Zur Transformation der globalen Energiesysteme

Max-Planck-Forschungsinitiative zur sozio-technischen Gestaltung der Energiewende

Jürgen Renn, Robert Schlögl, Christoph Rosol und Benjamin Steininger stellten am 30.11.2017 eine Forschungsinitiative der Max-Planck-Gesellschaft zu sozio-technischen Aspekten der Energiewende vor. [note Für den Wandel von einer vor allem auf Kohle beruhenden Wirtschaft hin zu einer maßgeblich von Erdöl befeuerten Wirtschaft an der Wende zum 20. Jahrhundert steht die historische Aufnahme eines Ölfelds in Pennsylvania (USA). Mit dieser Transformation waren auch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen verbunden. Foto © Deutsches Museum Archiv: BN25643]Die Welt verändert sich, aber nicht schnell genug. Die Erderwärmung, die durch die Zunahme von Treibhausgasen weiter fortschreitet, bereitet den politischen Entscheidungsträgern weltweit offenbar genug Sorgen, um endlich tätig zu werden. Die Pariser Vereinbarung, die im Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCC) inzwischen von 168 Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde, hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis Mitte dieses Jahrhunderts drastisch zu senken. Dabei soll der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperaturen auf höchstens 2° C und nach Möglichkeit sogar auf 1,5° C über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Forscher machen jedoch darauf aufmerksam, dass die Treibhausgasemissionen nach wie vor weiter steigen und sich diese Entwicklung noch einige Jahre fortsetzen wird – möglicherweise so stark, dass sich die Höchstgrenze von 2° C unmöglich aufrechterhalten lässt und erheblich höhere Durchschnittstemperaturen erreicht werden.

Wie auch immer die Menschheit ihren unhaltbaren Lebensstil verändert und welche Lösungen sie auch entwickelt und umsetzt: Eines ist klar – wir leben in einer Zeit des Übergangs. Aus einer wirtschaftlichen und technologischen Perspektive betrachtet und unter Berücksichtigung der geohistorischen Folgen leben wir im Beginn des Anthropozäns, eines Zeitalters also, in dem das menschliche Handeln dauerhafte planetarische Einflüsse entfaltet und das deshalb heute als neues geologisches Zeitalter diskutiert wird. In den nächsten Jahrzehnten sind in der industriellen Produktion drastische Veränderungen mit neuen Stoffkreisläufen, neuartigen Arbeitsformen, notwendig werdenden globalen Kooperationen, Technologieaustausch und insbesondere neuen Wegen in der Energiegewinnung zu erwarten. Insbesondere das Energiesystem der Zukunft ist von entscheidender Bedeutung für alle anderen Prozesse und deren Auswirkungen auf das Erdsystem.

Herausforderungen in historischen und geohistorischen Maßstäben

Welche gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen die Entwicklungen im Energiesektor und im Bereich der natürlichen Ressourcen haben werden, ist weitestgehend unbekannt. Allzu oft wird deutlich, dass sich die Geisteswissenschaften einerseits und die Natur- und Technikwissenschaften anderseits in verschiedenen Welten bewegen; viel zu selten beschäftigen sich Wissenschaftler mit den Entwicklungen außerhalb der Sphäre ihrer eigenen Disziplin. Dies mag in vielen Fällen, rein technisch gesehen, funktionieren. Wenn es allerdings um Herausforderungen in historischen und geohistorischen Maßstäben geht, kann eine fehlende, breiter angelegte historische Perspektive unter Umständen die Möglichkeiten für einen sachgerechten Umgang mit dem Übergangsprozess in schwerwiegender Weise einschränken. Ein tieferes Verständnis des historischen Hintergrundes von Prozessen, die diese Energietransformation begleiten, ist damit nicht nur von akademischem Wert, sondern auch der einzige Weg, die Dimension der laufenden Entwicklung wirklich zu begreifen.

Aus diesem Grund prüft die Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftliche Sektion der Max-Planck-Gesellschaft die Möglichkeit, eine neue Forschungsinitiative ins Leben zu rufen – ein Pilotprojekt, eine Abteilung oder sogar ein eigenes Institut. Forschungsleitend könnte eine einfache, aber weitreichende Frage sein: Wie gestalten sich die Wechselwirkungen zwischen technologischen Veränderungen bei den Energiesystemen und den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen, insbesondere auch den Wissenssystemen? Die neue Forschungsinitiative der Max-Planck-Gesellschaft ist als breit angelegte historische und systematische Perspektive auf Szenarien zwischen dem Neolithikum und der Gegenwart angedacht. Sie will Experten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen einbeziehen, um neuartige Methoden für eine historische Erforschung von Energiewendeprozessen zu entwickeln. Die Bedeutung einer umfassenden historischen Perspektive wird das erste Grundprinzip sein. Das zweite Grundprinzip ist die Überzeugung, dass Energieregime mit Kernfragen von Gesellschaftssystemen interagieren. Das erfordert eine breit angelegte, systemische Perspektive etwa daraus, inwiefern sich  für die Moderne grundlegende Konzepte wie die Freiheit des Einzelnen, Wohlstand und Fortschritt gemeinsam mit dem technischen System der Nutzung fossiler Energieträger entwickelt haben. Das dritte Prinzip betrifft die Materialität von Energieträgern und entsprechenden Energietransformationsprozessen. Zu analysieren sind die konkreten Kontexte von insbesondere chemischen Industrieanlagen, Rohstoffdistrikten sowie die globalen Zyklen der Produktion, des Verbrauchs und der Umweltverschmutzung.

Im Verbundprojekt Carbon2Chem® (s. solarify.eu/co2-als-rohstoff-carbon2chem) von 18 wissenschaftlichen Instituten und Unternehmen werden auf der Basis katalytischer Verfahren Technologien für chemische Synthesen entwickelt, mit denen Hüttengase aus der Stahlproduktion in marktfähige Chemieprodukte oder synthetische Treibstoffe umgewandelt werden – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Neue Formen der Analyse und Beschreibung müssen sich auf die historischen Interaktionen zwischen verschiedenen Mikrosphären und der planetarischen Makrosphäre konzentrieren. Nicht zuletzt sind das Anthropozän und die dazugehörige Anthropozän-Forschung ein Leitmotiv der interdisziplinären wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen der neuen Forschungsinitiative.

Gemäß der Tradition der Max-Planck-Gesellschaft, werden die an dieser Initiative beteiligten Wissenschaftler viel Raum erhalten, eigenen Forschungsperspektiven zu entwickeln und an Problemen der Grundlagenforschung zu arbeiten. Eine solche Arbeitsumgebung trägt dazu bei, die gesellschaftlichen Herausforderungen zu verstehen, die aus der mit dem Klimawandel verbundenen Energie- und Ressourcendynamik hervorgehen. Junge Wissenschaftler erhalten hier ausgezeichnete Möglichkeiten und Spielräume, sind aber gleichzeitig auch Teil einer wirklich interdisziplinären Arbeitsatmosphäre.

Folgt: Energiewende und gesellschaftlichen Wandel verstehen