Die Energiewende ein „schmutziger Irrtum“?

Baake: Saubere Wende – Graichen: Drieschner irrt

Die deutsche Energiepolitik funktioniert, sagt Rainer Baake. Trotzdem steige vorerst die Klimabelastung. Ist die Energiewende in Deutschland trotzdem ein „schmutziger Irrtum“, wie Frank Drieschner in der Ausgabe der ZEIT vom 04.12.2014 schrieb? Durchaus nicht – so Staatssekretär im BMWi Baake in seiner Antwort für die Energiewende. Und Baakes Nachfolger in der Agora widerspricht ebenfalls – auf phasenpruefer. Ein  lesenwerter Wortwechsel – Solarify dokumentiert ihn in Stichworten.

[note Frank Drieschner hatte geschrieben, wir hätten gehofft, dass die Erneuerbaren die schlimmsten Quellen von Treibhausgasen ersetzen würden, das täten sie aber nicht. Dieser Irrtum erkläre, warum Wirtschaftsminister Gabriel die Industrie heftig dränge, Kohlekraftwerke abzuschalten, und warum wir unsere Klimaziele dennoch weit verfehlen würden. Um den Irrtum zu verstehen, so Drieschner, müsse „man sich noch einmal den Grundgedanken der Energiewende vor Augen führen: Deutschland steigt aus der Nuklearenergie aus und setzt stattdessen auf erneuerbare Energien, auf Sonne und Wind vor allem. Wenn es mal nicht genug Ökostrom gibt, dann springen emissionsarme Gaskraftwerke ein, bis irgendwann auch diese überflüssig werden. Der böse Atomstrom verschwindet zuerst, als Nächstes der schmutzige Kohlestrom, und Deutschland wird zum Vorreiter beim Klimaschutz. Nur leider wird daraus nichts.“ Es sei ein „Irrtum mit hässlichen Folgen“. Denn die Energiewende mache „die Luft nicht sauberer, sondern dreckiger“. Sie sorge dafür, dass Deutschland die selbst gesetzten Klimaziele verfehle, weil die Energiewende unbeabsichtigt die dreckigen Kohlekraftwerke fördere und die relativ sauberen Gaskraftwerke zerstöre.]

Baake hält (sinngemäß) dagegen: Im Jahr 2000 habe der Bundestag das EEG beschlossen, die damalige Bundesregierung sich mit der Industrie auf den Atomausstieg geeinigt. Seitdem sei die jährliche Stromproduktion aus erneuerbaren Energien um 114 TWh gewachsen, die aus AKW um 72 TWh gesunken. Strom aus erneuerbaren Energien habe also das Abschalten von AKW mehr als kompensiert. „Trotzdem verblieb die Stromproduktion aus fossilen Kraftwerken in Deutschland auf gleichem Niveau. Wieso das? Hier hilft ein Blick auf die Import-Export-Bilanz. Die war im Jahr 2000 noch ausgeglichen, im vergangenen Jahr aber hatten wir einen Rekord-Exportüberschuss von 34 TWh, dieses Jahr wird er voraussichtlich noch größer sein. Was ist also geschehen? Den Betreibern von Kohlekraftwerken gelang es in den vergangenen Jahren, immer größere Strommengen ins Ausland zu verkaufen. Dies blieb nicht ohne Wirkung auf die Klimabilanz in Deutschland.“

Graichen widerspricht ebenfalls

Da Drieschner sich auf das von Agora Energiewende Anfang 2014 thematisierte Energiewende-Paradox stütze, sein Text jedoch wesentliche Teile seiner Äußerungen in diesem Zusammenhang unter den Tisch fallen lasse (und so einen äußerst missverständlichen Eindruck erzeuge), will Agora-Direktor Patrick Graichen auf phasenprüfer.info klarstellen:

1. Was es mit dem Energiewende-Paradox auf sich hat

Von 2011 auf 2013 stiegen die CO2-Emissionen um 13 Mio t. Gleichzeitig nahm die EE-Stromerzeugung um 27 TWh ebenfalls deutlich zu. Diese auf den ersten Blick widersprüchliche Entwicklung habe Agora Energiewende Anfang 2014 als Energiewende-Paradox bezeichnet. Eine nahliegende Erklärung scheide dabei von vornherein aus: Am Atomausstieg liegt es nicht. Die Erneuerbaren Energien hätten den Rückgang der Atom-Stromerzeugung mehr als ausgeglichen.

Die Ursache für das Paradox liegt laut Graichen in der Entwicklung der Stromerzeugung aus Kohle und Gas: „So hat auf der einen Seite von 2011 bis 2013 die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle um 20 TWh zugenommen, während auf der anderen Seite die Stromerzeugung aus Erdgas um fast den gleichen Betrag abnahm. Parallel dazu legten die Erneuerbaren zu und die deutsche Stromnachfrage sank. Im Ergebnis wurde zusätzlicher Kohlestrom produziert, der in Deutschland jedoch nicht gebraucht wurde, sondern in unsere Nachbarländer floss: Von 2011 bis 2013 stiegen die Stromexporte um 28 Terawattstunden an. 2013 verzeichnete daher einen Allzeitrekord im Stromexport.“

Der Kern des Energiewende-Paradox laute also: „Deutsche Kohlekraftwerke haben Gaskraftwerke in Deutschland und in unseren Nachbarländern verdrängt, vor allem in den Niederlanden und in  Österreich.“

2. Der Irrtum oder: Warum wurde diese Entwicklung nicht vorhergesehen?

Frank Drieschner und etliche Kommentatoren der beiden ZEIT-Artikel argumentieren nun, dass die Energiewende augenscheinlich nicht funktioniere und das alles vorhersehbar gewesen sei, schließlich kenne man den Merit-Order-Effekt seit Jahren. Der Fehler dieser Argumentation sei, dass sie statisch sei: Es werde so getan, als sei die heutige Situation gottgegeben und Gaskraftwerke hätten immer schon höhere Stromerzeugungskosten als Kohlekraftwerke gehabt. Die merit order, also die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke, ist aber dynamisch: Sie ändert sich in Abhängigkeit der Brennstoff- und CO2-Preise.

In den Jahren bis 2011 galt insofern: Erneuerbare Energien verdrängen erst den Strom aus alten Gaskraftwerken, dann den aus alten Steinkohlekraftwerken – und erst danach, also bei hohen Anteilen erneuerbarer Energien, den aus neuen Gaskraftwerken. Allerdings sei die Situation seit  Ende 2011 anders: Kohle-  u n d  CO2-Preise hätten sich mehr als halbiert, während der Gaspreis konstant geblieben sei. Alte Kohlekraftwerke produzierten daher heute Strom zum halben Preis als 2008. Ergo verdrängen sie aktuell Gaskraftwerke. Zwei wesentliche Fehlannahmen nennt Graichen als Ursache:

  1. Der Zusammenbruch des ETS sei nicht prognostiziert worden.
  2. Die technische Lebensdauer von Kohlekraftwerken sei pauschal mit 45 Jahren angenommen worden. In der Realität seien nun aber etliche Kohlekraftwerke auch mit 50 Jahren und mehr noch in Betrieb.

3. Was muss jetzt getan werden, um dem Problem zu begegnen?

Die Leerstelle „Umgang mit den fossile Energien“ im Konzept der Energiewende sei nur politisch zu füllen, der heutige Markt könne das nicht leisten. Graichen: „Die Debatte zum Design des künftigen Strommarktes, die mit dem Grünbuch begonnenen wurde, muss deshalb mit der Klimaschutzfrage verbunden werden. Es macht aus klimapolitischer Sicht einen erheblichen Unterschied, ob man alte Kohlekraftwerke oder aber neue Gaskraftwerke vom Markt nimmt und in eine (nur für den Notfall bereitgehaltenen) Kapazitätsreserve packt. Gleichermaßen ist es für die langfristige Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen hoch relevant, ob ein möglicher Kapazitätsmarkt auch alte und CO2-intensive Kraftwerke vergütet (und sie so im Markt hält), oder ob er eher flexible und CO2-arme Kraftwerke finanziert.“

Kurz: Die Strommarkt-Diskussion und die Klimaschutz-Debatte sei viel zu lange separat geführt worden– „jetzt ist es höchste Zeit, sie zusammenzudenken. Nur dann sind die deutschen Klimaschutzziele von minus 40 Prozent Treibhausgasemissionen bis 2020 und minus 55 Prozent bis 2030 erreichbar.“

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