Welche Industrie wollen wir?

Unterschiedliche Typen von Industriepolitik

Industriepolitik ist kein interessenfreier Raum, sondern die unterschiedlichen und auch gegensätzlichen Interessen in Gesellschaft und Politik beeinflussen selbstverständlich industriepolitische Ziele und Instrumente und versuchen, sie für sich zu nutzen. Die unterschiedlichen Typen von Industriepolitik sind deshalb immer auch durch unterschiedliche Interessen geprägt, die gewissermaßen als „Treiber“ anzusehen sind. Beispielsweise ist die zurzeit in Europa forcierte Austeritätspolitik nicht nur wegen ihrer verheerenden sozialen Konsequenzen heftig umstritten, sondern auch, weil sie als ein industriepolitisches „Low-Road- Konzept“ nicht zielführend ist. Durch Senkung der Löhne und Sozialabbau werden sich die Probleme der Industrie in europäischen Staaten nicht lösen lassen. Notwendig ist vielmehr eine industriepolitische Modernisierungsstrategie im Sinne einer „High Road“, um den verschärften Anforderungen im internationalen Wettbewerb gerecht zu werden.

Hierbei ist Industriepolitik kein Neuland. In der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Bundesrepublik erwies es sich immer wieder als notwendig, den stetigen industriellen Strukturwandel sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig zu gestalten. Die ökologische Frage gewann im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung…

Erste Phase: Industriepolitik und „Wirtschaftswunder“

Dass die Interessen der Beschäftigten an guten Arbeitsbedingungen, guter Bezahlung, guter Qualifikation und Arbeitsplatzsicherheit immer wieder neu erkämpft und durchgesetzt werden müssen, galt bereits für die Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders. Nach Zeiten der Vollbeschäftigung Ende der 50er Jahre und anhaltend hohen Wachstumsraten schien der Strukturwandel zeitweilig „reibungslos“ vonstatten zu gehen, so dass Beschäftigte aus damals schrumpfenden Branchen wie der Textilindustrie oder der optischen Industrie in expandierende Bereiche wechseln konnten. Aber dieser Prozess verlief schon damals nicht ohne soziale Härten. Deshalb griff die IG Metall steuernd ein bzw. setzte gegenüber Regierungen durch, dass staatliche Maßnahmen die sozialen Auswirkungen von Branchen- bzw. Unternehmenskrisen milderten.

Im Vergleich zur aktuellen Situation handelte es sich aber um Probleme, die gut zu bewältigen waren. Dies zeigt die erste Krise in der Bundesrepublik Deutschland: der wirtschaftliche Einbruch 1967. Die damalige Arbeitslosigkeit von deutlich unter einer Million, wurde als wirtschaftspolitische Katastrophe empfunden, das keynesianische Instrumentarium erfolgreich angewendet, und nach kurzer Zeit bewegte sich die Bundesrepublik wieder auf dem Wachstumspfad. Allerdings wurde schon damals pragmatische Industriepolitik auf Bundesländerebene gemacht, um gravierende regionale Unterschiede einzuebnen…

Töpfer, Lemb, Pinzler, Machnig, Fücks – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Zweite Phase: Industriepolitik und Krise

Die Situation verschärfte sich grundlegend seit den 1970er Jahren: Seit der sogenannten Ölkrise 1973/74 erfolgten konjunkturelle Einbrüche mit einer gleichzeitig tendenziell steigenden Arbeitslosigkeit. Zugleich kam mit dem Meadows-Report die ökologische Frage erstmals wahrnehmbar auf die Tagesordnung. Die Atomenergie, die zunächst als billige und unerschöpfliche Energiequelle durchweg positiv bewertet wurde, geriet mehr und mehr in die Kritik. Der drohende Klimawandel sowie die befürchtete Ressourcenknappheit waren neue Herausforderungen, denen sich die IG Metall stellen musste. Neue Anforderungen industriepolitischer Gestaltung standen für die IG Metall auf der Tagesordnung. Erstmals zog der Begriff der „nachhaltigen“ Gestaltung des Strukturwandels in die gesellschaftspolitische Debatte ein.

Arbeitspolitik, durchaus ein wichtiges Element einer nachhaltigen Industriepolitik, deren Ziel – die soziale Gestaltung von Automation und technischem Wandel – unverändert aktuell ist, wurde von der IG Metall immer stärker forciert. Die IG Metall war ein wesentlicher Initiator des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens“, das von der Bundesregierung in den 70er Jahren aufgelegt wurde. Es sollte durch betriebsnahe Projekte Wege zu einer humaneren Arbeitswelt im Sinne des Abbaus von Arbeitsbelastungen sowie der Gestaltung von anspruchsvolleren Arbeitsplätzen, zum Beispiel durch die Reduzierung von extremer Arbeitsteilung aufzeigen.

Auch der Umweltschutz, die ökologische Frage, geriet mehr und mehr in das Blickfeld gewerkschaftspolitischen Handelns. Vor dem Hintergrund von Katastrophen wie zum Beispiel in Tschernobyl, dem sich schnell vergrößernden Ozonloch und den damit einhergehenden drohenden Klimaveränderungen wurde die ökologische Umgestaltung auch im Hinblick auf die Produktion immer dringlicher. Damit war aber auch ein Konflikt zwischen den Interessen um den Erhalt der Arbeitsplätze und einer längerfristigen ökologisch orientierten Umgestaltung der Produktion wahrscheinlich. Deshalb bestand schon damals aus Sicht der IG Metall die Aufgabe einer staatlichen Industriepolitik darin, für umweltfreundliche Ersatzarbeitsplätze zu sorgen.

Folgt: Dritte Phase: die Wiedervereinigung als unmittelbare industriepolitische Herausforderung