LHC mit neuer Energie

Beschleuniger-Experimente bei doppelt so hohen Kollisionsenergien wie in der ersten Messphase könnten Hinweise auf die Natur der Dunklen Materie geben

Jubel am Forschungszentrum CERN in Genf, bei Forschern auf der ganzen Welt und am Max-Planck-Institut für Physik in München: Die Weltmaschine Large Hadron Collider LHC liefert wieder Daten. Mit der Rekordenergie von 13 Tera-Elektronenvolt (TeV) kollidieren seit 05.06.2015 wieder Protonen in den riesigen Detektoren rund um den LHC. Mit den generalüberholten Beschleunigern und Detektoren erwarten die Physiker weitere Erkenntnisse über das 2012 gefundene Higgs-Teilchen (Higgs-Boson) hinaus und hoffen auf ganz neue Entdeckungen.

Forscher aus aller Welt haben den LHC am 5. April nach einer fast zweijährigen Pause wieder vorsichtig in Betrieb genommen. Jetzt, zwei Monate später, hat das Beschleuniger-Team alle für den Wiederanlauf wichtigen Tests abgeschlossen und kann die bei fast Lichtgeschwindigkeit im Tunnel kreisenden Teilchenpakete wieder miteinander kollidieren lassen. Während derzeit noch vergleichsweise wenige Teilchenpakte mit je etwa 100 Milliarden Protonen im LHC unterwegs sind, soll die Anzahl in den nächsten Monaten auf 2800 Pakete pro Teilchenstrahl ansteigen. Der LHC soll die nächsten drei Jahre durchgehend Daten nehmen.

„Die ersten drei Betriebsjahre des LHC, die von der Entdeckung des Higgs-Bosons gekrönt wurden, waren erst der Beginn unserer Reise!“ sagt CERN Generaldirektor Rolf Heuer. Nicht zuletzt der experimentelle Nachweis des Higgs-Teilchens hat dazu geführt, dass Peter Higgs und Francois Englert (Foto) 2013 für die theoretische Beschreibung des Higgs-Mechanismus, durch den die Masse der Materie entsteht, den Physik-Nobelpreis erhielten. „Heute haben wir den Beginn der Datennahme am verbesserten LHC gesehen. Wir hoffen, dass wir mit den neuen Daten Neues über unser Universum lernen können.“

„Aufregende Möglichkeiten, etwas völlig Neues zu entdecken“

„Die neue Energie von 13 TeV ist fast eine Verdopplung des bisher Möglichen. Dadurch werden wir in der Lage sein, das Higgs-Boson viel besser vermessen,“ sagt Siegfried Bethke, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München. „Noch aufregender sind allerdings die Möglichkeiten, jetzt etwas völlig Neues zu entdecken. Der LHC könnte uns zum Beispiel helfen, zu klären, woraus die Dunkle Materie besteht.“

Dunkle Materie macht den größten Teil der Materie im Universum aus, bislang ist allerdings nicht klar, woraus sie besteht, weil sie anders als sichtbare Materie keine Strahlung abgibt, anhand derer sie sich untersuchen ließe. Die Auswertung der enormen Menge an neuen Daten, die jetzt wieder rund um die Uhr produziert werden, wird voraussichtlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

CERN-Direktor Rolf Heuer: „Es müsste doch irgendwann einmal die Supersymmetrie oder irgendein anderer Hinweis auf Physik jenseits des Standardmodells kommen. Das Standardmodell kann ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Wir finden neue Teilchen mit den Eigenschaften von supersymmetrischen Teilchen, sprich: mit den entsprechenden Zerfallsketten. In der Regel erzeugen wir nicht das Teilchen mit der geringsten Masse, sondern welche mit höherer Masse, die dann in das leichteste Teilchen zerfallen. Dieses leichteste Teilchen ist in vielen Theorien stabil, es agiert also mehr oder weniger wie ein Neutrino, indem es im Detektor nicht nachgewiesen werden kann, wir es also nicht sehen. Aber wir sehen natürlich die fehlende Energie, die dieses Teilchen mitnimmt, und den fehlenden Impuls. Und so können wir mit den Detektoren rekonstruieren, wie die Zerfallskette war, die wir dann mit der großen Matrix von supersymmetrischen Modellen abgleichen können. Und da gibt es dann eine Stelle, an der es passt.
Wenn man ein Teilchen findet, das nicht ins Standardmodell passt, ist man sicher, dass es zur Physik außerhalb des Standardmodells gehört. Jedes fundamentale Teilchen, das neu dazukommt, ist jenseits des Standardmodells. Da bin ich absolut sicher. Ich bin nur nicht sicher, was es dann genau ist. Aber ich weiß: Jetzt habe ich ein Loch im Standardmodell gefunden. Wenn wir in den nächsten Jahren überhaupt nichts finden, haben wir zumindest eine Idee, wie weit entfernt die Skala ist, die neue Physik beinhalten würde. Und dann ist die Frage, ob es andere Messungen gibt, die uns weiterführen können, also Hochpräzisionsmessungen, um einen Eindruck für die Abweichung vom Standardmodell zu kriegen. Gerade, wenn man erst einmal keine neuen Teilchen findet, ist Hochpräzision das A und O, und dafür brauchen wir verschiedene Methoden.
Eine Frage kennen wir natürlich schon – was ist die Dunkle Materie? Aber die nächste Frage ist: Bei welcher Energie können wir sie entschlüsseln? Dafür müssen wir ein Gespür bekommen. Wir können nicht einfach nur sagen, dass wir den nächsten Hochenergiebeschleuniger brauchen. Aber wenn wir ein gutes Projekt haben und gemeinsam hinter so einem Projekt stehen, bekommen wir auch die Realisierung hin.“ (Aus: „femto“, dem DESY-Forschungsmagazin)

Am CERN und seinen Experimenten sind mehr als 10.000 Forscher aus über 80 Nationen beteiligt, darunter mehr als 1.100 Forscher aus Deutschland: Studenten, Doktoranden, Nachwuchsgruppenleiter, Ingenieure, Professoren der Max- Planck-Gesellschaft, von Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft und von Forschungsgruppen an Universitäten. Eine Gruppe des Max-Planck-Instituts für Physik ist seit vielen Jahren an Bau, Betrieb und Datenauswertung des ATLAS-Experiments beteiligt. StS/MPIP

->Quellen: