Kritik an Studie zu Wiederaufforstung und Klimawandel

Bonner Forscher antworten auf Wissenschaftler der ETH Zürich

Anfang Juli machte eine Studie in der Fachzeitschrift Science weltweit Schlagzeilen: Die Erde könnte demnach 4,4 Milliarden Hektar Wald tragen, 900 Millionen mehr als heute. Durch Wiederaufforstung ließen sich daher 205 Gigatonnen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen und der Klimawandel effektiv bremsen. Wissenschaftler der Universität Bonn sowie von World Agroforestry halten diese Zahlen für weit übertrieben: Ihnen zufolge basieren sie auf stark vereinfachten oder fragwürdigen Annahmen. Ihre Replik erschien am 18.10.2019 ebenfalls in der Zeitschrift Science. (Solarify berichtete).

Deutscher Laubwald – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Studie, um die es geht, basiert auf einer Simulation von Wissenschaftlern der ETH Zürich. Diese hatten untersucht, wie viel Wald es theoretisch auf der Erde geben könnte, wenn man die Bereiche abziehe, die von Menschen bewohnt oder bewirtschaftet werden. Dazu hätten sie sich Naturschutzgebiete rund um den Globus angesehen – also Regionen, die weitgehend dem Einfluss des Menschen entzogen seien. Bei jedem dieser Gebiete haben die Forscher geschaut, in welchem Maß es von Wald bedeckt ist. Zusätzlich hatten sie verschiedene Standortfaktoren berücksichtigt, etwa Jahresdurchschnittstemperatur, Bodenbeschaffenheit oder Niederschlagsmenge. Mit diesen Werten hätten sie dann eine lernfähige Computersoftware gefüttert. Nach einer Trainingsphase habe das Programm dann auch für beliebige andere Gebiete vorhersagen können, welche Waldbedeckung dort möglich wäre. Ergebnis: Die Erde könnte 4,4 Milliarden Hektar Wald tragen, also 900 Millionen Hektar sog. „Kronenbedeckung“ oder gut 25 Prozent mehr als heute.

Wald im Permafrost der Tundra?

Die Wissenschaftler der Universität Bonn sowie von World Agroforestry zweifeln diese Zahl jedoch an: „Das Modell ist viel zu undifferenziert“, kritisiert Eike Lüdeling vom Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz der Universität Bonn. Unter anderem gingen lediglich drei Bodenparameter in die Analyse ein – viel zu wenig, um den Unterschieden in bodenkundlichen Ertragspotenzialen Rechnung zu tragen. Zudem seien die Böden in vielen der heute waldfreien Gebiete erodiert oder andersartig degradiert, was den Erfolg von Wiederaufforstungen deutlich einschränke.

Ähnlich sehe es mit klimatischen Faktoren aus: So berücksichtige die Software zwar die Jahresdurchschnitts-, nicht aber die niedrigste und höchste Temperatur eines Orts. „Als Folge sieht die Studie zum Beispiel erhebliches Wiederaufforstungs-Potenzial in der Tundra“, erklärt Lüdelings Kollegin Katja Schiffers. „Dort herrscht aber vielerorts Permafrost: Der Boden taut auch im Sommer nur oberflächlich auf. Unter diesen Bedingungen ist keine bedeutende Steigerung der Baumbedeckung möglich.“

200 Gigatonnen Kohlenstoff zu hoch gegriffen

Auch an anderen Punkten seien die Wissenschaftler auf Ungereimtheiten gestoßen. So werteten die ETH-Forscher auch Weideland, das momentan für die Viehhaltung genutzt werde, als potenzielle Wiederaufforstungs-Flächen. Das gleiche gelte für Dörfer, kleinere Ansiedlungen und selbst für manche Millionenstädte wie etwa Kinshasa, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. „In den Gebieten, die die Studie für eine Wiederbewaldung vorschlägt, leben rund 2,5 Milliarden Menschen“, sagt Lüdeling. „Es ist sehr fraglich, ob diese Regionen wirklich geeignet sind.“

Kritisch sähen die Forscher auch die Angaben zum Potenzial der neu gepflanzten Bäume, zusätzliches Kohlendioxid zu binden. „Die Rechenmethode unterschlägt zum Beispiel, dass auch Weideland oder Ackerflächen große Mengen CO2 enthalten“, sagt der Bonner Wissenschaftler. Die berechneten gut 200 Gigatonnen Kohlenstoff, die sich durch Wiederaufforstung aus der Atmosphäre entfernen ließen, halte er daher für erheblich zu hoch gegriffen. „20 bis 30 Gigatonnen halte ich für realistischer.“

Wiederaufforstung nur ein Baustein zur Vermeidung des Klimawandels

Dabei begrüße er grundsätzlich die Idee, Flächen zu renaturieren, wo immer es möglich sei – schon weil die Ökosysteme davon enorm profitierten. Schnelle Brems-Effekte für die globale Erwärmung seien davon aber nicht zu erwarten. Denn es dauere mehrere Jahrzehnte, bis ein Wald herangewachsen sei. Abgeholzte Regenwaldgebiete ließen sich manchmal gar nicht wiederherstellen: Zu groß seien die Auswirkungen der Entwaldung auf das lokale Klima, zu nährstoffarm die dortigen Standorte.

Dass Wiederaufforstung der Atmosphäre Kohlendioxid entziehe, sei allerdings unumstritten. Dabei handle es sich aber um einen Einmal-Effekt – sobald die letzte Fläche wieder dicht bewaldet ist, sei es damit vorbei. Lüdeling: „Die Wiederaufforstung kauft uns Zeit, die wir bitter benötigen. Sie kann aber nur ein Baustein in einer umfassenden Handlungsstrategie zur Vermeidung des Klimawandels sein.“

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