Gerhard Knies: „Zukunft nach Design oder Desaster?“

Konturen einer lebensfähigen Welt mit 10 Milliarden Menschen

Gerhard Knies, Club of Rome-Mitglied und Desertec-Erfinder, jetzt Gründer des Vereins „Viable World Connection (ViWoCon)“ entwirft im Solarify-Selbst-Gespräch „eine lebensfähige Welt, in der das Zusammenspiel der Einzelprozesse und der verschiedenen Akteure eine nachhaltige Gesamtentwicklung ergibt“. Das erfordere ein grundlegendes Umdenken. Wir bräuchten eine – nur kooperativ erreichbare – ökologische (no-carbon) und zivilisatorische (no-military) Sicherheit, und eine Welt-Innenpolitik.

Was ist das Ziel des neuen Vereins?

Ausgehend von der Überzeugung, dass ein unbewohnbarer Planet keinem nutzt, hat ViableWorldContures das Ziel, Autoren zu gewinnen, die in einem „White Paper“ Konturen einer lebensfähigen Welt mit 10 Milliarden Menschen beschreiben: eine Musterwelt, nicht eine Prognose. Auch wenn diese nicht 1:1 verwirklicht wird, wollen wir damit dreierlei erreichen:

Erstens, wissen wir gar nicht, ob die überhaupt noch möglich ist. Wenn es uns nicht gelingen sollte, eine lebensfähige Modellwelt zu  entwerfen, dann wissen wir, dass wir ein Problem haben. Wenn aber doch, dann haben wir immerhin schon eine realisierbare Option. So wie die globale Situation jetzt ist, ist das nicht klar. Denn die Menschheit hat  die technischen Möglichkeiten zur Zerstörung ihrer selbst und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen – bei unsicheren Kontrollen darüber – und ein Verhalten, das genau darauf hinausläuft. Da ist einerseits eine Sicherheitspolitik, die sich mehr auf Zerstörung als auf Bewahrung stützt und andererseits eine Ökonomie die mit der Demontage unserer natürlichen Lebensgrundlagen kurzfristige Profite macht: ‚boom & bust‘.

Zweitens soll sie uns eine Orientierung für den zügigen Aufbau einer lebensfähigen Welt geben. Alle Welt redet zwar von Nachhaltigkeit, und von vielerlei nachhaltigen Prozessen und Entwicklungen. Aber die eindimensionale Verfolgung nachhaltig erscheinender Einzelentwicklungen bringt uns nicht unbedingt zu einem lebensfähigen Gesamtsystem, zu einer lebensfähigen Welt. Die stellt korrelierte Ansprüche an die Einzelprozesse und völlig neuartige an das Zusammenspiel der Akteure untereinander. Eine Fußballmannschaft, deren Spieler eigensinnig nur persönliche Interessen verfolgen, wird kein Spiel gewinnen. Wir brauchen ein System des optimalen Zusammenspiels der politischen Akteure für ökologische Sicherheit und globale Prosperität. Auch die Energiewende für sich allein greift zu kurz. In einer Musterwelt können wir die Wirkung verschiedener Dimensionen, ihre Korrelationen und Nebenwirkungen analysieren, verstehen und optimieren.

So kann man die Energieversorgung  zwar sauber machen – aber auf eine Weise, die das Biotop Erde an anderer Stelle überstrapaziert, z.B. durch Umwandlung von Regenwäldern in Plantagen für Energie- oder Futterpflanzen, deren ökologische Schäden dann die Lebensfähigkeit ganzer Arten einschließlich der Menschheit gefährden. Die Erde ist zuerst unser Lebensraum, doch wir betreiben sie bevorzugt als Kampfplatz, Marktplatz, Spielplatz oder Produktionsstätte. Also: wir wollen eine lebensfähige Welt entwerfen, in der das Zusammenspiel der Ziele, Prozesse und Akteure eine nachhaltige Gesamtentwicklung ergibt.

Kann man für ein so komplexes System mit so vielen Entwicklungsmöglichkeiten und Überraschungen das Zusammenspiel der geradezu unendlich vielen Einzelprozesse hinreichend erkennen und auch noch steuern?

Das ist sicher nicht bis zur äußersten Optimierung möglich, aber zum Glück auch nicht erforderlich. Oft hilft es schon, die Gesamtwirkungen, also das statistische Mittel der Einzelprozesse zu erkennen. Nehmen wir die Bevölkerungsentwicklung: man muss dafür nicht jede Familie auf der Erde kennen. Ihre Kinderzahlen schwanken sehr, aber innerhalb eines Landes ändern sie sich nur langsam, beeinflusst von den jeweiligen mittleren Lebensbedingungen. Oder nehmen wir den Klimaschutz: letztlich müssen die [[CO2]]-Emissionen drastisch sinken. Eine eindimensionale Lösung wäre: jeder Staat geht von seinen gegenwärtigen Emissionen geradlinig auf den notwendigen universellen Endwert los. Diese Idee ist bei den Klimakonferenzen ernsthaft als Lösungsweg diskutiert worden. Damit würde den vielen gering entwickelten Ländern der Zugang zu wirtschaftlicher Entwicklung versperrt. Sie blieben arm und kinderreich. Dann würde das globale Bevölkerungswachstum aus dem Ruder laufen, die Emissionen weiter steigen und soziale Gefüge umkippen: eine lebensfähige Welt würde das nicht. Der mehrdimensionale Ansatz wäre hier eine finanzielle, technologische und demografische Kooperation zwischen hoch und wenig entwickelten Ländern zum Aufbau einer sauberen Energieversorgung, zur gerechten sozialen und nachhaltig demografischen Entwicklung.

Folgt: Wie soll das methodisch vor sich gehen?