Bundeskabinett beschließt Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie

Regierung will Markthochlauf beschleunigen – Kritik

Das Bundeskabinett hat laut einer Medienmitteilung am 26.07.2023 die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie beschlossen. Vorausgegangen war eine Einigung aller Ressorts einschließlich der fünf Kernressorts für Wasserstoff: der Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz, für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, des Bundesverkehrsministeriums und des Bundesforschungsministeriums. Die Nationale Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020 hat zwar grundsätzlich weiter Bestand, wird nun aber mit der Fortschreibung an das gesteigerte Ambitionsniveau im Klimaschutz und die neuen Herausforderungen am Energiemarkt weiterentwickelt.

Wasserstoff-Auto – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Sie setzt staatliche Leitplanken für die Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff und seinen Derivaten und bündelt die Maßnahmen der Bundesregierung. Eine zuverlässige Versorgung Deutschlands mit grünem, auf Dauer nachhaltigem Wasserstoff ist dabei erklärtes Ziel der Bundesregierung. Die Maßnahmen der Fortschreibung umfassen die gesamte Wertschöpfungskette, wurden vielfach bereits parallel zur Erarbeitung der Fortschreibung der Strategie begonnen oder sind kurzfristig für das Jahr 2023, mittelfristig für die Jahre 2024/2025 sowie teilweise bereits langfristig bis 2030 geplant. Mit den Maßnahmen soll das folgende Zielbild umgesetzt werden:

  • Beschleunigter Markthochlauf von Wasserstoff: Der Markthochlauf von Wasserstoff, seinen Derivaten und Wasserstoffanwendungstechnologien wird deutlich beschleunigt und das Ambitionsniveau entlang der gesamten Wertschöpfungskette massiv gesteigert.
  • Sicherstellung ausreichender Verfügbarkeit von Wasserstoff und seiner Derivate: Das Ziel für heimische Elektrolysekapazität im Jahr 2030 wird von 5 GW auf mindestens 10 GW erhöht. Der restliche Bedarf wird durch Importe gedeckt. Eine gesonderte Importstrategie wird entwickelt.
  • Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur: Von besonderer Bedeutung ist die Schaffung der notwendigen Wasserstoffinfrastruktur. Hierfür hat das Bundeskabinett Ende Mai mit der aktuellen Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) den rechtlichen und regulatorischen Rahmen für das zukünftige Wasserstoff-Kernnetz für Deutschland als erste Ausbaustufe der Wasserstoffinfrastruktur beschlossen. Bis 2027/2028 wird über die IPCEI-Förderung ein Wasserstoffstartnetz mit mehr als 1.800 km umgestellten und neu gebauten Wasserstoffleitungen in Deutschland aufgebaut; europaweit kommen ca. 4.500 km hinzu (European Hydrogen Backbone). Mittels Erweiterung werden bis 2030 alle großen Erzeugungs-, Import- und Speicherzentren mit den relevanten Abnehmern verbunden.
  • Etablierung von Wasserstoffanwendungen in den Sektoren: Bis 2030 werden Wasserstoff und seine Derivate insbesondere bei Anwendungen in der Industrie, bei schweren Nutzfahrzeugen (den größten Hebel bei der CO2-Reduktion bieten Fahrzeuge der Klasse N3) sowie zunehmend im Luft- und Schiffsverkehr eingesetzt. Im Stromsektor trägt Wasserstoff zur Energieversorgungssicherheit bei; durch auf klimaneutrale Gase umrüstbare Gaskraftwerke (H2-ready) und durch systemdienliche Elektrolyseure, insbesondere als variable und systemdienliche Stabilisatoren bzw. flexible Lasten. Zur perspektivischen Nutzung von Wasserstoff bei der zentralen und dezentralen Wärmeversorgung werden die Rahmenbedingungen aktuell im GEG, in der Wärmeplanung sowie im europäischen Gasmarktpaket weiterentwickelt.
  • Deutschland wird bis 2030 Leitanbieter für Wasserstofftechnologien: Deutsche Anbieter bauen ihre Technologieführerschaft aus und bieten die gesamte Wertschöpfungskette von Wasserstofftechnologien von der Produktion (z. B. Elektrolyseure) bis hin zu den unterschiedlichen Anwendungen (z. B. Brennstoffzellentechnologie) an.
  • Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen: Kohärente rechtliche Voraussetzungen auf nationaler, europäischer und möglichst auch internationaler Ebene unterstützen den Markthochlauf. Dies umfasst insbesondere effiziente Planungs- und Genehmigungsverfahren, einheitliche Standards und Zertifizierungssysteme, ausreichend ausgestattete und auf allen Ebenen koordinierte Verwaltung.
  • Importstrategie: Zudem arbeitet die Bundesregierung seit Beginn der Legislaturperiode mit Nachdruck daran, die Verfügbarkeit von Wasserstoff neben dem Hochfahren der heimischen Produktion durch Importe aus Partnerländern abzusichern. Hierfür wird parallel eine Importstrategie für Wasserstoff und seine Derivate erarbeitet. Darin werden auch Nachhaltigkeitskriterien im Sinne der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung berücksichtigt. Die Importstrategie wird das Signal an Partnerländer senden, dass Deutschland weltweit Kooperationen eingehen, verlässliche Lieferketten nach Deutschland ermöglichen, nachhaltige Standards etablieren und als Technologiepartner zur Verfügung stehen will. In diesem Frühjahr hat die die Bundesregierung sich bereits mit Norwegen auf die langfristige Versorgung mit Wasserstoff verständigt.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die heute von der Bundesregierung veröffentlichte Neufassung der Nationalen Wasserstoffstrategie als Versäumnis, bei der Energiewende auf grünen Wasserstoff aus nachhaltigen Quellen zu setzen. Mit der Strategie setzt die Ampel-Regierung auch auf blauen Wasserstoff aus fossilen Energien und verpasst damit die Chance, grüne Technologien beim Umbau der Energiesysteme klar zu priorisieren. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: Die Aufnahme von fossil-blauem Wasserstoff in die Nationale Wasserstoffstrategie ist ein massiver klimapolitischer Rückschritt. Mit der Neufassung hätte die Bundesregierung deutliche Richtlinien vorgeben müssen, allein auf grünen Wasserstoff als saubere, grüne Technologieoption umzustellen. Stattdessen werden nun Investitionen und sogar Fördergelder in blauen Wasserstoff aus fossilen Quellen gelenkt, die für die Investition in grünen Wasserstoff fehlen! Das ist eine riesige verpasste Chance, um grüne Technologien bei der Transformation der Energiesysteme klar zu priorisieren und Klimaschutz verbindlich durchzusetzen. Stattdessen setzt die Bundesregierung auf unbestimmte Zeit auch auf fossil-blauen Wasserstoff und befähigt damit die Gaswirtschaft, weiteres fossiles Erdgas zu fördern. Der Ausstieg aus fossilem Erdgas wird so auf Kosten des Klimaschutzes aufgeschoben. Fossil-blauer Wasserstoff ist ein großes Versäumnis für den Klimaschutz und darf in Deutschland keine Anwendung finden.“

BEE: Nationale Wasserstoffstrategie: Heimische Potenziale erschließen – BEE-Präsidentin, Dr. Simone Peter: „Die NWS soll den für die Energiewende wichtigen Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland voranbringen. Doch statt auf heimische Potenziale zur Produktion von grünem Wasserstoff zu setzen, zielt die Bundesregierung mit ihrer Strategie vorrangig auf Importe per Schiff, auch von blauem Wasserstoff. Der ist durch seine Vorkettenemissionen nicht nur viel klimaschädlicher als grüner Wasserstoff, sondern auch teurer, wie kürzlich eine Studie des Wuppertal Instituts gezeigt hat. Nach der durch die hohe Erdgasabhängigkeit verursachten Kosten- und Versorgungskrise des letzten Jahres droht Deutschland in neue Importabhängigkeiten zu geraten.
Angesichts der großen Invesititionsvolumina in die Wasserstoffproduktion und Infrastruktur, aber auch aufgrund steigender Anforderungen an Energiesicherheit und Resilienz sind Fehlinvestitionen und -anreize unbedingt zu vermeiden. Deutschland verfügt nicht nur über große Gas- beziehungsweise Wasserstoffspeichermöglichkeiten, es gibt heute auch schon große Mengen an Erneuerbarer Energie, die für die Wasserstoffproduktion eingesetzt werden könnten: Allein 2021 wurden 5.817 Gigawattstunden Strom abgeregelt, die besser genutzt worden wären.
Zudem bieten Biogas und Holz Potenziale, heimischen grünen Wasserstoff zu erzeugen. Dieser regional erzeugte grüne Wasserstoff steigert nicht nur die Flexibilität unseres Energiesystems, um die fluktuierenden Quellen Wind und Solar auszugleichen, und stabilisiert damit die Strompreise, sondern kann durch den regionalen Aufbau von Elektrolyseuren, Dampfreformern (für die Biogasumwandlung) und Pyrolyseanlagen (für holzartige Biomassesortimente) auch den Standort für die Technologieproduktion verbessern.
Statt den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen, sollte die Bundesregierung daher auf eine No-Regret-Strategie setzen, die zunächst den Hochlauf vor Ort anstößt und den verbliebenen Bedarf durch Importe deckt.”

Große Stärken der Bioenergie konsequent mitdenken – Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie kommentiert:

„Die Anpassung der Nationalen Wasserstoffstrategie ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Versorgungssicherheit und somit der wichtigen Unabhängigkeit von ausländischen Energieimporten. Es ist gut, dass in der Strategie ein technologieoffener Weg zur Bereitstellung von grünem Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien gewählt wurde. Denn auch die Bioenergie kann ihren Beitrag zur Versorgung mit grünem Wasserstoff leisten. Zum einen können bereits heute Biogasanlagen Wasserstoff herstellen und so beispielsweise regionale Netze oder einzelne Industriebetriebe bedienen. Zum anderen können holzartige Biomassesortimente mittels Pyrolyseverfahren zu Wasserstoff umgewandelt werden. Hierbei kann zusätzlich das bei der Wasserstoffgewinnung als Nebenprodukt anfallende CO2 aufgefangen und gespeichert werden, um so Negativemissionen zu schaffen. Diese sind für die angestrebte Klimaneutralität Deutschlands unverzichtbar.
Bei der Ausarbeitung der Strategie dürfen jedoch nicht die vielen Vorteile einer noch stärkeren Sektorkopplung unter den Tisch fallen. Blockheizkraftwerke an Biogasanlagen können schon heute Wasserstoff nutzen und so Strom und Wärme regional und dezentral bereitstellen. Der Neubau großer Wasserstoffkraftwerke wäre damit in einem deutlich geringeren Maße notwendig. Auch sollten zusätzliche Elektrolysekapazitäten noch stärker in der Nähe von Biomethanaufbereitungsanlagen entstehen. Das bei der Biogasaufbereitung abgeschiedene CO2 kann zusammen mit grünem Wasserstoff in gasförmige oder flüssige Derivate wie synthetisches Methan oder Methanol aufbereitet werden. So ließen sich nicht nur die Energiedichte des Gases deutlich erhöhen und das bereits existierende Gasnetz auch langfristig nutzen, sondern ebenfalls negative Emissionen generieren. Biogenes CO2, welches mittels Photosynthese der Atmosphäre entzogen wurde ist ein Paradebeispiel der Kreislaufwirtschaft und ein Garant der Zielerreichung von 100 Prozent Erneuerbarer Energien in 2040.“

BUND: Schneller, grüner Wasserstoffhochlauf benötigt mehr zivilgesellschaftliche Beteiligung und klarere Nachhaltigkeitsregeln

Mitglieder des Nationalen Wasserstoffrates aus der Zivilgesellschaft fordern zielgerichtete Nachbesserungen. Die Klima-Allianz Deutschland und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) begrüßen die Pläne eines schnellen Wasserstoffhochlaufs für den Klimaschutz, sehen jedoch Nachbesserungsbedarf in der Priorisierung der Anwendungsbereiche. Der Förderung von blauem Wasserstoff aus Erdgas und dem Einsatz von Wasserstoff in Heizungen stehen die Verbände kritisch gegenüber. Zudem sollten die Nachhaltigkeitskriterien der Produktion von grünem Wasserstoff konkretisiert werden. „Die Zivilgesellschaft in Deutschland aber auch in den Importländern muss besser in die Entwicklung von Wasserstoffprojekten einbezogen und belastbarere Nachhaltigkeitskriterien geschaffen werden. Denn nur so kann geordnet, schnell und zuverlässig eine grüne Wasserstoffwirtschaft im Interesse aller geschaffen werden”, so beide Verbände übereinstimmend.
Christiane Averbeck, Geschäftsführende Vorständin der Klima-Allianz Deutschland und Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates: „Die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie sieht richtigerweise einen schnellen Ausbau der Produktionskapazitäten und Anwendungsfelder vor. Allerdings kann nur grüner – mit zusätzlichen erneuerbaren Energien produzierter – Wasserstoff bei der Begrenzung der Erderhitzung helfen, wenn er zielgerichtet und effizient in den richtigen Sektoren eingesetzt wird. Die vorgesehene Förderung von blauem Wasserstoff ist ein Festhalten an alten, fossilen Strukturen, verhindert mittelfristig eine grüne Transformation und setzt kurzfristig falsche Anreize bei den anstehenden Infrastrukturplanungen. Da Wasserstoff trotz größter Anstrengungen ein weltweit knappes Gut bleiben wird, muss zudem eine klare Priorisierung der Anwendungsbereiche stattfinden – Wasserstoff sollte zum Beispiel nicht in der dezentralen Wärmeversorgung, sondern besser in der Industrie eingesetzt werden! Außerdem müssen globale Energiepartnerschaften, im Rahmen derer Wasserstoff nun im Ausland in großen Mengen produziert und nach Deutschland importiert werden soll, strenge soziale und ökologische Nachhaltigkeitsstandards erfüllen und die Interessen der dortigen Zivilgesellschaft berücksichtigen. Fehlende Akzeptanz kann den schnellen Hochlauf verhindern.”
Verena Graichen, stellvertretende BUND-Vorsitzende und Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates: „Zwei weitere wichtige Aspekte fehlen in der Strategie bislang komplett: Effizienz und die Reduktion der Energienachfrage. Hier muss die Bundesregierung erheblich nachbessern. Je weniger und je effizienter die erzeugte Energie eingesetzt wird, desto geringer ist der Druck auf die Produktion. Nur so ist eine erneuerbare Zukunft realistisch zu schaffen. Und weniger Druck auf die Produktion bedeutet auch weniger Druck auf die Planung. Die in der Strategie-Fortschreibung festgehaltene Planungsbeschleunigung ist aus Sicht des BUND nur dann akzeptabel, wenn sie mit und nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt wird. Entsprechend der Aarhus-Konvention darf es kein Absenken von Standards im Boden- und Artenschutz wie auch bei den Beteiligungs- und Klagerechten geben. Vielmehr sollte die Bundesregierung durch deutlich mehr qualifiziertes Personal in Planungs- und Genehmigungsbehörden und durch eine frühzeitige Verbände- und Öffentlichkeitsbeteiligung die Akzeptanz der Projekte flankieren.“
Hintergrund:
Blauer Wasserstoff wird aus Erdgas produziert. Das entstehende CO2 soll zwar aufgefangen und in der Erde gespeichert werden, das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS) – das ist aber eine experimentelle Technologie, die noch nicht funktioniert. Nach aktuellem Stand ist unklar, ob die Technik das CO2 wirklich in der Erde hält, die Bedrohung für das Klima bleibt daher erhalten.

->Quellen: