Sofortprogramme zur Einhaltung der Klimaziele – gleichzeitig Reaktivierung von Kohle und Öl

Ministerien präsentieren Klimaschutz-Nachbesserungen

Deutschland verfehlt erneut das schon für 2020 gesetzte Ziel von 40 Prozent weniger Treibhausgas-Ausstoß im Vergleich zu 1990. Daher haben die Ministerien für Bau, Wirtschaft und Verkehr am 13.07.2022 (je) ein Sofortprogramm vorgelegt: Keine neuen Gasheizungen ab 2024, neue Bundesgelder für Sanierung und Neubau, klimafreundliche Fernwärme und mehr Ladesäulen Die Programme sollen dafür sorgen, dass im Gebäude- und Verkehrsbereich weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Die Emissionen sanken im langfristigen Vergleich lediglich um 38,7 Prozent. Die Deutsche Umwelthilfe forderte als Baustein für ein Klima-Sofortprogramm ein Tempolimit von 100 km/h. Kritik kam auch von Agora Verkehrswende.

Wasserdampf-, CO2– und Rauchausstoß in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Das ZDF auf seiner Webseite: „Eine Einigung ist vor allem am Zwist zwischen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gescheitert. Habeck konnte sich zumindest mit seiner Kabinettskollegin Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) bis Mittwoch einigen. Beide Ministerien präsentierten ihre Einsparvorschläge – etwa 30 Minuten getrennt von Wissing, der allein zur Pressekonferenz einlud. Andere Ressorts hielten sich völlig zurück.“

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat am 13.07.2022  gemäß dem Bundes-Klimaschutzgesetz sein Sofortprogramm zur Einhaltung der Klimaziele im Verkehrsbereich vorgelegt. Und das BMWK und BMWSB legen ein Sofortprogramm mit Klimaschutzmaßnahmen für den Gebäudesektor vor. Ziel ist es, den Gebäudesektor klimapolitisch auf Kurs zu bringen, so dass die nach dem Klimaschutzgesetz zulässigen Jahresemissionsmengen künftig eingehalten werden können und Deutschland sein nächstes Klimaziel erreicht.

Das Sofortprogramm war notwendig geworden, weil die Emissionen des Gebäudesektors im Jahr 2021 die zulässige Jahresemissionsmenge um zwei Mio. Tonnen CO2-Äquivalente überschritten hatten. Diese Überschreitung hatte das Umweltbundesamt am 15.03.2022 festgestellt. Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hatte die Zahlen am 13.04.2022 bestätigt. Nach § 8 Bundes-Klimaschutzgesetz sind daher BMWK und BMWSB verpflichtet,  Sofortprogramme vorzulegen, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen in den folgenden Jahren sicherstellt.

Bei dem Gebäude-Sofortprogramm handelt es sich um einen gemeinsamen Vorschlag von BMWK und BMWSB. Das Programm wird nun dem Expertenrat für Klimafragen zur Stellungnahme zugeleitet. Anschließend berät die Bundesregierung über die zu ergreifenden Maßnahmen und beschließt diese schnellstmöglich. Da gerade innerhalb der Bundesregierung ein umfassendes Klimaschutz-Sofortprogramm abgestimmt wird, ist geplant, die im Programm enthaltenen Maßnahmenvorschläge in das Gesamtprogramm zu integrieren.

Sofortprogramm für den Gebäudesektor – Die Maßnahmen im Detail:

    1. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG)
      Mit der GEG-Novelle soll u. a. gesetzlich festgeschrieben werden, dass ab 01.01.2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben wird. Der Neubaustandard soll gemäß Koalitionsvertrag ab 2025 an den EH40-Standard angeglichen werden. Auf EU-Ebene wird der Vorschlag der EU-Kommission vom 15.12.2021 zu den Mindestenergieeffizienzstandards (MEPS) im Rahmen der Gebäude-Richtlinie unterstützt. Die konkrete Ausgestaltung ist aufgrund der laufenden Verhandlungen noch zu definieren. Die Regelungen sollen nach Beschluss der EU-Gebäuderichtlinie noch in dieser Legislaturperiode in deutsches Recht umgesetzt werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass technische Machbarkeit und Sozialverträglichkeit angemessene Berücksichtigung finden.
    2. Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG)
      Die BEG wird die neuen Vorgaben des GEG flankieren und insbesondere bis zu deren Inkrafttreten die Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer auf die ab 2024 neu geltenden EE-Wärmeanforderungen (65 Prozent EE-Wärme) an neue Heizungen effektiv vorbereiten. Richtschnur für die Neuausrichtung der BEG ist die Sicherstellung der Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestands ab 2045. Die derzeit existierende Sanierungsdynamik soll aufrechterhalten werden.
    3. Richtlinie für die Förderung von Pilotprojekten der Seriellen Sanierung und flankierenden Maßnahmen (Bundesförderung Serielle Sanierung)
      Bereits am 7. Mai 2021 startete das BMWK-Programm zur Förderung der Seriellen Sanierung. Die Serielle Sanierung ist eine innovative Methode zur Gebäudesanierung: Mit vorgefertigten Dach- und Fassadenelementen einschließlich damit verbundener Anlagentechnik sollen Gebäude schnell und hochwertig energetisch saniert werden. Die Maßnahme umfasst die Weiterführung des Förderprogramms.
    4. Initiative öffentliche Gebäude
      Mittels einer neuen Maßnahme zur Erhöhung der Sanierungsrate bei allen öffentlichen Gebäuden soll ein vergleichbares Ambitionsniveau wie das der „Energieeffizienzfestlegungen für klimaneutrale Neu-/ Erweiterungsbauten und Gebäudesanierungen des Bundes“ erreicht werden.
    5. Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur
      Mit dem BMWSB-Bundesprogramm „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ sollen künftig kommunale Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur mit hoher Qualität im Hinblick auf ihre energetischen Wirkungen und Anpassungen an den Klimawandel gefördert werden. Dabei geht es bspw. um die energieeffiziente Sanierung von Schwimmbädern, was mit einer gleichzeitigen Reduktion von Treibhausgasen verbunden ist.
    6. Zukunft Bau – Modellvorhaben für Innovation im Gebäudebereich
      Mit dem Förderprogramm Zukunft Bau – Modellvorhaben für Innovation im Gebäudebereich des BMWSB sollen Vorhaben gefördert werden, die vielversprechende Lösungen der Forschung und Entwicklung praktisch erproben.
    7. Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)
      Die BEW setzt Anreize zur Umstellung von vorwiegend fossilen Wärmenetzen auf erneuerbare Energien und Abwärme sowie den Neubau von Wärmenetzen mit mindestens 75 Prozent an Einspeisung aus erneuerbarer Wärme und Abwärme. Ergänzend werden Einzelmaßnahmen gefördert. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen das System der bisherigen netzgebundenen Wärmeversorgung umgebaut und vorhandene Wärmenetze auf die Nutzung erneuerbarer Wärme und unvermeidbarer Abwärme umgestellt werden.
    8. Gesetz für kommunale WärmeplanungUm die kommunale Wärmeplanung (KWP) mit Blick auf die Klimaziele rechtzeitig und effektiv flächendeckend einzuführen, ist eine gesetzliche Bundesregelung notwendig. Die genaue Ausgestaltung der bundesgesetzlichen Regelung zur KWP ist derzeit noch offen.
    9. Aufbauprogramm und Qualifikationsoffensive Wärmepumpe
      Wärmepumpen sind durch ihren hohen Effizienzgrad und potenzielle Treibhausgas-Neutralität eine Schlüsseltechnologie im Wärmebereich. Das Aufbauprogramm soll zunächst drei Komponenten umfassen:

1. Weiterbildungen zur Planung und zum Einbau von Wärmepumpen in Wohngebäuden;
2. Schulungen im Bereich natürliche Kältemittel für Wärmepumpen zur Sachkundezertifizierung;
3. Schulungen speziell für den Wärmepumpeneinbau im Bestand mit Blick auf Niedertemperaturfähigkeit und unter Berücksichtigung der Peripherie inkl. qualitativer Beurteilung der Heizverteilung, Heizkörper und Heizlastberechnung.

  1. Optimierung bestehender Heizungssysteme
    Aktuell werden verschiedene – auch ordnungsrechtliche – Umsetzungsoptionen jenseits von Förderung erarbeitet und diskutiert. Ziel ist es, zeitnah eine Optimierung bestehender Heizungssysteme zu initiieren.

11. Energieeffizienzgesetz (EnEfG)
Mit dem Energieeffizienzgesetz wird erstmals ein sektorübergreifender rechtlicher Rahmen zur Steigerung der Energieeffizienz geschaffen und das Ambitionsniveau des Klimaschutzgesetzes für die Energieeffizienz festgeschrieben. Gleichzeitig werden mit dem EnEfG wichtige Anforderungen aus der laufenden EU-EED-Novelle (Energy Efficiency Directive) national umgesetzt. Die daraus resultierenden Maßnahmen werden u.a. zu erheblichen Treibhausgasminderungen im Gebäudesektor führen.

Weitere Informationen

Das jetzt vorgeschlagene Sofort-Programm richtet die Klimapolitik im Gebäudesektor ambitioniert neu aus und schließt die Lücke bis 2030. Die Wirkungsabschätzung der Maßnahmen zeigt, dass die Jahresemissionsmengen in den Jahren 2022 bis 2026 voraussichtlich zunächst nicht eingehalten werden, in der Summe aber ab 2028 bis 2030 eine Übererfüllung zur Einhaltung der zulässigen Emissionsmenge für den Gesamtzeitraum (2022-2030) führt.

Der Treibhausgasausstoß im Gebäudebereich betrug 2021 115 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (Ziel laut BKG: 113 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente). Bis 2030 muss der Ausstoß auf 67 Mio. t CO2-Äquivalente (festgelegte Emissionsmenge 2030 lt. BKG) sinken.
Die Emissionslücke zw. 2022 und 2030 beträgt ca. 152 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente (aufsummierte jährliche Werte lt. Projektionsbericht der Bundesregierung, ohne dieses Sofortprogramm). Mit dem Sofortprogramm lässt sich der Treibhausgasausstoß im Gebäudesektor zw. 2022 und 2030 in Summe um etwa 156 bis 161 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente absenken und die bestehende Emissionslücke schließen.

Wissing: „Wir wollen auch im Verkehrsbereich die Klimaziele einhalten. Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung wurde im Verkehrssektor die Umsetzung einer Vielzahl an Klimaschutzmaßnahmen bereits eingeleitet. Ein Großteil dieser Maßnahmen wird aber erst nach und nach greifen, beispielsweise aufgrund der langen Realisierungszeiten für Infrastrukturprojekte. Im Jahr 2021 wurden die Emissionsziele des Verkehrssektors um etwa 3 Millionen Tonnen CO2 überschritten. Mit unserem heute vorgestellten Maßnahmenpaket gleichen wir die Differenz vollständig aus und führen den Verkehrssektor zurück auf den Pfad der Einhaltung der Klimaziele.“

Um die Treibhausgasemissionen dauerhaft zu reduzieren, setzt Wissing auf klimafreundliche Mobilität. Durch den Aufbau der Ladeinfrastruktur fördere er den Hochlauf der Elektromobilität im Bereich der Pkw sowie der Nutzfahrzeuge und mit einer Ausbauoffensive Radverkehr den Ausbau der Radinfrastruktur, damit das Fahrrad zu einer attraktiveren Alternative insbesondere im Nahverkehr werde, so eine Medienmitteilung aus dem BMDV. Eine Ausbau- und Qualitätsoffensive Öffentlicher Personennahverkehr wird dazu beitragen, dass dieser im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern an Attraktivität gewinnt.

Dem Klimaschutzgesetz entsprechend berät die Bundesregierung im nächsten Schritt über die vorgelegten Maßnahmen und beschließt diese schnellstmöglich. Vor Erstellung der Beschlussvorlage über die Maßnahmen werden diese dem Expertenrat für Klimafragen zur Prüfung der zugrunde gelegten Annahmen zur Treibhausgasreduktion übermittelt. Parallel dazu laufen die Abstimmungen zur Finanzierung im Rahmen der Verhandlungen zum Energie- und Klimafonds.

Unabhängig davon arbeitet die Bundesregierung parallel an einem umfassenden und sektorübergreifenden Klimaschutz-Sofortprogramm, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Dazu laufen aktuell noch die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung.

Im Verkehrssektor wurden im Jahr 2021 rund 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Die Treibhausgasemissionen lagen damit etwa 3 Mio. Tonnen über der laut Klimaschutzgesetz für das Jahr 2021 zulässigen Jahresemissionsmenge von 145 Mio. Tonnen-Äquivalenten.

Gemeinsame Pressemitteilung von BUND und Paritätischem Gesamtverband: Klimaschutz auf die lange Bank geschoben und soziale Schieflagen nicht berücksichtigt

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Paritätische Gesamtverband fordern Nachbesserungen am Klimaschutz-Sofortprogramm für den Gebäudesektor. Das Programm von Klimaminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) weise große Lücken auf. Es reiche bei weitem nicht aus, um gegen die Energieverschwendung in Gebäuden vorzugehen und Armut wirksam zu bekämpfen. Nur mit zügigen Nachbesserungen könnten die Klimaziele zukünftig eingehalten, die fossile Abhängigkeit reduziert und die weitere soziale Spaltung der Gesellschaft verhindert werden.

BUND-Vorsitzender Olaf Bandt: „Das Programm enthält wichtige Ansätze. Die vorgelegten Maßnahmen reichen aber nicht, um ausreichend Tempo in die dringend notwendige energetische Gebäudemodernisierung zu bringen. Es ist nicht akzeptabel, dass Klimaminister Habeck und Bauministerin Geywitz zentrale Instrumente auf die lange Bank schieben. Wir brauchen noch in diesem Jahr wirksame Maßnahmen gegen Energieverschwendung im Gebäudebestand. So wäre es einfach umsetzbar, bestehende Ausnahmen im Gebäudeenergiegesetz zu streichen, mit denen viele Vorschriften zur energetischen Modernisierung bisher quasi ins Leere laufen. Vorgaben für die Optimierung von Heizungsanlagen zu diskutieren und zu prüfen reicht nicht. Sie sind längst überfällig, die Ministerien müssen sie noch in diesem Jahr umsetzen. Fatal ist, dass mit Mindesteffizienzstandards für den Gebäudebestand auf die Beschlüsse in Brüssel gewartet werden soll. Gerade in den klimaschädlichsten Gebäuden, die durch die Vorgaben als erstes energetisch ertüchtigt würden, belastet die massive Energieverschwendung insbesondere arme Menschen jeden Monat stark.“

Mit Blick auf die soziale Flankierung notwendiger klimapolitischer Maßnahmen im Gebäudebereich erklärt Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands: „Wer es ernst meint mit einer sozial-ökologischen Wende, die alle mitnimmt, muss nicht nur klima- sondern auch sozialpolitisch konsequent sein – die vorliegenden Pläne der Bundesregierung sind weder das ein noch das andere. Es braucht nicht nur Mut für echten Klimaschutz, sondern auch die Entschlossenheit, diesen Wandel sozial gerecht zu gestalten. Es braucht gezielte, substantielle und bedarfsgerechte Unterstützung insbesondere für arme Menschen, um die sich stetig verschärfende Heizkostenkrise zu meistern.“ So seien unter anderem eine deutliche Anhebung der Leistungen der sozialen Mindestsicherung auf ein bedarfsgerechtes Niveau durch eine Erhöhung des Regelsatzes in der Grundsicherung auf derzeit 678 Euro nötig sowie Reformen beispielsweise bei BAföG oder Wohngeld. Darüber hinaus müsse zur generellen Entlastung eine konsequente Mietpreisdämpfungspolitik umgesetzt und vorhandene Instrumente wie die Mietpreisbremse nachgeschärft werden. Sichergestellt sein müsse zudem, dass Kosten für energetische Modernisierungen höchstens warmmietenneutral an Mieter*innen weitergegeben werden. Dringend notwendige Maßnahmen an Fenstern, Dach, Wänden und im Heizungskeller dürften nicht dazu führen, dass am Ende die Warmmiete sogar noch weiter steigt.

Insgesamt zeigen sich der Paritätische Gesamtverband und der BUND enttäuscht, dass die Bundesregierung mit dem Gebäude-Sofortprogramm ihren rechtlichen Pflichten nicht entschlossen nachkommt. Auch sei bedauerlich, dass sie immer noch kein Klimaschutz-Sofortprogramm für alle Ressorts vorgelegt hat, um den Aufbruch in eine sozial-ökologische Zukunft in allen Bereichen zu schaffen. „Und das, was bislang vorliegt, wird weder ökologischen noch sozialen Belangen gerecht“, so Bandt und Hesse übereinstimmend.

Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG e.V.)

„Modernisierungen an der Gebäudehülle wie Dämmung, Fenster und Co. finden kaum Berücksichtigung, obwohl sie den Verbrauch eines jeden Gebäudes schlagartig und signifikant senken. Die Gebäudehülle außer Acht zu lassen, ist ein strategischer Fehler in Hinblick auf Verbrauchreduzierung und Klimaschutz“, sagt Jan Peter Hinrichs, Geschäftsführer des BuVEG. Die Gebäudehülle spielt nicht nur selbst bei der Verbrauchssenkung eine wichtige Rolle, sie ermöglicht auch erst anderen Strategien wie der Wärmepumpe-Offensive ihr Gelingen: Denn ohne eine modernisierte Gebäudehülle können Wärmepumpen erst gar nicht ihre volle Wirkung entfalten. Hinrichs abschließend: „Die Bundesregierung sollte ihr Sofortprogramm dringend nachjustieren, sonst wird der Gebäudesektor weiterhin ein Sorgenkind bleiben.“

Wiebke Zimmer, Agora Verkehrswende: „Dienstwagenbesteuerung, Pendlerpauschale, Pkw-Maut und CO2-Preis in Kombination mit einer Klimaprämie“

„Der rasende Stillstand in der deutschen Verkehrspolitik ist atemberaubend. Der Verkehrssektor tritt bei der Minderung der Treibhausgasemissionen auf der Stelle. Die bisher angedachten politischen Maßnahmen greifen viel zu kurz. Daran ändert auch das Sofortprogramm nichts. Im Gegenteil: Es ist kein gutes Zeichen, dass die Bundesregierung sich nicht wie angekündigt auf ein komplettes Sommerpaket – das heißt ein sektorübergreifendes Klimaschutz-Sofortprogramm – einigen konnte. Mit dem heute für den Verkehrssektor vorgelegten Sofortprogramm soll offensichtlich erst einmal nur die CO2-Zielverfehlung aus dem Jahr 2021 ausgeglichen werden – und das auch noch über Jahre verteilt. Eine Minimallösung also. Anreize für Ladeinfrastruktur, Radverkehr und ÖPNV sollen gestärkt werden, aber die Fehlanreize für den fossilen Autoverkehr bleiben unangetastet. Gerade im Verkehrssektor haben wir nicht die Zeit, weiter auf ein umfassendes Gesamtpaket zu warten. Die Klimaziele stehen fest und die Klimakrise drängt.

Die Bundesregierung hat mittlerweile mehrfach gezeigt, dass sie noch nicht für die Verkehrswende bereit ist: Es gibt einen Tankrabatt, der viel Geld kostet, kaum Entlastung bringt und die Abhängigkeit von Ölimporten zementiert; es gibt zwar ein europäisches Verbrenner-Aus, aber die notwendige deutliche Verschärfung der EU-Flottengrenzwerte auch in den Jahren vor 2030 bleibt aus; und es gibt weiterhin kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, obwohl es sofort wirken, kaum etwas kosten und obendrein auch noch schwere Unfälle reduzieren würde.

Wer solche Entscheidungen trifft, muss an anderer Stelle umso mehr klotzen. Erforderlich sind insbesondere grundlegende Reformen von nationalen Fiskalinstrumenten wie Kfz-Steuer, Kaufprämie, Dienstwagenbesteuerung, Pendlerpauschale, Pkw-Maut und CO2-Preis in Kombination mit einer Klimaprämie. An all diesen Stellen geht es darum, systematisch klimaschädliche Privilegien und Subventionen abzubauen und für mehr Klimaschutz und soziale Ausgewogenheit zu sorgen. Zusammen mit Fördermaßnahmen für klimafreundliche Verkehrsmittel und einem Rechtsrahmen, der die Kommunen als Gestalterinnen der Verkehrswende stärkt, ergäbe das ein wirkliches Gesamtpaket für den Klimaschutz.

Wir hatten schon vor der Bundestagswahl empfohlen, dass die neue Bundesregierung in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit ein Gesamtkonzept für den Kurs auf Klimaneutralität im Verkehrssektor vorlegt. Denn es mangelt nicht an Vorschlägen, sondern an politischen Entscheidungen. Jetzt ist mehr als ein halbes Jahr vergangen und ein Gesamtkonzept ist noch immer nicht in Sicht. 2022 wird also, wenn es so weitergeht, ein weiteres verlorenes Jahr für die Verkehrswende sein.“

Wiebke Zimmer ist Mitglied im Expertenbeirat Klimaschutz in der Mobilität des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Einen Vorschlag für ein Gesamtkonzept zum Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor hat Agora Verkehrswende im Politikpapier „Vier Jahre für die Fairkehrswende“ vorgelegt (online unter: https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/vier-jahre-fuer-die-fairkehrswende/).

Vielleicht im September, so ist zu hören, könnte es ein komplettes Einsparkonzept der ganzen Bundesregierung geben (zdf am 13.07.2022).

Hintergrund: Der Gebäudesektor verfehlte im vergangenen Jahr bereits zum zweiten Mal die laut Klimaschutzgesetz höchstens zulässigen CO2-Emissionen. Bis heute hatten die zuständigen Ministerien Zeit, ein Sofortprogramm vorzulegen, das gemäß Paragraph 8, Klimaschutzgesetz „die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt.“ Der Expertenrat Klimaschutz muss nun bewerten, ob die vorgelegten Maßnahmen ausreichen, um diese Vorgabe zu erfüllen.

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