Klimaneutraler Luftverkehr

Nicht so einfach: auch Wasserdampf treibt Erderwärmung an

Verkehrsminister Wissing wird mehr und mehr zur Regelzielscheibe von Satirikern und Karikaturisten. Aber ehrlich: Den Verkehrssektor klimafreundlich umzugestalten, ist wahrlich eine Herausforderung – vor allem in puncto Flugverkehr. Über den Wolken ist die Freiheit diesbezüglich eng begrenzt. Piccards (siehe: solarify.eu/solarflugzeug-uberquerte-usa) Solarflug um die Welt wird wohl eine spektakuläre Eintagsfliege bleiben. Auch Biosprit ist (als Nahrungsmittel) umstritten. Und Kompensationen (derer es bis 2050 1 Billion Dollar brauchte) seit kurzem (siehe solarify.eu/analyse-enthuellt-mehr-als-90-co2-kompensationen-wertlos) ebenfalls.

Kondensstreifen über Berlin - Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Kondensstreifen über Berlin – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Die Substitution von Biokraftstoffen oder synthetischen Kraftstoffen kann nur bis zu einem gewissen Grad helfen. Ohne extreme Verringerung der Nachfrage nach nachhaltigen Flugkraftstoffen bräuchte es in allen Szenarien mehr als doppelt so viel wie die weltweite Gesamtproduktion von Biokraftstoffen im Jahr 2019. Eine Verdoppelung der Biokraftstoffproduktion würde weltweit 3 Millionen Quadratkilometer Land für den Anbau erfordern – ein Drittel der USA.

Die Untersuchung eines internationalen Forschungsteams um Candelaria Bergero (Universität von Kalifornien in Irvine) hält es für erfolgversprechend, Flugzeuge effizienter zu machen und Flüge zu reduzieren – nur so könne die Luftfahrt das Netto-Null-Emissions-Ziel möglichst bis zum Jahr 2050 erreichen, heißt es in der in Nature Sustainability publizierten Studie. Derzufolge könnten durch verringerte Nachfrage allein 61 Prozent der Flugemissionen vermieden werden, 27 Prozent ließen sich durch Energieeffizienzmaßnahmen einsparen. Dennoch müssten für die Netto-Null,  der Atmosphäre in großem Maßstab CO2 entnommen werden, damit die Wasserdampf-Emissionen ausgeglichen werden könnten.

Der Wasserdampf, den Flugzeuge als Kondensstreifen ausstoßen, hat selbst bei klimaneutralem Fliegen als hohe dünne Wolken einen klimaerwärmenden Effekt. Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt weiß man mittlerweile: „Kondensstreifen tragen zu einer Erwärmung des Klimas bei – möglicherweise sogar genauso stark wie das von Flugzeugen ausgestoßene CO2.“

Die wachsende Nachfrage nach Flugreisen konterkariert das Bestreben der Luftfahrtindustrie, bis 2050 Netto-Null zu erreichen. Zu den Klimaauswirkungen der Branche gehören die Kohlenstoffemissionen aus der Verbrennung von Kerosin – der Luftverkehr trug 2019 zu 3 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bei.

Steven Davis (University of California, Irvine) und seine Kollegen haben neun Szenarien entworfen, um die Kohlenstoffkosten des Luftverkehrs bis 2050 darzustellen. Selbst das rosigste Szenario, das eine geringere Nachfrage nach Flugreisen, erhebliche Verbesserungen der Energieeffizienz und eine hohe Nutzung nachhaltiger Flugkraftstoffe vorsieht, ergab, dass die Luftfahrtindustrie bis 2050 immer noch mindestens 60 Milliarden Dollar für Kohlenstoffkompensationen ausgeben müsste. „Die Branche kann keine Netto-Null-Klimaauswirkungen erreichen, ohne CO2 abzuscheiden“, sagt Davis.

Eine verringerte Nachfrage nach Flugreisen könnte einen wesentlichen Beitrag zu einem Netto-Null-Luftverkehr leisten – aber die Trends zeigen in die entgegengesetzte Richtung. „Veränderungen in der Nachfrage könnten eine wirklich wichtige Quelle für Emissionsreduzierungen sein, aber alle unsere Szenarien gehen angesichts des erwarteten Wachstums der Weltbevölkerung und des Wohlstands von einem Gesamtanstieg der Nachfrage bis Mitte des Jahrhunderts aus“, sagt Davis.

Die Luftfahrtindustrie will die Energieeffizienz von Flugzeugen um 2 Prozent oder mehr pro Jahr verbessern, was allein mehr als die Hälfte der künftigen Nachfrage ausgleichen könnte, so Davis. „Die Kostenreduzierung des emissionsfreien Luftverkehrs erfordert neue Technologien mit stark verbesserter Effizienz sowohl bei der Treibstoffproduktion als auch beim Flugzeugantrieb“, sagt Grigorii Soloveichik, ehemaliger Programmdirektor der US Advanced Research Projects Agency-Energy (ARPA).

Aus dem Artikel in Nature Sustainability

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass durch eine ehrgeizige Verringerung der Luftverkehrsnachfrage und eine Verbesserung der Energieeffizienz von Flugzeugen bis zu 61 % (2,8 GtCO2eq) bzw. 27 % (1,2 GtCO2eq) der für das Jahr 2050 prognostizierten Emissionen aus dem Luftverkehr vermieden werden könnten, die bei unveränderten Bedingungen entstehen würden. Weitere Reduzierungen hängen jedoch davon ab, dass fossiler Düsenkraftstoff durch große Mengen an Biokraftstoffen oder synthetischen Kraftstoffen mit Netto-Null-Emissionen (d. h. 2,5-19,8 EJ an nachhaltigen Flugkraftstoffen) ersetzt wird, was wesentlich teurer sein kann. Darüber hinaus müssen möglicherweise bis zu 3,4 GtCO2eq aus der Atmosphäre entfernt werden, um den Nicht-CO2-Anteil zu kompensieren, damit der Sektor einen Netto-Null-Anteil an der Strahlungsbelastung erreicht.

Die Forschungs-Ergebnisse können als Grundlage für Investitionen und Innovationsprioritäten dienen, indem sie plausible Wege zu einer Netto-Null-Emission im Luftverkehr aufzeigen, einschließlich des relativen Potenzials und der Zielkonflikte von Änderungen im Verhalten, in der Technologie, bei den Energieträgern und beim Abbau von Kohlenstoffäquivalenten. Die Stabilisierung der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 °C über der vorindustriellen Zeit bedeutet, dass bis 2050-2060 netto null CO2-Emissionen (d. h. Ausgleich der laufenden Emissionen durch den Abbau) und bis 2070-21001 netto null Treibhausgasemissionen erreicht werden. Große – und zunehmend erschwingliche – Emissionssenkungen sind durch die Verbesserung der Energieeffizienz, die Elektrifizierung der Endverbraucher und die Umstellung auf emissionsfreie Stromquellen möglich, und viele Länder, subnationale Gebietskörperschaften und Unternehmen haben Netto-Null-Emissionsziele angekündigt. Die Dekarbonisierung des Flugverkehrs stellt jedoch eine besondere Herausforderung dar, da Flugzeuge auf energieintensive flüssige Kohlenwasserstoffe angewiesen sind und Flüge auch einen nicht CO2-bedingten Strahlungsantrieb mit sich bringen.

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