Auftragsvergabe künftig ökologisch und sozial – „Bundesregierung verpasst Chance“

Anhörung im Bundestag – WEED-Kritik

Der Bundestagswirtschaftsausschuss veranstaltete am 09.11.2015 eine Anhörung. Eingeladen waren (die Stellungsnahmen jeweils verlinkt) Rechtsanwälte, Vertreter der Bundesarchitektenkammer, des BDI, DIHK und DGB, des Paritätischen Gesamtverbands, der Kommunalen Spitzenverbände, und als einzige Umwelt-Organisation Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V. (WEED). Die WEED-Stellungnahme von Annelie Evermann dokumentiert Solarify in Ausschnitten, denn sie ist die einzige, die den Entwurf auf Ökologie und Nachhaltigkeit abklopft.

Spielräume nur unzureichend genutzt – Bundesregierung verpasst Chance

Die EU-Richtlinie erhebe soziale und ökologische Kriterien zu Vergabegrundsätzen und schaffe Rechtssicherheit in Bezug auf soziale und ökologische Kriterien in verschiedenen Phasen des Vergabeprozesses. Allerdings. „Die Spielräume, welche die EU-Vergaberichtlinie den Mitgliedstaaten zur Einforderung ökologischer und sozialer Standards gegeben hat, sind im deutschen Vergabemodernisierungsgesetz nur unzureichend genutzt worden. Dies haben wir zusammen mit dem CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung ausführlich in unserer Stellungnahme vom 30.4.2015 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ausgeführt.“

Ssoziale und umweltbezogene Aspekte explizit nennen – Begriff ‚Kinderarbeit‘ an ILO ausrichten

So wiesen die Vorgaben zur Leistungsbeschreibung in § 121 nicht ausdrücklich auf die Berücksichtigung von sozialen und umweltbezogenen Aspekten hin: „Entscheidend für die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in der Vergabepraxis ist, dass diese Aspekte in § 121 explizit benannt werden.“ Weiter gebe die EU-Richtlinie den Mitgliedstaaten als zwingenden Ausschlussgrund vor: „Kinderarbeit und andere Formen des Menschenhandels im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 2011/36/EU“. In der Umsetzung des Referentenentwurfes wird „‚Kinderarbeit‘ weder umfassend noch explizit erwähnt. Genannt ist hier lediglich der Teilaspekt des Menschenhandels: ‚§§ 232 und 233 des Strafgesetzbuchs (Menschenhandel) oder § 233a des Strafgesetzbuchs (Förderung des Menschenhandels)‘. Die Bundesregierung hätte hier durchaus die Möglichkeit und auch die Pflicht, Kinderarbeit im Sinne der ILO-Übereinkommen 138 und 182 und der detaillierten Auslegung der ’schlimmsten Formen der Kinderarbeit‘ in der ILO-Empfehlung 190 als zwingenden Ausschlussgrund aufzunehmen. Wir schlagen daher vor, dass § 123 Abs. 1 Nr. 10 des Entwurfes um den Begriff ‚Kinderarbeit im Sinne der ILO-Übereinkommen 138 und 182‘ ergänzt wird.“

Aus fakultativen Ausschlussgründen zwingende machen

Zwar seien nachgewiesene Verstöße gegen „geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen“ als fakultative Ausschlussgründe genannt. Um diesen jedoch „die erforderliche Geltung zu verleihen, sollte jedoch der eröffnete Spielraum dringend genutzt werden, den nachgewiesenen Verstoß gegen geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen als zwingenden Ausschlussgrund festzulegen. Wir schlagen daher vor, § 123 um den in § 124 Nr. 1 formulierten Ausschlussgrund zu ergänzen.“ Darüber weist WEED auf zwei weitere Einschränkungen im jetzigen Gesetzentwurf hin:

  1. Ein Verstoß gegen umwelt-, arbeits- und sozialrechtliche Verpflichtungen führe als lediglich fakultativer Ausschlussgrund nicht wie die zwingenden Ausschlussgründe nach § 123 zur Kündigungsmöglichkeit gem. § 133 Nr. 2.
  2. Während die Richtlinie von den Vergabestellen nur verlange, dass sie „auf geeignete Weise“ entsprechende Verstöße nachweisen, um Bieter ausschließen zu können, wird der Anwendungsbereich im deutschen Gesetzentwurf erheblich eingeschränkt: Den Vergabestellen seit der Ausschluss nur möglich, wenn das Unternehmen „bei der Ausführung öffentlicher Aufträge“ nachweislich gegen die genannten Verpflichtungen verstoßen habe. Sonstige Verstöße müssten unberücksichtigt bleiben bzw. mit der auslegungsbedürftigen Begrifflichkeit „durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird“ gem. § 124 Abs. 1 Nr. 3 aufgefangen werden. Im Falle einer Beibehaltung eines lediglich fakultativen Ausschlussgrundes schlagen wir daher dringend vor, zumindest die Einschränkung in § 124 Abs. 1 Nr. 1 aufzuheben und wie folgt zu formulieren: „das Unternehmen nachweislich gegen geltende Umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat“.

Lebenszykluskosten explizit vorgeben

Angesichts der gewachsenen Erkenntnis, dass die realen Kosten für die öffentliche Hand nur bei Berücksichtigung der Lebenszykluskosten erfasst werden, wäre es ein Rückschritt, die Lebenszykluskosten nicht explizit vorzugeben. Im Entwurf heißt es: „Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden.“ Die EU-Richtlinie nenne aber „zusätzlich ausdrücklich die Berücksichtigung der Lebenszykluskostenrechnung; und darüber hinaus ‚kann das [wirtschaftlichste Angebot das] beste Preis-Leistungs-Verhältnis beinhalten, das auf der Grundlage von Kriterien — unter Einbeziehung qualitativer, umweltbezogener und/oder sozialer Aspekte — bewertet wird‘.“

WEED schlägt daher als Ergänzung der Definition des Preis-Leistungs-Verhältnisses vor: „Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu dessen Ermittlung ist die Lebenszykluskostenrechnung heranzuziehen und sollen neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden.“

Transparenz von Unterauftragnehmern –
Vergabeverordnungsentwurf (VgV) bleibt weit hinter europarechtlich zulässigen Möglichkeiten zurück

Die Überprüfung vertraglich vereinbarter Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards wird laut WEED „in der Praxis dadurch erschwert, dass oft zahlreiche Unterauftragnehmer involviert sind. Daher eröffnet Art. 71 der EU-Richtlinie den Mitgliedstaaten weitreichende Möglichkeiten, für Transparenz der Lieferkette und Haftung von Subunternehmen zu sorgen. Weder die zwingenden Vorgaben der Richtlinie noch die in ihr eröffneten Spielräume sind im Gesetzesentwurf enthalten. Der inzwischen vorliegende Diskussionsentwurf der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) bleibt weit hinter den europarechtlich zulässigen Möglichkeiten für eine verbindlichere Ausgestaltung der Regelungen zur Bekämpfung missbräuchlicher Subunternehmerketten zurück. Die Möglichkeiten des Art. 71 Abs. 5 UA 5, die verbindlichen Mitteilungspflichten auch auf Lieferaufträge, auf andere Dienstleistungsaufträge als solche, die in den Einrichtungen des öffentlichen Auftraggebers unter dessen direkter Aufsicht zu erbringende Dienstleistungen betreffen, oder auf Lieferanten, die an Bau- oder Dienstleistungsaufträgen beteiligt sind, zu erstrecken, werden ebenso nicht genutzt, wie die Spielräume aus Abs. 6 a und b und Abs. 7. Nur mit der in der Richtlinie vorgeschlagenen Transparenz ist es den öffentlichen Auftraggebern möglich, nachzuvollziehen, wer den Auftrag tatsächlich ausführt bzw. zu überprüfen, ob die von ihm vorgegebenen ökologischen oder sozialen Produktionsbedingungen eingehalten werden. Wir empfehlen daher die weitreichende Aufnahme der Transparenzregelungen aus Art. 71.“

Zusammenfassung

„Mit dem derzeitigen Entwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes verpasst die Bundesregierung die große Chance, die umweltschonende und sozial verantwortliche öffentliche Auftragsvergabe auf Bundes-, Länder und kommunaler Ebene zu stärken. Da eine eindeutige gesetzliche Grundlage entscheidend ist für die tatsächliche Ausgestaltung der Vergabepraxis, bitten wir um entsprechende Nachbesserungen im Sinne einer umfassenden und effektiven nachhaltigen Beschaffung.“

->Quellen: