Auftragsvergabe künftig ökologisch und sozial – „Bundesregierung verpasst Chance“

Inhaltliche Schwerpunkte der Vergaberechtsmodernisierung

  1. Vergabeverfahren vereinfachen und flexibler gestalten: Vergaberechtliche Anforderungen an die Bieter dürfen nicht über das notwendige Maß hinausgehen. Es sollen einfachere, schnellere und effizientere Verfahren ermöglicht und Handlungsspielräume des neuen europäischen Rechtsrahmens genutzt werden, um das Vergabeverfahren flexibler zu gestalten, Möglichkeiten zur Verhandlung mit den Bietern entsprechend den neuen Vorgaben der Richtlinien ausgeweitet werden. Vorbehaltlich des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und des Wettbewerbs werden öffentliche Auftraggeber zudem zwischen offenem und nicht-offenem Verfahren frei wählen können.
  2. Nachhaltige und innovative Beschaffung stärken: Unter Beachtung des Ziels der wirtschaftlichen Beschaffung sollen, wo möglich, soziale, ökologische und innovative Aspekte bei der öffentlichen Beschaffung stärker Berücksichtigung finden. Daher sollen bei der Beschaffung Nachhaltigkeit und Innovationen gestärkt und weiterentwickelt werden. Dies kommt auch Unternehmen zu Gute, die ihrer Verantwortung bis hinein in die Produktions- und Lieferkette nachkommen. Auftraggeber sollen bei der Beschreibung der Leistung und bei der Festlegung von Zuschlagskriterien – anders als bisher – unter bestimmten Voraussetzungen pauschal auf Gütezeichen (Labels) verweisen können und müssen bei der Auftragsvergabe auch in Zukunft den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilen. Dabei können jedoch neben dem Preis und den Kosten, einschließlich der Lebenszykluskosten, soziale, ökologische und innovative Aspekte unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes stärker in die Bewertung einfließen. Der öffentliche Auftraggeber kann hierbei konkrete Vorgaben zu den umweltbezogenen und sozialen Eigenschaften der zu beschaffenden Leistungen machen. Bedingung ist wie bisher, dass eine Verbindung zum Auftragsgegenstand besteht. Diese Verbindung zum Auftragsgegenstand ist entsprechend der EU-Vergaberichtlinien unter anderem auch anzunehmen, wenn sich die Anforderung auf ein Stadium des Produktionsprozesses bezieht.
  3. Regeln zur Eignungsprüfung vereinfachen: Nachweispflichten dürfen Unternehmen nicht über das erforderliche Maß belasten. Kontrollaufwand und Vergabeverfahren müssen beherrschbar und praktikabel bleiben. Mit der Einführung der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung wird die Pflicht, umfangreiche Nachweise und Bescheinigungen bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens vorzulegen, durch die Abgabe einfacher Erklärungen der Bieter ersetzt. Damit werden die Bieter entlastet und die Hemmschwelle zur Teilnahme an Vergabeverfahren gesenkt. Künftig werden ausschließlich Bieter, die für den Zuschlag in Betracht kommen, die erforderlichen Bescheinigungen einreichen müssen.
  4. Arbeits- und sozialrechtliche Verpflichtungen beachten (insbesondere Tariftreue und Mindestlohn): Unternehmen müssen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Verpflichtungen –  auch Aspekte der Gleichstellung – einhalten. Im GWB soll besonders festgeschrieben werden, dass bei der Ausführung von Aufträgen ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn, Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz und für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge einzuhalten sind.
  5. Freiräume für die öffentliche Hand erhalten: Entscheidet sich eine Kommune, eine Leistung selbst zu erbringen, findet das Vergaberecht keine Anwendung.  Zentrale Leistungen der Daseinsvorsorge sollen auch weiterhin sowohl in öffentlicher als auch in privater Verantwortung verbraucherfreundlich und kostengünstig erbracht werden können. Die EU-Regelungen zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit werden deshalb „eins zu eins“ im GWB umgesetzt werden.
  6. Vergabe von sozialen Dienstleistungen erleichtern: Für bestimmte – vor allem soziale – Dienstleistungen können vereinfachte Vergabeverfahren vorgesehen werden. Für soziale Dienstleistungen soll daher ein deutlich erleichtertes Vergabeverfahren eingeführt werden.
  7. Mittelstandsfreundliche Vergabe gewährleisten: Die EU-Vergabemodernisierung soll KMU den Zugang zu öffentlichen Aufträgen erleichtern. Der im GWB verankerte Grundsatz soll beibehalten werden, wonach Aufträge verpflichtend in Lose aufzuteilen sind. KMU soll der Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erleichtert werden. Soweit ein Mindestumsatz zum Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangt wird, wird dafür eine Höchstgrenze gesetzt werden. Den Erfordernissen bei der Vergabe von freiberuflichen Dienstleistungen, wie etwa den bestehenden Honorarregeln und der Bedeutung qualitativer Kriterien bei der Bewertung von Angeboten, soll Rechnung getragen werden. Auch kleinere Büros und Neueinsteiger müssen eine reale Chance haben, Aufträge zu erhalten.
  8. Den Belangen von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen Bei jeder Beschaffung müssen die technischen Spezifikationen unter Berücksichtigung der Barrierefreiheit erstellt werden. Bei der Wertung der Angebote in einem Vergabeverfahren wird ein mögliches Kriterium „Design für Alle“ sein. Elektronische Mittel sind möglichst so zu gestalten, dass niemand beim Zugang sowie bei der Nutzung beeinträchtigt wird. Darüber hinaus wird es Auftraggebern ermöglicht, öffentliche Aufträge nur an Werkstätten für behinderte Menschen zu vergeben.
  9. Wirtschaftskriminalität wirksam bekämpfen: Wer sich wegen Wirtschaftsdelikten strafbar gemacht hat, soll nicht von öffentlichen Aufträgen profitieren. Um wieder an Vergabeverfahren teilnehmen zu dürfen, erhalten betroffene Unternehmen die Möglichkeit, durchgeführte Maßnahmen der Selbstreinigung nachzuweisen. Einzelheiten der Ausschlussgründe wie auch der Selbstreinigung sollen im Rahmen der Umsetzung für Auftragnehmer aller Bereiche im GWB geregelt werden. Deshalb soll im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien die Einführung eines zentralen bundesweiten Vergabeausschlussregisters und die Vereinheitlichung der inhaltlichen Regelungen geprüft werden.
  10. Elektronische Kommunikation für das Vergabeverfahren nutzen: Die EU-Richtlinien sehen die verbindliche Einführung der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren vor. Als wesentlicher Beitrag zur Vereinfachung und zur Transparenz des Vergabeverfahrens müssen Angebote künftig grundsätzlich elektronisch eingereicht werden. Betroffene Vergabestellen sollen die längere Umsetzungsfrist für die Einführung der elektronischen Kommunikation voll ausschöpfen können. Im Übrigen werden die rechtlichen Vorgaben zur elektronischen Kommunikation und zum Datenaustausch mithilfe von elektronischen Mitteln für die verschiedenen Leistungsarten einheitlich ausgestaltet. Die Umstellung auf E-Vergabe für Bund, Länder und Kommunen wird eng durch den IT-Planungsrat begleitet.
  11. Verlässliche Datengrundlage für öffentliche Auftragsvergabe schaffen: Verlässliche Daten zur öffentlichen Auftragsvergabe fehlen bislang in Deutschland. Das jährliche Gesamtvolumen der öffentlichen Beschaffung etwa ist nicht bekannt. Wir wollen – auch mit Blick auf die Vorgaben der neuen EU-Richtlinien – die Datenlage für Auftragsvergaben deutlich verbessern. Nur so können wir zum Beispiel auswerten, wie sich die Nutzung verschiedener Vergabearten und die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte in der Vergabepraxis gestalten.

Folgt: Anhörung im Bundestag – WEED-Kritik