Zur Transformation der globalen Energiesysteme

Die derzeitige Lage in der Klimapolitik

Und doch gibt es auch Grund zu Optimismus. In einer globalen Wettbewerbswirtschaft tragen die Energiepreise wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit einer Nation bei. Dank jahrzehntelanger entschlossener Arbeit von Wissenschaftlern weltweit liegen die Kosten für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern inzwischen fast auf dem Niveau der fossilen Brennstoffe. In windreichen Regionen sind die Preise für Windenergie seit einiger Zeit wettbewerbsfähig. Auch die Kosten für Photovoltaik-Strom sind in den letzten Jahren enorm gesunken. In einigen Regionen mit intensiver Sonneneinstrahlung gelten Photovoltaikanlagen inzwischen bereits als preisgünstigste Energiequelle – solange die Sonne scheint. Die Speicherung von Wärme oder Strom für die Nacht oder für Regentage ist teuer und bringt grundlegende wissenschaftliche und technologische Herausforderungen mit sich.

Um im Prinzip flüchtige elektrische Energie in ein Energiesystem zu integrieren, das aktuell aus elektrischen, aber an zentraler Stelle auch aus chemischen, molekularen Energieträgern besteht, also aus Kraftwerken und Stromnetzen, aber eben auch aus Kraftstoffen oder wie im Fall von Kunstdünger anderweitigen, chemischen Energieressourcen, reicht es nicht aus, erneuerbare Energien und ihre Speicherung als zwei ‚Drop in‘-Lösungen zu diskutieren. Wir müssen das gesamte Energiesystem und die Rohstoffversorgung umgestalten. Dieser Umgestaltungsprozess umfasst technische, wirtschaftliche, regulatorische und gesellschaftliche Aspekte und sollte auf einem angemessenen Verständnis der wechselseitigen Beziehungen zwischen technischen und gesellschaftlichen Interaktionen basieren, die über wirtschaftliche und regulatorische Maßnahmen vermittelt werden. Mit dieser Perspektive im Blick ist es an der Zeit, eine ganzheitlich orientierte Betrachtung der Strukturen und Konzepte unserer Energiesysteme in Angriff zu nehmen. Die Energiemärkte bewegen sich mit wachsender Geschwindigkeit. Vielleicht war es kein Zufall, dass die Pariser Vereinbarung im Jahre 2015 unterzeichnet wurde, dem Jahr also, in dem die neu installierte elektrische Leistung aus regenerativer Stromerzeugung erstmals in der Geschichte die Neuerrichtung fossil befeuerter Kraftstoffwerke übertraf. Die Bedeutung dieser technologischen und wirtschaftlichen Fortschritte kann nicht oft genug betont werden. Investoren und Versicherungsgesellschaften beginnen, in großem Maßstab über Investitionen in Maßnahmenpakete für erneuerbare Energien nachzudenken.

Zur Reduzierung von Anlagerisiken suchen Finanzmarktakteure nach den besten Möglichkeiten, riesige Investitionspakete zu implementieren, bei denen der technische oder politische Ausfall eines Riesenprojekts nicht die gesamte Investition gefährdet. Solche Überlegungen sind deshalb so wichtig, weil viele Investitionsmöglichkeiten in Teilen der Welt entstehen, die politisch, sozial und wirtschaftlich nicht stabil sind. Die Verhandlungen in Paris drehten sich überwiegend darum, eine Einigung zu erzielen, zu deren Unterzeichnung nahezu alle Länder bereit sind. Beim Klimagipfel, der ein Jahr später in Marrakesch, Marokko, stattfand, konzentrierten sich dagegen viele Diskussionen auf neue technologische Lösungen und Geschäftsmöglichkeiten.

Es kann und soll jedoch nicht die Aufgabe der hier beschriebenen Aktivität der Max-Planck Gesellschaft sein, unmittelbar in den politischen Diskurs einzugreifen. Vielmehr ist dieser Gegenstand der geplanten Studien. In Umsetzung der vorgesehen systemischen Betrachtung von Transformation wäre eine Betrachtung ohne Einbeziehung der politischen Realitäten unvollständig und würde vielfältige Zusammenhänge in sozio-technischen Systemen ignorieren.

Kultur als Innovationsmotor

In welcher Weise und mit welchem Tempo sich all diese Probleme spürbar auf gesellschaftliche Entwicklungen übertragen werden, lässt sich nicht leicht vorhersagen. Die neue Forschungsinitiative der Max-Planck-Gesellschaft wird viele dieser offenen Fragen angehen – und bei ihrem Versuch, Antworten zu finden, wahrscheinlich neue Fragen aufwerfen. Die Initiative wird von einer interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft vorangetrieben. Am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion arbeiten Naturwissenschaftler an der Entwicklung neuer Methoden, mit denen sich Energie effizient in speicherbare und nutzbare Formen umwandeln lässt. Aus der Perspektive der Geisteswissenschaften kann das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte seine Forschungskompetenz. Die breite, auch gesellschaftliche Bedeutung der Veränderung von Wissenssystemen und technischen Systemen wird hier erforscht. Wissenschaftler des Instituts sind mit vergleichenden Untersuchungen unterschiedlicher Kulturen und Wissenssysteme in Nord und Süd, Ost und West vertraut, die große Zeiträume wissenschaftlicher, sozialer und technischer Entwicklungen umspannen.

Für ein vertieftes Verständnis der grundlegenden Herausforderungen unserer Zeit wird neues Wissen benötigt. Beispiele zukünftiger Forschung könnten menschliche Interventionen in Zyklen des Erdsystems sein, Schlüsselressourcen  für die bestehenden sozio-technischen Systeme oder auch Interaktionen zwischen gesellschaftlichen Netzwerken auf der Makroebene und den Netzwerken auf der Mikroebene der industriellen, etwa chemischen Stoffkreisläufe. Selbst abstrakte Informationstechnik ist materiell geerdet, selbst digitale soziale Netzwerke sind ohne Ressourcen und deren Kontexte undenkbar.  In jedem Fall muss die künftige Forschung ein breites Spektrum an Erdsystemwissenschaften einbeziehen, schon um die planetarischen Auswirkungen menschlich technischen Tuns immer mitzureflektieren.[note Verständnis der Treibhausgase wird nicht ausreichen, ebenso wenig die Beherrschung aller chemischen Reaktionen und Energieumwandlungstechniken: Rauch und Wasserdampffahnen von Kraftwerken im Berliner Nordwesten – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify]Für eine befriedigende Beurteilung der Probleme unserer Zeit wird es nicht ausreichen, alle grundlegenden chemischen Reaktionen, die Verteilung von Treibhausgasen, ihre Produktions- oder Konversionsmethoden und die Möglichkeiten des Ersatzes einer Energiequelle durch eine andere zu verstehen. Denn gesellschaftliche Veränderungen und kulturelle Entwicklungen sind nicht nur das Ergebnis von technologischen Revolutionen, sondern zugleich auch deren Ursache. Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Technik und Kultur gestaltet sich komplex. Zuweilen führen neue Technologien – Erfindungen wie beispielsweise der Buchdruck, Radio und Fernsehen oder das Internet – im historischen Effekt zu einer Neuordnung der Gesellschaft.

Und oft ist es Kultur selbst, die technologische Entwicklungen vorantreibt. Ohne die Nachfrage nach Büchern und ohne breite gesellschaftliche Debatten wie etwa die Reformationsbewegungenhätte es in der frühen Neuzeit wohl wenig Anreiz gegeben, den Buchdruck zu entwickeln bzw. auszubauen. Und in den aktuell vergangenen Jahrzehnten hat zunehmend ein Nachdenken über nachhaltige Lebensweisen eingesetzt und zu einem weltweit spürbaren Trend hin zu gesünderer Ernährung sowie Natur- und Umweltschutz geführt. In den Großstädten rund um den Globus erleben wir eine Renaissance des Fahrrads – ein altes, aber praktisches, umweltfreundliches und gesundes urbanes Transportmittel. Aber oft genug zahlen sich technische Lösungen allein nicht aus. Die Verbrennungsmotoren sind effizienter geworden. Das hat zwar die Treibstoffkosten für den Warentransport reduziert, aber keine spürbaren Auswirkungen auf einen reduzierten Treibstoffverbrauch im Privatsektor gehabt. Die Verbraucher kaufen größere Autos, weil der Kraftstoff für sie immer noch bezahlbar ist.

All diese kulturellen Entwicklungen beeinflussen unsere Lebensweise, unseren Städtebau, unsere Mobilität sowie unsere Arbeitswelt und sind umgekehrt von diesen Faktoren abhängig. Darum ist die Zusammenführung von Kenntnissen und Fähigkeiten aus den Geistes- und Naturwissenschaften für eine Analyse der derzeitigen Lage von entscheidender Bedeutung. Die Probleme, denen wir gegenüberstehen, sind vielfältig – in Wirklichkeit so umfassend, dass die Aussichten zuweilen bedrohlich erscheinen. Vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Verhaltensweisen der modernen Menschheit auf unseren Planeten kann man sich leicht der Definition einer neuen geologischen Epoche – des Anthropozäns – anschließen, die heute als eine neue geologische Zeitperiode diskutiert wird, deren Kennzeichen der globale Einfluss der Menschheit ist.

Regenwald brennt südlich von Boavista/Brasilien 1991 – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Während bei den Geologen die akademische Debatte darüber noch geführt wird, ob das Anthropozän offiziell als neues Erdzeitalter ausgerufen werden sollte, ist eines auch ohne den geologischen Fachterminus klar: menschliches Handeln hat zahlreiche chemische und metereologische Parameter unseres Planeten verändert. Wir erleben die Folgen unserer Lebensweise bereits im planetarischen Ausmaß. Das schafft eine Reihe von Problemen, die von der globalen Erwärmung über die Versauerung der Ozeane bis zur Verschlechterung der Böden und zum Verlust von landwirtschaftlicher Nutzfläche reichen. Zu den Folgen solcher Veränderungen zählen auch wachsende Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelerzeugung sowie Migrationskonflikte.

Folgt:  Lehren aus der Vergangenheit