Altmaier zur Atompolitik: „Ende der Kernenergie in Deutschland“

Bundesumweltminister Altmaier zu europäischer und globaler Atomenergiepolitik
Solarify dokumentiert  Bundestagsrede

„Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!  Fukushima war mehr als ein tragischer technischer Unfall. Fukushima war eine Zeitenwende. Ich persönlich bin überzeugt, dass wir eines Tages, im Abstand von 20, 30 oder 40 Jahren, feststellen werden, dass mit dem Tag des Unfalls von Fukushima die Kernenergie keine Zukunft mehr hatte und die Entwicklung – auch weltweit – zum ersten Mal nicht nur auf einen weiteren Ausbau, sondern in Richtung auf einen Ausstieg aus der Kernenergie eingeleitet wurde.

Ganz sicher war es das Ende der Kernenergie in Deutschland. Wir haben in Deutschland die Konsequenzen gezogen, und wir haben sie mit großer und mit eindrucksvoller Mehrheit gezogen. Es gibt keine andere Frage, die in der deutschen Innenpolitik in den letzten 30 oder 40 Jahren so heftig umstritten war wie die Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Ich weiß, wie schwer es vielen meiner Kollegen und teilweise auch mir selber gefallen ist, nachdem wir über 30 oder 40 Jahre mit dafür gesorgt haben, dass Kernenergie in Deutschland sicher und ohne schwere Unfälle und Zwischenfälle genutzt worden ist, zu sagen: Wir ziehen einen Schlussstrich, weil wir nach Fukushima überzeugt sind, dass diese Energieart langfristig technisch nicht sicher beherrschbar ist, und weil wir einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden leisten wollen.

Lieber Kollege Trittin, ich hätte mir an einem Tag wie heute auch gewünscht, dass wir einmal nicht nur polarisieren und polemisieren, sondern anerkennen, welche die demokratischen Parteien übergreifende Kraft diesem Parlament innewohnt, dass es zu solchen richtunggebenden Entscheidungen fähig ist. Deshalb wäre es vielleicht gut gewesen, wenn Sie an diesem Tag einmal keine Wahlkampfrede, sondern eine staatsmännische Rede gehalten hätten.

Ich sage Ihnen voraus – ich bin in Gesprächen mit unseren Partnern in Europa, aber auch weltweit –, dass bei der Frage, wann und in welchen Schritten auch andere Länder den Ausstieg aus der Kernenergie in Angriff nehmen und den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien finden, viel davon abhängt, wie es uns in Deutschland gelingt, nicht nur mit dem Ausstieg fertig zu werden, sondern auch unsere Energieversorgung schrittweise auf erneuerbare Energien umzustellen.

Energiewende erst dann Erfolg, wenn Deutschland CO2-neutral und wettbewerbsfähig ist

Lieber Kollege Trittin, da möchte ich Sie auf einen Irrtum hinweisen. Die Energiewende für erneuerbare Energien, die Sie wollen, die ich möchte, die wir alle wollen, ist nicht dann ein Erfolg, wenn das letzte Kohlekraftwerk und das letzte Atomkraftwerk geschlossen und durch Windräder und Solardächer ersetzt sind, sondern dann, wenn wir diese Energiewende so organisieren, dass Deutschland eine umweltverträgliche, CO2-neutrale Energieversorgung hat und immer noch eine der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften dieser Welt ist; denn nur dann werden andere Länder diese Energiewende übernehmen und bei sich umsetzen.

Ich hätte mich gefreut, lieber Kollege Trittin, wenn all die Hausaufgaben, die dafür notwendig sind, gemacht worden wären. Dann hätte ich jetzt viel mehr Zeit, um für die Energiewende zu werben. Das tue ich sowieso. Aber wir wussten bereits im Jahr 2000 – wenn Sie Ihren eigenen Anspruch ernst genommen haben, wussten Sie das –, wie viele Leitungen wir bei einem erfolgreichen Ausbau der Erneuerbaren im Jahr 2013 brauchen würden. Wenn man weiß, dass es zehn Jahre dauert, um eine solche Leitung zu bauen, dann frage ich mich: Wo sind denn Ihre Leitungen heute, Leitungen, die wir dringend bräuchten, damit Strom nicht abgeregelt werden muss, sondern denen zugutekommt, die ihn brauchen?

Lieber Kollege Trittin, es war doch klar, dass die ersten 25 Prozent erneuerbare Energien eine ganz andere Herausforderung darstellen als die zweiten 25 Prozent. Wenn man erneuerbare Energien zu Beginn mit hohen Subventionen und Zuschüssen ermuntert, in den Markt einzutreten, dann stellt das für die Menschen insgesamt keine große Belastung dar. Wenn Sie aber 25 Prozent, 30 Prozent, 40 Prozent oder 50 Prozent erneuerbare Energien haben und Geld für Einspeisevergütungen und das Bereithalten von Reservekapazitäten in einer Größenordnung zahlen, die deutlich über dem Börsenstrompreis liegt, der in anderen Ländern bezahlt wird, dann ist das nicht neutral für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Deshalb sind das keine Peanuts, sondern zentrale Fragen der Energiewende. Sie haben das nicht geschafft. Wir werden Ihnen zeigen, wie das geht.

„Zahlen waren falsch – Institute haben geirrt!“

Wir haben über Zahlen diskutiert. Ich habe als Umweltminister mit großem Interesse die Aussagen meiner Vorgänger gelesen – Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel –, welche Kosten die Energiewende für den Stromkunden verursacht. Wenn Sie jetzt sagen, die Zahlen des Kollegen Altmaier würden von Instituten infrage gestellt und kritisiert, dann wissen Sie: Das sind zum Teil genau die Institute, deren Prognosen in den letzten zehn Jahren mit aller Regelmäßigkeit falsch waren. Das beeindruckt mich nun überhaupt gar nicht.

Es waren dieselben Experten, die uns noch vor einiger Zeit gesagt haben: Der Preis für eine Kilowattstunde wird nicht über 3,5 Cent steigen. Es waren dieselben Experten, die gesagt haben: Die Börsenstrompreise werden weltweit steigen, und mit dem, was wir dann über die Differenzkosten erlösen, können wir den Neuausbau aus der Westentasche finanzieren. Tatsächlich sind die Börsenstrompreise weltweit im Sinkflug. Tatsächlich steigen die Differenzkosten. Tatsächlich muss der Stromkunde in diesem Jahr voraussichtlich 20 Milliarden Euro für Einspeisevergütungen zahlen, und der Betrag steigt in den nächsten Jahren regelmäßig an. Deshalb ist die Frage der Bezahlbarkeit elektrischer Energie nicht nur eine Frage, die viele Rentnerinnen und Rentner und Familien mit niedrigen Einkommen betrifft; es ist eine Frage, die unsere Volkswirtschaft insgesamt berührt, und deshalb muss sie gelöst werden.

Altmaier wartet auf gemeinsames Konzept von SPD und Grünen

Lieber Kollege Kelber, ich habe nicht nur Vorschläge für die Strompreisbremse gemacht, die darin bestehen, dass man irgendwo etwas einspart; ich habe auch Vorschläge gemacht, um die Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Dazu gehört, dass wir die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen zum ersten Mal seit 13 Jahren nicht weiter ausweiten, sondern einschränken. Diese Vorschläge habe ich gemacht. Wir verhandeln inzwischen mit den Ländern darüber. Ich warte bis zum heutigen Tag auf ein gemeinsames Konzept von SPD- und grün-regierten Ländern und Ihren Bundestagsfraktionen dazu, an welcher Stelle gespart werden soll und wie Sie Ihre lautstarken Ankündigungen in die Praxis umsetzen wollen. Tatsächlich geht es bei Ihnen zu wie bei Hempels unterm Sofa, und Sie sind sich in keiner dieser Fragen einig.

Ich biete Ihnen eines an: Wenn wir gemeinsam überzeugt sind, dass die Energiewende richtig ist, wenn wir es gemeinsam für einen Erfolg halten, dass wahrscheinlich in diesem Jahr in Deutschland mehr erneuerbarer Strom produziert wird, als es bislang der Fall war, wenn wir wollen, dass die Energiewende weitergeht, wenn wir wollen, dass der Standort Deutschland nach Abschluss der Energiewende nicht schwächer, sondern stärker dasteht, wenn wir all das wollen, dann haben wir auch ein gemeinsames Interesse daran, nicht nur die Frage der Preisentwicklung aus dem Wahlkampf herauszuhalten, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Entwicklung so organisiert wird, dass der Strom in Deutschland heute, morgen und übermorgen bezahlbar ist. Sie haben die Chance, dabei mitzumachen. Wir werden Sie aus dieser Verantwortung nicht entlassen.
->Quelle: bundesregierung.de