Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit schließen

Wuppertal-Institut: „Deutschland könnte Ziele im Klima- und Ressourcenschutz noch erreichen“

Das Wuppertal-Institut veröffentlichte am 20.09.2022 einen Zukunftsimpuls unter dem Titel: „Transformationslücke schließen – Handeln unter Hochdruck“: Deutschland liegt bei Klimaschutz und der langfristigen Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung weit hinter seinen eigenen Zielen. Nur mit Tempo, Mut und Ehrlichkeit lässt sich der Rückstand jetzt aufholen. Dazu gehören ein beschleunigter Ausbau Erneuerbarer Energien, der sofortige Aufbau eines umfassenden Netzes für grünen Wasserstoff, verbindliche Ziele für eine echte Kreislaufwirtschaft, klare Vorgaben für den Wohnungsbestand, eine ernsthafte Mobilitätswende und wirksame Anreize für eine nachhaltige Produktion.

CO2 – Montage © Gerhard hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Bei all dem müssen sozial gerechte Lösungen gefunden werden, nur so lässt sich CO2-Vermeidung und Ressourcenschutz in der Breite durchsetzen. Der jetzt veröffentlichte Zukunftsimpuls zeigt, wie sehr Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit seinen eigenen Zielen hinterherhinkt.

„Die Bundesregierung hat zu Recht anspruchsvolle Ziele für eine klimaneutrale Energieversorgung, den Ausbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft und für weniger Ressourcenverschwendung gesetzt“, erklärt Prof. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. Dass die Ziele der Politik in die richtige Richtung zeigen, mache die von Russland als politische Waffe eingesetzten Energierohstoffe deutlicher als jemals zuvor.

„Es ist aber noch nicht ausreichend klar kommuniziert, wie entschieden, schnell und mutig Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jetzt gemeinsam handeln müssen, um diese Ziele auch zu erreichen“, erklärt Fischedick. „Die Stoßrichtung des Zukunftsimpulses sei daher, die Herausforderungen deutlich zu machen und aufzuzeigen wo und warum es hakt“. Die notwendigen Transformationsbemühungen seien gewaltig: Denn trotz hoher Ziele komme etwa der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die energetische Sanierung der Gebäude und die grundsätzliche Einsparung von Rohstoffen absehbar nicht schnell genug voran. Das liegt nicht zuletzt an Zielkonflikten, vor allem aber auch an hohen Zeitkonstanten, die in den verschiedenen Bereichen bis dato schnelles Handeln behindern.

Darum haben die Experten des Wuppertal Instituts für die wesentlichen Transformationsbereiche jeweils einen „5-Punkte-Plan für mehr Tempo“ aufgestellt. Sie sollen dafür sorgen, dass es bei Klimaschutz sowie Energie- und Rohstoffsicherheit, der grünen Wasserstoffwirtschaft, der Circular Economy und der Wärme- und Mobilitätswende schnell voran geht. Das Zusammenspiel von Ausbau Erneuerbarer Energien, Effizienz-Steigerungen und Suffizienz-Maßnahmen im Sinne von nachhaltigen Lebensstilen spielen dabei die entscheidende Rolle.

Zu den geforderten Maßnahmen gehören:

  • Der schnelle Aufbau eines tragfähigen Wasserstoffnetzes von der Küste in die zentralen Industriestandorte des Landes wie das Ruhrgebiet auf der Basis einer robusten und diversifizierten Wasserstoff-Importstruktur, die die heimische Erzeugung ergänzt
  • Eine klare Zielvorgabe und ein transparenter Zeit- und Umsetzungsplan für die Gestaltung einer echten Kreislaufwirtschaft – ähnlich wie es der Klimaschutz mit dem 1,5-Grad-Ziel vorgemacht hat
  • Mutige technische Vorgaben für den konsequenten Umbau des Gebäudebestandes (substanzielle Erhöhung der energetischen Sanierungsrate, Ausbauoffensive elektrischer Wärmepumpen und neue Anschlüsse an die Nahwärme im Verbund mit einer Anwerbe- und Qualifizierungsoffensive für das Handwerk). Hinzu kommt eine flexible und intelligente Nutzung von Wohnraum durch Umnutzungskonzepte und Wohnraumtausch zur Vermeidung von ressourcen- und energieintensivem Neubau.
  • Einen Aktionsplan für nachhaltiges Produzieren und Konsumieren, der auch den Aufbau von suffizienten Geschäftsmodellen wie Sharing-Konzepte unterstützt. Die Produktentwicklung fängt dabei schon beim intelligenten Design an, womit Nutzungswiderstände überwunden werden können.

„Die aktuelle Energiepreis- und versorgungskrise und die auch in Europa immer häufiger auftretenden Wetterextreme können für den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas nur eines bedeuten: Tempo, Tempo, Tempo“, sagt Fischedick. Angesichts des Veränderungsdrucks müsse der Staat seinen Bürger klar und ehrlich sagen, welche Veränderungen in den kommenden Jahren auf sie zukämen. Nur so ließen sich die gesellschaftlichen Kräfte bündeln, die es unbedingt braucht, um die gewaltige Transformationsaufgabe bewältigen zu können. Ob es mit vereinten Kräften gelingt über den Winter 20 Prozent und mehr Erdgas einzusparen, damit die Versorgung in der Breite aufrechterhalten werden kann, ist dafür eine erste zentrale Nagelprobe.

In der jetzigen Situation ist es wichtig in integrativen Konzepten zu denken. Die vom Wuppertal Institut vorgeschlagenen Maßnahmen in der Energiewirtschaft, bei Verkehr, Gebäuden, Industrie und Landwirtschaft tragen daher nicht nur zum Klimaschutz bei. Sie führen im weit überwiegenden Maße auch zu einer höheren Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Öl- und Gasförderstaaten.

Vorstellung des Sonder-Zukunftsimpulses am 26.09. in Berlin und digital

Die Umsetzung der Ziele wird keinesfalls einfach. Und vor allem wird klar, dass sich neben den „klassischen“ Fragen zu den Kosten und wo welche Investitionsbedarfe entstehen eben auch ganz neue Fragen stellen. Daher stellt das Wuppertal Institut den Sonder-Zukunftsimpuls „Transformationslücke schließen – Handeln unter Hochdruck“ am 26.09.2022 ab 12 Uhr in Berlin vor. Die Expert*innen diskutieren mit dem Publikum unter anderem über die folgenden Fragen:

  • Wo müssen wir schneller werden? Was steht den Zeitkonstanten heute entscheidend entgegen und wie können sie überwunden werden?
  • Wenn Zubauraten für Erneuerbare oder Wärmedämmung von Gebäuden steil zunehmen sollen: Werden Fachkräfte und Handwerker eines der Nadelöhre in der Umsetzung sein?
  • Wie stellen wir sicher, dass diese Transformation unter enormem Zeitdruck nicht zu sozialen Verwerfungen führt, sie einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit leistet und auch als solche wahrgenommen wird?

->Quellen: