„Nur beim Gas klemmt es noch“

Deutschland reduziert Abhängigkeit von russischen Energieimporten „mit hohem Tempo“

Das Bundeswirtschafts- und Klimaministerium verweist in seinem „Fortschrittsbericht Energiesicherheit“ vor allem auf die Diversifizierung bei Kohle und Öl. Die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu reduzieren, wird hingegen als anspruchsvoll beschrieben. Für ein Embargo reicht es nach Ansicht von Habeck noch nicht. Sandra Enkhardt zitiert am 25.04.2022 im Portal pv magazine den grünen Minister Robert Habeck mit dem Satz: „Nur beim Gas klemmt es noch“.

Energiewende – anders – altes Plakat am BMWi – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Habeck habe seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs viel unternommen, um Deutschland aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu lösen. Am eindrücklichsten dabei sei wahrscheinlich sein Besuch bei den Scheichs in Katar gewesen, mit denen er eine Einigung über LNG-Lieferungen nach Deutschland erzielt habe. Am 25.03.2022 veröffentlichte das Ministerium den aktuellen „Fortschrittsbericht Energiesicherheit“, in dem die Anstrengungen dokumentiert sind.

„Erste wichtige Etappenziele sind erreicht, um uns aus dem Klammergriff der russischen Importe zu lösen“, sagte Habeck zur Veröffentlichung. Es gehe darum, die Versorgung auf eine breitere Basis zu stellen. Dies sei vor allem bei Öl und Kohle bereits gelungen. „Unternehmen lassen Verträge mit russischen Lieferanten auslaufen, verlängern sie nicht und stellen auf andere Lieferanten um. Und das in einem Wahnsinns-Tempo“, so seine Einschätzung.

Öl

Mit den Vertragsumstellungen werde die Abhängigkeit von russischen Öllieferungen in absehbarer Zeit auf etwa 25 Prozent gesenkt. Bis zur Jahresmitte sei eine Halbierung der russischen Ölimporte nach Deutschland angestrebt, bis zum Jahresende dann auf nahezu null.

Kohle

Ähnlich hoch sei das Tempo bei der Kohle. Die Unternehmen hätten ihre Verträge neu auf- und umgestellt. Bereits in den nächsten Wochen sinke so die Abhängigkeit von 50 auf 25 Prozent, der die neuen Verträge bereits ab April schrittweise wirksam würden. Bis zum Frühsommer würden ein Großteil der Kraftwerksbetreiber gänzlich auf russische Steinkohle-Lieferungen verzichten und ab Herbst komplett unabhängig sein.

Gas

Die Umstellung bei der Gasversorgung sei hingegen „anspruchsvoll“, doch auch diesbezüglich gebe es Fortschritte. Nach dem Bericht lag der Anteil der russischen Gaslieferungen in der Vergangenheit durchschnittlich bei 55 Prozent. Zum Ende des ersten Quartals sei er auf 40 Prozent gesunken. „Es liegt noch ein Weg vor uns und wir werden den Abschied von russischem Gas nur mit einem gemeinsamen Kraftakt schaffen – Bund, Länder, Kommunen, Unternehmen und private Haushalte zusammen“, erklärte Habeck.

Es gelte, auf einen Mix aus Maßnahmen zu setzen. „Es braucht den Ausbau der Erneuerbaren, die konsequente Senkung des Verbrauchs auf allen Ebenen, Diversifizierung und den schnellen Hochlauf von Wasserstoff“, so der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz weiter. Dann könnte der Anteil russischem Gas bis Sommer 2024 auf zehn Prozent gesenkt werden. Die Bundesregierung unternehme „alles“ dafür. Habeck verwies dazu unter anderem auf ein geplantes, groß angelegtes Energieeffizienzprogramm. Zudem sollen ab 2024 alle neu eingebauten Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Die Verhandlungen zu drei schwimmenden LNG-Terminals mit Uniper und RWE befänden sich ebenfalls auf der Zielgeraden. Die Bundesregierung suche derzeit noch nach geeigneten Standorten in Nord- und Ostsee, die bereits im kommenden Winter genutzt werden könnten.

Diskussionen, ein Embargo für russische Energielieferungen zu verhängen, erteilte Habeck aktuell eine Absage. „Wir gehen konsequent voran und wägen zugleich besonnen ab. Auch wenn wir unabhängiger von russischen Importen werden, ist es für ein Energieembargo zum jetzigen Zeitpunkt zu früh“, so Habeck. „Noch wären die ökonomischen und sozialen Folgen zu gravierend. Aber jeder Liefervertrag, der beendet wird, schadet Putin.“

Im Wortlaut: Fortschrittsbericht Energiesicherheit: „Deutschland reduziert Energieabhängigkeit von Russland in hohem Tempo

Deutschland ist dabei, seine Energieabhängigkeit von Russland in hohem Tempo zu verringern und die Energieversorgung auf eine breitere Basis zu stellen. Durch intensive Anstrengungenmit allen relevanten Akteuren ist es gelungen, deutliche Fortschritte zu erzielen, dieLieferketten zu diversifizieren und damit die Abhängigkeit schrittweise deutlich zu verringern.

Was seit Beginn des Krieges bereits geschehen ist

Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Kriegsbeginn Aktivitäten aufgenommen, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern und gleichzeitig die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Dazu gehören:

  1. Es gibt einen regelmäßigen Austausch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit allen wesentlichen Akteuren auf EU, Bundes undLandesebene zur aktuellen Energieversorgungssituation. Hier werden auch kontinuierlich Möglichkeiten der Reduktion der Importe von russischen Energieträgern diskutiert und vorbereitet. In diesem Kontext unterstützt das Ministerium Unternehmen darin, schrittweise russische Energieträger zu ersetzen. Die Versorgungssicherheit ist aktuell gewährleistet; die Bundesregierungunternimmt alle Anstrengungen, damit dies so bleibt.
  2. Die Bundesregierung hat am 1. März 2022 in Ergänzung zu den bereits im Winter stattgefundenen RegelenergieAnkäufen auf dem Gasmarkt ein Ankaufprogramm zur Beschaffung von min. 700 Mio. m3 Gas beschlossen. Die Beschaffung für den Bund erfolgt aktuell durch den Marktgebietsverantwortlichen Gas (Trading Hub Europe, THE) zur Anlandung an LNG (Liquefied Natural Gas )Terminals an der Nordsee und wird in Deutschlands Erdgasspeichern eingespeichert.
  3. Zur Marktberuhigung hat sich die Bundesregierung am 2. März 2022 an einer gemeinsamen Aktion aller IEAMitgliedstaaten beteiligt, um 60 Mio. Barrel Öl und Ölprodukte aus den nationalen Ölreserven freizugeben. Deutschlands hat sich dabei entsprechend seinem Anteil mit rd. 3,2 Mio. Barrel beteiligt.
  4. Am 4. März 2022 wurde von KfW, Gasunie und RWE ein Memorandum of Understanding zur gemeinsamen Errichtung eines Terminals für den Import von Flüssigerdgas (LNG) am Standort Brunsbüttel unterzeichnet. Weitere Standorte werden kontinuierlich geprüft.
  5. Am 25. März beschließt der Deutsche Bundestag das Gesetz zur nationalen Gasreserve. Es soll am 1. Mai 2022 in Kraft treten und formuliert Füllstandsvorgaben für die Gasspeicher. Zu Beginn der kommenden Heizperiode werden die Gasspeicher so ausreichend gefüllt sein.
  6. Die Bundesregierung hat zusammen mit der Bundesnetzagentur einen Prozess aufgesetzt, um gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern die Beschaffung und Reservebildung bei Kohle voranzutreiben.
  7. Die Bundesregierung hat über die Unternehmen RWE und Uniper drei schwimmende LNGTerminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) optioniert, um die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu erhöhen. Die Unternehmen sind aktuell in den Vertragsverhandlungen über die Anmietung dieser schwimmenden LNGTerminals. Diese Verhandlungen befinden sich auf der Zielgeraden. Die Bundesregierung prüft derzeit mögliche Standorte an der Nord und Ostsee, in denen diese kurzfristig teilweise schon für den Winter 2022/23 zum Einsatz kommen können.
  8. Im Rahmen des Sofortprogramms („Osterpaket“) soll eine umfassende EEGNovelle m Kabinett beschlossen werden. Es wird die größte Beschleunigungsnovelle des EEG seit dem Beschluss des Gesetzes im Jahr 2000. Darüber hinaus wird das Windenergie-auf-See-Gesetz novelliert, das den Ausbau der Offshore Windkraft beschleunigen wird. Im Gebäudeenergiegesetz werden die Gebäudestandards angehoben.

Wo wir aktuell stehen und was erreicht werden kann

  1. Ein zentraler Baustein unserer gemeinsamen Anstrengungen, noch in diesem Jahr unsere Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, ist es, deutlich weniger Öl und Gas zu verbrauchen und zwar sowohl direkt (v.a. beim Heizen, für den Transport und in Produktionsprozessen) als auch indirekt durch die Elektrifizierung von bisherigen Öl- und Gasanwendungen. Jede eingesparte Kilowattstunde ist ein Beitrag zu Energiesicherheit und Energieunabhängigkeit. Besondere Anstrengungen müssen wir in den Bereichen Verkehr und Gebäude unternehmen – denn hier ist die Abhängigkeit von Öl und Gas besonders groß, zudem haben beide Sektoren 2021 ihre Klimaschutzziele verfehlt. Die Bundesregierung wird daher in diesem Jahr die Anstrengungen im Bereich Energieeffizienz nochmals erheblich steigern, um gemeinsam mit Unternehmen und Privathaushalten den Gas- und Ölverbrauch kurzfristig deutlich zu senken. Sie investiert überall dort, wo sich Energieverbrauch am schnellsten einsparen lässt: Ab 2024 soll möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren betrieben werden. Wir finanzieren ein Austauschprogramm von Gasheizungen zu Wärmepumpen. Bereits ab Januar 2023 wird im Neubau der Effizienzstandard 55 verbindlich festgelegt. Damit verringern wir Stück für Stück die Abhängigkeit von fossilen Energien für die Wärmeversorgung und steigen aus der Gasheizung aus.
  2. Importe aus Russland bedienten im vergangenen Jahr etwa 35 Prozent des deutschen Ölverbrauchs. In den vergangenen Wochen wurden im engen Austausch zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der Mineralölwirtschaft Schritte eingeleitet, die Lieferbeziehungen mit Russland zu beenden: Verträge werden nicht verlängert, laufen nun aus und russische Importe werden so schrittweise ersetzt. Durch die Vertragsumstellungen sinkt die Abhängigkeit von russischem Öl bereits jetzt absehbar auf 25 Prozent; diese veränderten Lieferketten werden schon in den kommenden Wochen und Monaten wirksam. Bis Mitte des Jahres werden die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein. Zum Jahresende streben wir an, nahezu unabhängig zu sein.
    Allerdings ist der Prozess anspruchsvoll: Die kurzfristige Substitution von Rohöl in geeigneten Qualitäten insbesondere an den Raffinerie-Standorten Leuna und Schwedt, die Tankstellen, Fluggesellschaften, Privathaushalte und Unternehmen unter anderem mit Benzin, Diesel, Flugbenzin oder etwa Heizöl versorgen, stellt die Mineralölwirtschaft vor größere Herausforderungen, da sie ihr Rohöl über Pipelines aus Russland beziehen. Für die Umstellung müssen eine Reihe von Voraussetzungen geschaffen werden: Es sind Lieferungen über Häfen (Rostock, ggf. Danzig) notwendig – dazu ist das BMWK im Austausch mit der polnischen Regierung – und es müssen Lieferungen aus dem Westen per LKW und Zug erfolgen. Die Unternehmen und die Bundesregierung arbeiten aktuell mit Hochdruck daran, diese Voraussetzungen zu schaffen. Total, der Betreiber der Raffinerie in Leuna, die etwa ein Drittel der russischen Ölimporte abnimmt, hat die Verträge umgestellt, so dass die Ölimporte aus Russland ab Mitte April halbiert sind; das Ende aller Lieferbeziehungen mit Russland ist bis zum Ende des Jahres 2022 angekündigt. Ein weiteres Drittel der Ölimporte aus Russland entfällt auf Raffinerien in Westdeutschland. Hier ist eine Substitution russischer Importe über andere Lieferwege einfacher zu organisieren.
    Das letzte Drittel der russischen Ölimporte entfällt auf die Raffinerie in Schwedt. Da sie weitgehend im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft ist, ist hier eine freiwillige Beendigung der Lieferbeziehungen mit Russland deutlich schwieriger. Es rächt sich, dass trotz des Krim-Kriegs ein russischer Energiekonzern so starken Einfluss auf die Versorgungssituation bekommen hat. Die Bundesregierung kümmert sich intensiv darum, dieses komplexe Problem zu lösen, um so die völlige Unabhängigkeit von russischem Öl zu erreichen.
  3. Russische Steinkohle machte bisher rund 50 Prozent des deutschen Steinkohleverbrauchs aus, der Anteil in den Kohlekraftwerken lag sogar noch höher. Der Großteil der Betreiber von Kraftwerken der öffentlichen Versorgung hat bereits jetzt angefangen, den Einsatz russischer Steinkohle zu reduzieren. Ein Großteil der Betreiber von Kraftwerken wird bis zum Frühsommer gänzlich auf RUS Steinkohle verzichten bzw. den Einsatz stark reduzieren. Auch bei den großen industriellen Nutzern von Kohle – namentlich der Stahlindustrie, deren Importanteil russisches Koks bei 11 Prozent liegt – erfolgt bereits eine Umstellung der Lieferverträge. Durch die Vertragsumstellungen sinkt die Abhängigkeit bei Kohle in den nächsten Wochen von 50 Prozent auf rund 25 Prozent; dies ist schon ab April Schritt für Schritt wirksam. Bis zum Herbst kann Deutschland unabhängig von russischer Kohle sein.
  4. Die Unabhängigkeit von russischem Gas kann aber nur durch einen nationalen Kraftakt erreicht werden. Nötig sind viele Schritte von vielen Akteuren gleichzeitig – Bund, Ländern, Kommunen, Unternehmen und privaten Haushalten. Die Bundesregierung arbeitet im engen Austausch mit den betroffenen Bundesländern mit Hochdruck daran, bereits 2022 und 2023 zusätzlich mehrere schwimmende LNG-Terminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) in Deutschland in Betrieb zu nehmen. Das erfordert einen enormen Einsatz aller Beteiligten – auch um die technischen Voraussetzungen zu schaffen, z.B. beim Bau der Anschluss-Pipelines.Flankiert durch politische Gespräche sind die Versorgungsunternehmen dabei, ausreichende LNG-Verträge abzuschließen. Bezog Deutschland im Jahr 2021 noch 46 Mrd. m³ Gas aus Russland, können diese durch LNG-Kapazitäten zu einem guten Teil ersetzt werden, und zwar wie folgt: Die Bundesregierung sichert den LNG- Gaseinkauf und Gasweiterverkauf über die Niederlande von bis zu 1 Mrd. m³ bereits in 2022 kurzfristig ab. Mit der Anmietung der drei schwimmenden LNG Terminals (FSRU) können schrittweise bis Sommer 2024 rund 27 Mrd. m³ LNG in der Endstufe angelandet werden. Bereits zum Winter 2022/2023 können so 7,5 Mrd. m³ LNG dem Markt zusätzlich zur Verfügung stehen. Weitere LNG-Terminals, wie das Terminal Brunsbüttel mit einer Kapazität von 8 Mrd. m³, befinden sich in Planungsprozessen und stehen ab 2026 für die Versorgung bereit.
    Gemeinsam mit kurzfristigen Anstrengungen von Unternehmen und Privathaushalten zur Reduktion des Gaseinsatzes durch Energieeffizienz, Energieeinsparung und Elektrifizierung kann bis Ende des Jahres der Anteil russischer Gaslieferung am Gasverbrauch so auf etwa 30% gesenkt werden. Die Unabhängigkeit von russischem Gas kann in einem gemeinsamen Kraftakt bis Sommer 2024 weitgehend erreicht werden. Dies setzt zwingend Diversifizierung, Einsparungen, den schnelleren Hochlauf von Wasserstoff sowie den massiven Ausbau der Erneuerbaren voraus. So ist in der Summe die schrittweise Reduktion von russischem Gas auf nur noch 10% des Gasverbrauchs bis Sommer 2024 möglich.
    Die Reduktion von Gasimporten aus Russland ist aufgrund der hohen Abhängigkeit und den Infrastruktur-Voraussetzungen noch mal anspruchsvoller. Der Anteil der russischen Gaslieferungen lag in der Vergangenheit im Mittel bei 55 Prozent. Zum Ende des 1. Quartals ist er auf 40 Prozent gesunken. Das war durch Umstellungen im Gasbezug möglich, die durch das Agieren des russischen Gaslieferanten notwendig wurden, nachdem dieser im Winter das Angebot am kurzfristigen Spotmarkt ausgesetzt hatte, wodurch die Preise für Gas deutlich stiegen und die Speicherstände sanken. Im Gegenzug wurden der Erdgasbezug aus Norwegen und den Niederlanden erhöht sowie die LNG-Importe signifikant gesteigert.

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