Deutschland nicht auf Klima-Kurs

BUND verklagt Bundesregierung auf wirksamen Klimaschutz im Verkehrs- und Gebäudebereich – DUH mit inzwischen 29 Klagen in Städten

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verklagt die Bundesregierung wegen Nichteinhaltung der im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) festgeschriebenen Treibhausgas-Sektorziele für Verkehr und Gebäude*). Der Umweltverband verlangt in seiner beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereichten Klage den Beschluss von Sofortprogrammen, wie sie das KSG vorsieht (§ 8). Diese Sofortprogramme müssen Maßnahmen zur Einhaltung der jährlichen Sektor-Ziele beinhalten. Die vorherige Aufforderung des BUND, ein wirksames Sofortprogramm vorzulegen, ließ die Regierung unbeachtet. Die Deutsche Umwelthilfe hat inzwischen in 39 Städten den Rechtsweg gewählt und klagt auf saubere Luft.

*) Im Verkehrssektor wurden die für 2021 erlaubten Treibhausgasemissionsmengen um 3,1 Millionen Tonnen, im Gebäudesektor um 2,5 Mio. t überschritten. Für 2022 ist eine erneute Überschreitung zu erwarten.

Dieselauspuff eines Busses – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Wir können nicht weiter zusehen, wie Teile der Bundesregierung die eigenen Klimaschutzziele ignorieren und wirksame Maßnahmen bei Verkehr und Gebäuden verweigern. Uns rennt die Zeit davon. Scholz, Wissing, Geywitz und Habeck schaffen es nicht, das Land auf Klima-Kurs zu bringen und brechen damit das deutsche Klimaschutzgesetz. Es braucht jetzt die politische Entscheidung, wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz zu schaffen. Wenn die Regierung von Olaf Scholz dazu politisch nicht fähig oder willens ist, muss sie gerichtlich dazu verpflichtet werden.“ Mit Blick auf die aktuellen Debatten zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten fügt Bandt an: „Es wäre ein Skandal, wenn die Bundesregierung mit dem beschleunigten Bau klimaschädlicher Autobahnen weiter Öl ins Feuer gießt. Die Emissionen müssen runter, nicht rauf.“ Bandt: „Der Kanzler ist jetzt gefordert, ein Machtwort zu sprechen, um seinem im Wahlkampf selbst verliehenen Titel ‘Klimakanzler‘ gerecht zu werden“.

BUND: „Laut Klimaschutzgesetz muss die Bundesregierung bis 2030 ihre Emissionen um 65 Prozent reduzieren. Überschreiten Sektoren die vorgegebenen Jahresemissionsmengen, muss die Regierung laut eigenem Bundes-Klimaschutzgesetz schnellstmöglich Sofortprogramme beschließen. Bisher hat die Ampelkoalition keine derartigen Beschlüsse gefasst, obwohl sie dies wegen zu hoher Emissionen im Verkehrs- und Gebäudesektor in 2021 hätte tun müssen. Sie hat noch nicht einmal wirksame Sofortprogrammentwürfe mit hinreichenden Maßnahmen vorgelegt, um die Ziele zu erreichen. Das hat der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung 2022 bestätigt. Dieses Versagen ist umso dramatischer, weil selbst die Ziele des Klimaschutzgesetzes nicht ausreichen, um der völkerrechtlich verbindlichen 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klima-Abkommens zu entsprechen. Auch den klimaverfassungsrechtlichen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht auf eine vom BUND mit initiierte Verfassungsbeschwerde hin 2021 statuiert hatte, läuft der derzeitige Kurs der Bundesregierung zuwider. Wir for­dern von der Am­pelre­gierung, dass die Ziele des Klimaschutzgesetzes durch die weitere Ein­spa­rung von 3,1 Millionen Tonnen CO2 Äquivalenten im Verkehrs- und 2,5 Millionen Tonnen im Ge­bäu­de­be­reich erreicht werden. Wenn die Re­gierung um den selbst ernannten Klima-Kanzler dazu nicht von allein fähig oder willens ist, müssen wir sie gerichtlich dazu zwingen.

Die Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wird rechtlich vertreten von der langjährig im Umweltrecht tätigen Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß, ihrer Kollegin Lisa Hörtzsch, jeweils Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbH, und Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt aus Leipzig. Heß und Ekardt haben bereits die erfolgreiche Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht gemeinsam rechtlich vertreten. Rechtsanwältin Heß erklärt zur Klage: „Aus unserer Sicht sind die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes eindeutig. Es steht nicht im Belieben der Bundesregierung, ob sie bei Überschreitungen von Jahresemissionsmengen durch einzelne Sektoren ein Sofortprogramm aufstellt oder nicht. Sie ist hierzu ganz klar verpflichtet und diese Verpflichtung wollen wir nun durchsetzen.“

DUH: Recht auf saubere Luft – 39 Städte mit Klagen überzogen

Auch die Deutsche Umwelthilfe ist in Sachen Saubere Luft unterwegs: Um die Luftqualität zu verbessern, sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union  gesetzlich dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Senkung der Luftschadstoffe festzulegen. Werden die Grenzwerte für Luftschadstoffe dennoch überschritten, dürfen betroffene Bürgerinnen und Bürger ihr „Recht auf saubere Luft“ einklagen. Klageberechtigt ist jeder, der sich einen Großteil seiner Zeit in belasteter Umgebung aufhält. Also nicht nur Anwohner, sondern auch Ärzte in Arztpraxen an stark befahrenen Straßen oder Erzieher. Auch Eltern dürfen für ihre Kinder klagen, wenn sich der Kindergarten oder die Schule in einer stark schadstoffbelasteten Umgebung befindet. Die Grundlage dafür bildet die EU-Luftreinhalterichtlinie (2008/50/EG). Die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen (39. BImSchV) setzt diese EU-Richtlinie in nationales Recht um. Zur Verbesserung der Luftqualität legt sie Grenzwerte für Schadstoffkonzentrationen in der (Umgebungs-) Luft fest.

Doch nicht nur Betroffene dürfen klagen. Das Bundesverwaltungsgericht verhandelte am 05.09.2013 in Leipzig über die Klage der Deutschen Umwelthilfe  gegen das Land Hessen wegen andauernder Überschreitung der Luftschadstoffgrenzwerte in Darmstadt. Die Frage: Dürfen auch Umweltverbände das „Recht auf saubere Luft“ einklagen? „Sie dürfen“ entschied das Gericht und weitete das Klagerecht von Umweltverbänden damit erheblich aus. Mit diesem Grundsatzurteil können nun Umweltverbände gegen alle Verstöße des Luftreinhalterechts der Europäischen Union gerichtlich vorgehen.

Von diesem Recht macht die Deutsche Umwelthilfe Gebrauch und hat mittlerweile in 39 Städten den Rechtsweg gewählt, um eine Fortschreibung der Luftreinhaltepläne mit sicheren Prognosen und wirksamen Maßnahmen zu erreichen. Dabei wird sie von der internationalen Nichtregierungsorganisation Client Earth unterstützt. Alle aktuellen Informationen zu den Klagen im Hintergrundpapier „Klagen für saubere Luft“ oder auf der Webseite: www.right-to-clean-air.eu.

Vertragsverletzungsverfahren der EU Kommission

Die EU-Kommission hat zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen anhaltender Überschreitung der Feinstaubgrenzwerte (PM10) und der Stickstoffdioxid-Grenzwerte (NO2) gegen Deutschland eingeleitet. Der geltende Tagesgrenzwert für PM10 von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter darf bereits seit dem 01. Januar 2005 nicht öfter als 35mal pro Jahr überschritten werden. Seit dem 01. Januar 2010 gilt für Stickstoffdioxid der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel. Der Bundesregierung drohen hohe Strafzahlungen, wenn sie nicht umgehend effektive Maßnahmen zur Reduktion der Luftschadstoffbelastung umsetzt.

Hintergrund: Die jetzt vom BUND eingereichte Klage nennt bewusst keine Maßnahmen für die beiden Sektoren Verkehr und Gebäude. Denn ein Gericht wird nach Einschätzung des BUND der Politik keine Maßnahmen vorschreiben wollen. Maßnahmen, mit denen die Politik wirksame Sofortprogramme aufstellen könnte, gibt es aber und sind bekannt.

Der BUND schlägt beispielsweise folgende zentrale Maßnahmen für die beiden Sektoren vor.

BUND-Forderungen für ein wirksames Sofortprogramm im Verkehrssektor sind u.a.: 

  • Abschaffung vom Dienstwagenprivileg und von Steuervorteilen für Dieselkraftstoff & Kerosin,
  • eine Reform der Kfz-Steuer mit zusätzlichem Bonus-Malus-System beim Kauf,
  • den Stopp des Autobahnbaus,
  • die Einführung von Pkw-Maut,
  • die Einführung des Tempolimits,
  • Mittelerhöhung für den Ausbau von öffentlichem Verkehr und Radverkehr.

BUND-Forderungen für ein wirksames Sofortprogramm im Gebäudesektor, in dem die energetische Modernisierung im Mittelpunkt eines Maßnahmenpaketes steht, u.a.:

  • flächendeckend Sanierungsfahrpläne,
  • streichen aller Ausnahmen für bestehende Nachrüstpflichten und Anheben der Anforderungen
  • verstetigen der Vorgaben zur Optimierung von Heizungsanlagen für alle Gebäude und Verbesserung der Vollzugskontrolle,
  • Vorgaben für die energetische Modernisierung, angefangen bei den Gebäuden mit der schlechtesten Effizienz,
  • 25 Milliarden Euro Fördermittel pro Jahr für klimazielkompatible energetische Modernisierungen.

Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), beschlossen in 2019, ist das Gesetz, das für Deutschland die Ziele – nicht die genauen Maßnahmen – auf dem Weg zur Einhaltung der rechtsverbindlichen Pariser Temperaturgrenze von weit unter 2 Grad und möglichst 1,5 Grad festlegt. Die KSG-Ziele reichen für das Paris-Ziel allerdings noch nicht aus, eben so wenig wie die Klimaziele der EU – sie sind deshalb völkerrechtswidrig und nach Einschätzung des BUND auch weiterhin verfassungswidrig.

Die Nichteinhaltung des Klimaschutzgesetzes hängt aktuell juristisch vor allem am Verkehrs- und Gebäudesektor, welche in 2021 zu hohe Emissionen hatten und ihre Ziele für das Jahr nicht eingehalten haben. Beide Sektoren sind in der BUND Klage enthalten. Darüber hinaus ist laut der kürzlich veröffentlichten Berechnungen von Agora Energiewende davon auszugehen, dass durch die höhere Produktion von Strom aus Kohlekraftwerken der Energiesektor seine Ziele wohl nicht erreichen wird, der Industriesektor schafft seine Ziele auch nur wegen derzeit schwachen Konjunktur.

->Quellen und weitere Informationen: