landnutzung fehlen konkrete Sofortmaßnahmen wie ein sofortiges Verbot der Umwandlung von kohlenstoffspeicherndem Grünland und Feuchtgebieten in Ackerflächen. Die viel zu großen Nutztierbestände müssen auf ein klima- und naturverträgliches Maß reduziert werden. Ebenso kann die Renaturierung natürlicher oder naturnaher Ökosysteme einen bedeutenden Beitrag gegen die Klimakrise und das Artensterben leisten. Außerdem muss der Ausbau der Windenergie mit Artenschutzprogrammen gekoppelt werden, so dass Natur und Energiewende beide gewinnen.“

Die stellvertretende DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz: „Die Situation im Gebäudesektor ist alarmierend. Prognosen belegen, dass der Gebäudebereich 2021 die Klimaziele um 12 Millionen Tonnen CO2 erneut krachend verfehlt hat. Bis 2030 kumuliert sich diese Klimalücke auf mehr als 150 Millionen Tonnen CO2. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat in der Eröffnungsbilanz angekündigt, für mehr Sanierungen im Bestand zu sorgen, über diese Ankündigung geht es aber nicht hinaus. Gleichzeitig will die neue Bauministerin 400.000 neue Wohnungen zu einem nicht-klimazielkompatiblen Standard bauen. Dazu kommt, dass etwa 50 Prozent der Gebäude der öffentlichen Hand dringend sanierungsbedürftig sind. Wir erwarten von der neuen Ampel-Regierung Vorgaben für klimazielkompatibles Bauen und Sanieren, eine Sanierungsoffensive für öffentliche Gebäude – besonders Schulen und ordnungsrechtliche Vorgaben für die Bestandssanierung.“

Im Pariser Klimaschutzabkommen haben sich Deutschland und zahlreiche andere Staaten das Ziel gesetzt, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, möglichst aber auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Nachdem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Nachbesserungen zog die Regierung das Zieljahr für Klimaneutralität in Deutschland von 2050 auf 2045 vor. Das bedeutet, dass dann alle Treibhausgase vermieden oder ausgeglichen werden müssen. Auch das Emissionsziel für 2030 wurde hochgeschraubt und es wurden erstmals Ziele für die Zeit nach 2030 festgelegt. Das reiche auch im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht aus, heißt es in der Beschwerde

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