Konservative Ökonomen fürchten Schaden für Wohlstand und Wachstum
Die traditionelle, meist konservative Volkswirtschaftslehre fürchtet, der Klimaschutz bedrohe das Wachstum. Das jedoch ignoriere die langfristigen positiven Auswirkungen, ist DIW-Präsident Marcel Fratzscher in seinem Blog vom 15.08.2023 (Handelsblatt) überzeugt. Viele glaubten zu Unrecht, Klima- und Umweltschutz schädigten Wohlstand und Wachstum – diese These stimme nur dann, wenn der Wohlstand nach altüberkommener Logik bemessen werde. Diese Logik übersehe nämlich die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf Klima, Umwelt und sozialen Zusammenhalt. Deren Schutz sei nämlich den meisten Menschen nicht nur wichtig, sondern auch die Grundvoraussetzung dafür, dass sie zukünftig zur Wertschöpfung beitragen könnten.
Fratzscher hält es für „überfällig, dass wir unser bisheriges Verständnis von Wohlstand überdenken. Gelingt uns dies nicht, drohen dramatische wirtschaftliche Konsequenzen, auch in Deutschland.Dass Menschen in Deutschland in den kommenden zehn Jahren bei manch einer Gewohnheit kürzertreten müssen, da diese teurer oder weniger leicht verfügbar sein werden, wird oftmals als Wohlstandsverlust wahrgenommen. Das liegt daran, dass deren Effekte auf Mensch und Umwelt in der etablierten ökonomischen Denkweise unzureichend erfasst sind.“
Und der Chefökonom nennt Beispiele: Das Verbrenner-Aus werde zwar von vielen beweint, aber es senke die Emissionen im Verkehrssektor und reduziere das Risiko von Atemwegserkrankungen. Bei der Agrarwende dächten viele zuerst an einen höheren Fleischpreis und nicht an eine gesündere Ernährung, mehr Tierwohl und einen nachhaltigeren Lebensraum. Die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft werde dann begünstigt, wenn transparent sei, wie sich unser und das Handeln von Unternehmen auf die Umwelt auswirke.
70 Prozent der Klimawandel-Kosten werden von der ärmsten Hälfte der Menschheit getragen
Da Geringverdienende am stärksten vom Klimawandel betroffen seien, sie es auch der anthropogene Klimawandel – und nicht die Klimaschutz-Maßnahmen, die alle fast ohne Ausnahme zu mehr Verzicht zwingen werde, wenn die Lebensgrundlage sich stark verändere und weniger Ressourcen zur Verfügung ständen. Die Dürreperioden in Frankreich und Spanien hättten einen Vorgeschmack gegeben, was die Menschen in Europa erwarte. Menschen mit geringen Einkommen seien häufiger direkt durch die Zerstörung von Land und Natur betroffen, hätten weniger Anpassungsmöglichkeiten und liefen Gefahr, ihre Arbeit zu verlieren und in ihren Freiheiten beschränkt zu werden. 70 Prozent der Kosten des Klimawandels werden von der ärmsten Hälfte der Menschheit getragen.
Klimaschutzmaßnahmen bremsten Wachstum und wirtschaftliche Dynamik nicht aus – auch das Argument, Klimaschutzmaßnahmen in den Sektoren Verkehr, Energie oder Wärme bremsten Wachstum und wirtschaftliche Dynamik, da sie lediglich darin bestünden, einen alten Kapitalstock durch einen neuen (und häufig weniger effizienten) zu ersetzen, hat Schwächen. Tatsächlich seien E-Autos und Wärmepumpen technisch effizienter als ihre mit fossilen Brennstoffen betriebene Konkurrenz und senkten zudem Emissionen und Gesundheitsrisiken.
Fratzscher: „Ebenso übersieht das Argument die möglichen Kosten des Nichthandelns. Man betrachte nur die Naturkatastrophe im Ahrtal, die riesige finanzielle Kosten verursacht, da ein kompletter Kapitalstock ersetzt werden muss. In Bezug auf die Kosten und Chancen des Klimaschutzes ist Optimismus angebracht. Wirtschaft und Gesellschaft – in Deutschland wie auch global – wissen, was zu tun ist, verfügen über Technologien für eine erfolgreiche Transformation und haben den Nutzen des erforderlichen Handelns eindrucksvoll nachgewiesen. Deutschland ist weltweit mit führend bei grünen Technologien – die deutsche Wirtschaft konnte ihren Weltmarktanteil in den vergangenen Jahren sogar auf zwölf Prozent ausbauen, was höher ist als in den meisten anderen Branchen.“