Neuer Solarboom in Deutschland und der EU?

Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette?

Wie werden nun die einzelnen Stufen der Wertschöpfung in den kommenden Quartalen von den Veränderungen betroffen sein?

  1. Modul/ Zellhersteller
    Die zuletzt noch guten Zahlen der globalen Modulhersteller werden sich im Laufe der kommenden Quartale bei den meisten in tiefrote Zahlen ändern. Nur die Unternehmen mit den besten Kostenstrukturen und den modernsten Anlagen haben nun eine Chance, diese erneute Konsolidierung ohne eine Bestandsgefährdung zu überleben. Das gilt weltweit, denn auch die Unternehmen aus China werden schon lange nicht mehr ‚koste es, was es wolle‘ am Leben gehalten.
    Es dürften bereits in Kürze auch große (Modul-/Zell-) Spieler aus dem Markt ausscheiden oder mit anderen Anbietern fusionieren. Es gibt keine Zukunft für veraltete und unwirtschaftliche Produktionsanlagen und daran ändern auch ggf. niedrigere Löhne nichts, die bei der Verlagerung z.B. nach China anfallen, wo mittlerweile allerdings relativ hohe Löhne im asiatischen Vergleich gezahlt werden.
    In der EU gibt es bei den leistungsfähigen Unternehmen in der Produktion mittlerweile zwei Lager:
    Das eine Lager – im Grund nur die Firma Solarworld – verfügt über eine eigene Zellproduktion in nennenswertem Umfang, das andere Lager sind die Modulhersteller mit Produktionskapazitäten >100 MWp, die ihre Zellen weltweit einkaufen.
    Der weltweite Zelleinkauf ist aber durch einen derzeit >30% über Marktpreis liegend Mindestimportpreis für chinesische Zellen unnötig eingeschränkt. Daher geht die Frontlinie mitten durch die Modulhersteller in der EU. Und so kämpfen beide Lager mit Modulangeboten weit unter dem Mindestpreis für Importe aus China nun einmal mehr ums Überleben. Auch Solarworld wird dem weltweiten Dammbruch von schlicht ökonomisch und technisch besseren Fertigungen rund um die Welt wenig entgegensetzen können, denn sie werden die EU kaum davon überzeugen können, bald dutzende Länder mit angeblichem Dumping in Zölle zu zwingen. Es sei denn, Solarworld gibt endlich seine ineffizienten Teile auf und konzentriert sich darauf, seine hohe Bekanntheit in größere Umsätze umzusetzen.
    Dass sich EU-Modulhersteller zutrauen, trotz des massiven Wettbewerbs zu bestehen, zeigt das Wiederanfahren der Fertigung in Wismar und in der Solarfabrik. Auch ist die zweitgrößte deutsche Fertigung von Astronergy in Frankfurt/Oder strikt gegen jeden Zoll. Es muss also als eine der vielen Solarlegenden gesehen werden, dass man Module nicht in der EU fertigen kann oder nur in Nischenbereichen. Mut gehört schon dazu und die Unternehmen werden es schaffen, wenn sie ihre räumliche Kundennähe mit ihrer gewachsenen Effizienz verbinden und man sie auch machen lässt. Nun muss die EU reagieren und diese mutigen Spieler nicht länger durch Zölle auf ihre Vormaterialien aufhalten. Und formal erlauben, dass „Made in EU“ eben „Made in EU“ ist – die Verantwortung für die Qualität hat der Modulhersteller, nicht die Zelle. Eine echte Technologie- und Industriepolitik ist ja leider weder von der Bundesregierung noch der EU in Sicht.
    Bei Zellherstellern in EU ist das Bild schnell gezeichnet: Es gibt in der EU (leider) außer Solarworld keine Zellhersteller mehr die über 100 MWp Zellen/a herstellen oder dies auch nur annähernd könnten. Zudem sind diese kleinen Fertigungen allesamt veraltet und unwirtschaftlich, wenn es um die Belieferung des breiten Marktes geht. Einige Träumer, es muss so hart ausgedrückt werden, wollen in der EU hocheffiziente Zellen mit Linien unter 100 MWp fertigen zu Preisen, für die im Weltmarkt sehr gute Module zu erhalten sind. Dafür gibt es schlicht keinen Markt. Teilweise wurden nur alte Zelllinien wieder angefahren oder als „Blue Wafer“-Veredler errichtet, um an Zellen „Made in EU oder Germany“ heranzukommen. Wirtschaftlich absolut chancenlos im globalen Wettbewerb weil „zolloptimiert“, denn diese Zellen „Made in Germany“ sind notwendig, um auf dem US- Markt ein deutsches Zollzertifikat für Module aus Deutschland zu erhalten. Der Zoll betrachtet ja noch immer die Zelle als „landbestimmend“, was aus meiner Sicht ein großer Unsinn ist, bestimmt doch alleine der Modulhersteller die Qualität und Spezifikation der ausgelieferten Module. Und das natürlich auch mit einem Wertschöpfungsanteil unter 50% in Deutschland.
  2. Wechselrichter/ Elektronikhersteller
    In diesem Segment gibt es bereits seit Jahren große Veränderungen und einen starken Wettbewerb um neue technische Lösungen und immer niedrigere Preise. Unverkennbar wandert der Markt von zentralen Geräten immer mehr zu dezentralen Einheiten. Größtes Symbol für diese Entwicklung ist die derzeit in China entstehende 2 GWP PV-Anlage, die mit 48kWp-Wechselrichtereinheiten bestückt wird. Mit diesem Wandel werden massive Skaleneffekte bei der Herstellung erzielt, welche bereits heute die Installationskosten von dezentralen Systemen auch in großen Anlagen auf oder in Nähe des Kostenniveaus von zentralen Einheiten gedrückt haben. Im Betrieb sind die dezentralen Systeme dann deutlich im Vorteil, haben sie doch weniger Risiken durch den Ausfall von ganzen Blöcken als große zentrale Geräte. Auch können die Betreiber unabhängiger vom (von einigen auch großen Anbietern nicht eingelösten) Serviceversprechen agieren. Hinzu kommt, dass weitere Bauteile wie Generatoranschlusskästen (GAK) verbunden mit Stringmonitoring überflüssig werden. Wird Powerline oder gar lokale G4 Netze zur Kommunikation in den großen Anlagen verwendet, können auch hier Verkabelungen etc. eingespart werden.  Zentrale Einheiten können nur eine Zukunft bekommen, wenn sie deutlich billiger als dezentrale sind und man den Anbietern Serviceversprechen auch abnehmen kann.
    Und genau an dieser Stelle machen den 5+ Jahren alten Anlagen die Wechselrichter und die GAK/Monitoringeinrichtung mit Abstand den meisten Ärger, z.B. bei auch Trafos und Mittelspannungsstationen. Auch hier sind namhafte Elektroausrüster betroffen. Denn einige dieser Firmen sind aus dem Markt ausgestiegen, einige mit einer Pleite ganz weg, andere trotz Mitgift durch Käufer der Geschäftseinheiten mit einem jetzt nicht mehr funktionierenden Service unterwegs. Andere – auch hier massiv die Großen – gehen stundenlang nicht ans Servicetelefon oder melden sich schlicht nicht. Viele Betreiber denken bereits jetzt über einen aktiven Austausch der Geräte nach, da sie nicht auf den Moment warten wollen, wenn z.B. nach einem Blitzschaden kein Ersatz beschafft werden kann. Diesen Herstellern wird das Solargeschäft in Kürze abhandenkommen, denn sie können nur in hoch subventionierten Märkten agieren. Märkte, die es auf dem Globus immer weniger gibt und auf denen auch leistungsstärkere Firmen agieren. Oder die Konzernleitung macht die Einheit, simpel gesagt, zu. Außerhalb von Nischen geht das Rennen nur noch, wenn es Skaleneffekte in der Produktion gibt. Den bekannten Unternehmen, die im Markt bleiben wollen, kann nur angeraten sein, jetzt keine Service-Fehler zu machen. Die Kunden sind sofort weg.
  3. Handel/ Handwerk/ EPC
    In diesem Segment, das direkt am Betreiber agiert, wird es natürlich in nun sinkenden Marktregionen hart sein, im Markt zu bleiben. In den Regionen, die durch den Preisrutsch bei Modulen möglicherweise vor einem Wachstum oder zumindest einer Stabilisierung stehen, können die Unternehmen sicher neue Kunden mit mehr Margen im Rücken erschließen. Sofern sie die Vorteile im Einkauf nicht sofort in voller Höhe an die Kunden durchreichen. Denn die neue Situation bietet in Segmenten, in denen höhere Strompreise aus den PV-Anlagen möglich sind (also außerhalb der Kraftwerke mit dem hohen Preisdruck durch die Ausschreibungen), die Chance, höhere Margen zum Ausbau der Vertriebe zu nutzen. Dieses Segment hat also durchaus gute Chancen, von den niedrigen Preisen auf der Produktionsseite zu profitieren. Aber dies gilt nur für einen Teil, während andere mit schrumpfenden Märkten vor Ort aus dem Markt ausscheiden dürften. Und es gilt nur für diejenigen, die ihre Beschaffungspolitik noch besser dem volatilen Markt anpassen, um so Lagerabwertungen zu vermeiden. Denn Volatilität bleibt das Hauptstichwort in der Entwicklung der PV-Industrie.

->Quelle: Dieser Blog erschien am in „Klare Worte – K. H.Remmers bloggt“