Ein Weckruf der Kanzlerin

Der Unterschied zu früheren Zeiten heißt: Wir führen Gespräche, wir suchen eine Lösung über Gespräche. Aber wir stehen auch zu unseren Werten. Die Erhaltung der territorialen Integrität ist ein Fundament, ein zentraler Pfeiler der europäischen Nachkriegsordnung. Deshalb verlaufen diese Gespräche zum Teil auch kontrovers. Wir stehen seitens der Europäischen Union bereit, die Ukraine auf einem schwierigen Weg zu unterstützen. Und wir wollen weiterhin dafür werben, auch wenn wir viel Europaskepsis bei den europäischen Wahlen gesehen haben, dass dieses wunderbare Projekt Europa weltweit Schule macht. Es ist nach jahrhundertelangen Kriegen und Auseinandersetzungen gelungen, sich die Hände zu reichen, Gräben zu überwinden und ein europäisches Friedens- und Freiheitswerk zu entwickeln.

Die gute Botschaft für das Thema Nachhaltigkeit heißt natürlich: Gemeinsam bringen wir Europäer sehr viel mehr Gewicht auf die Waagschale, wenn wir unsere Positionen gemeinsam erklären und durchsetzen wollen. 500 Millionen Einwohner der Europäischen Union sind zwar aus deutscher Perspektive viel; unabhängig davon, dass aus unserer Sicht die Europäische Union mit 28 Mitgliedstaaten auch ein sehr kompliziertes Gebilde zu sein scheint. Aber gemessen an den über sieben Milliarden Einwohnern auf der Welt sind wir immer noch eine deutliche Minderheit. Wir sind nicht einmal mehr zehn Prozent der Einwohnerschaft der Welt. Deshalb wird die Frage, ob Europa Einfluss auf der Welt behält – ja oder nein –, ganz wesentlich auch davon abhängen, wie wir es schaffen, wirtschaftlich erfolgreich zu leben und trotzdem nachhaltig zu leben und anderen Kontinenten keine Entwicklungschancen zu rauben.

Deshalb sehe ich auch keinen Widerspruch zwischen einer Wachstumsstrategie für Europa 2020 und einer EU-Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Meine Damen und Herren, meine Darlegungen haben gezeigt: Es liegt noch viel Arbeit vor uns; und nicht selten steckt die Tücke im Detail.

Deshalb möchte ich zum Abschluss noch einmal danke sagen, weil es Ihnen gelungen ist, trotz unterschiedlicher Perspektiven im Nachhaltigkeitsrat das Gesamtthema doch so zu platzieren, dass unterschiedliche Bewertungen bestimmter einzelner Phänomene niemals dazu geführt haben, dass das Ganze auseinanderbricht, sondern dass man sich dem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlt. International wird sicherlich die schwierigste Aufgabe sein, das deutlich zu machen, was Kofi Annan gesagt hat: dass Wohlstand und Nachhaltigkeit keine Gegensätze sind.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir, die wir im Zuge unserer Industrialisierung in Deutschland und in Europa schon viele Ressourcen verbraucht haben, dazu bereit sind, jetzt auch Wege zu gehen, neue Wege zu gehen – Beispiel Energiewende –, die deutlich machen: Man kann auch anders in Wohlstand leben. Deshalb ist die Energiewende nicht nur ein Projekt, das technisch und innovatorisch große Aufmerksamkeit von uns verlangt. Es ist nicht nur etwas, das im Kern die Menschen in Deutschland wünschen, sondern es ist auch ein Verantwortungsprojekt für andere in der Welt, die heute um ihren Wohlstand kämpfen. Und je besser das klappt, umso schneller wird das auch von anderen übernommen werden und umso besser steht es um die Nachhaltigkeit. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Alles Gute und auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.
->Quelle: nachhaltigkeitsrat.de; nachhaltigkeitsrat.de/rede-bk-merkel