„Wechselseitiges, bilaterales Lernen zur Beschleunigung der Energiewende“

Beobachter der japanischen Energiepolitik fragen häufig, warum die japanische Regierung nach der Katastrophe von Fukushima immer noch an der Kernenergie festhält. Welche Gründe gibt es dafür?

Japan sieht sich seit der Ölkrise in den 70er Jahren als Inselstaat ohne eigene fossile Energieressourcen in einer prekären Versorgungssituation, die Energie-Importabhängigkeit betrug damals 91%. Die Atomenergie erschien als der Ausweg und wurde zügig bis zu einem maximalen Stromanteil von 34,5% ausgebaut. Nach der Katastrophe von Fukushima (2011) wurde zunächst 2012 und erneut in 2014 alle AKW vom Netz genommen. Premierminister Yoshihiko Noda verkündete im September 2012 einen Atomausstieg bis spätestens in 40 Jahren. Aber nach seiner Abwahl im Dezember 2012 betrieb sein Nachfolger, Shinzo Abe, erneut die Wiederinbetriebnahme der Reaktoren. Von den ehemals 54 Reaktoren waren allerdings wegen massiver Proteste und anhängiger Gerichtsverfahren Anfang 2018 erst 5 wieder am Netz; der Atomstromanteil lag Anfang 2018 mit etwa 3% deutlich unter dem von Deutschland (13%).

Die Kompensation des Atomstroms durch fossile Energien führte zu erheblich steigenden Strompreisen (Industrie in 2013: 30%), zu einem Anstieg der CO2-Emissionen und zu massiver Importabhängigkeit von 96%. Der Börsenwert der 10 vertikal integrierten Stromkonzerne und Atomstromproduzenten sank drastisch, TEPCO wurde nur durch eine Quasi-Verstaatlichung vom Konkurs gerettet. All dies sind Gründe, warum die Allianz von Atomstromlobby und Regierungsvertretern („nuclear village“), trotz der weiter bestehenden Erdbebenrisiken noch einen erheblichen Einfluss auf die Energiepolitik ausübt. Vor allem auch, weil anders als in Deutschland noch kein Konsens über die Alternativen und die Ziele für 2050 besteht.

Eine entscheidende Grundsatzfrage für die japanische Energiepolitik lautet: Ist Japan ein „energiearmes“ oder ein „energiereiches“ Land? Wie wird diese Frage von Experten in Japan und von außerhalb beantwortet?

 Aus dem „Inseltrauma“, ein Inselstaat ohne eigene fossile Energieressourcen zu sein, kann Japan sich ohne Atomenergie letztlich nur vollständig befreien, wenn ausreichende nationale Potenziale von Energieeffizienz und Erneuerbarer Energien umfassend genutzt werden, um eine wirtschafts- und sozialverträgliche Energieversorgung aus Erneuerbaren Energien aufzubauen. Dadurch würde Japan zu einem „energiereichen Land“, zumal seine natürlichen Bedingungen für Solarenergie, Wind, Geothermie und Biomasse teilweise günstiger sind als in Deutschland – mit Ausnahme von Off-Shore Windanlagen, die im tiefen Ozean nur schwimmend („floating“) und damit teurer zu betreiben sind.  Wie Deutschland in Europa könnte Japan dann weitgehend energieautark sein, soweit es für beide nicht günstiger ist, z.B. Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe aus sicheren und umweltverträglichen Quellen zu importieren, z.B. aus Elektrolyse mittel Solar- und Windstrom in Ländern mit noch besseren Bedingungen dafür.

Diese Position eines „energiereichen Landes“ wird von Experten vertreten, die eine Zukunftsstrategie mit 80% CO2-Reduktion bis 2050 auch ohne Atomenergie in Japan für wirtschaftlich realisierbar halten. Ihre Hauptbegründung ist die fulminante Kostensenkung bei Strom aus PV und Wind und die enormen, noch nicht erschlossen kosteneffektiven Effizienzpotentiale und die Co-Benefits der Kombination beider Strategien (z.B. geringere Importabhängigkeit, Energiekostensenkung, neue Geschäftsfelder und Jobs, Beitrag zur weltweiten Risikominimierung).

Aber die offizielle Energiepolitikdoktrin geht bisher davon aus, dass Japan ein „energiearmes Land“ mit einer unvermeidlichen Importabhängigkeit bleibt. Zwar bestünde theoretisch die Option eines „Supergrids“, die eine langfristige Einbindung in einen Stromverbund mit dem Festland (Russland, China) technisch möglich machen könnte. Aber diese Option wird aus geostrategischen Gründen derzeit nicht ernsthaft verfolgt.

Die japanische Regierung hält bislang an ihrer Zielvision fest, bis zum Jahr 2030 den Anteil der Kernenergie am Strommix wieder auf 22% anzuheben. Was sind die Gründe dafür, und ist das ein realistisches Ziel?

Das „Quadlemma“ (Prof. Arima) Japans, bestehend aus Importabhängigkeit, hohen Energieimportkosten, steigenden Energiepreisen und CO2-Emissionen, ist kurzfristig nicht aufzuheben. Erneuerbare Energien seien in Japan teurer als anderswo, ebenso wie Erdgas, das als Flüssiggas importiert werden muss. Kohle ist billig aber klimaschädlich. Daher erscheint eine gewisse „Rückkehr“ zur Atomenergie zunächst plausibel. Aber die Zielmarke von 22% Atomstromanteil bis 2030 ist weder realistisch noch nach Ansicht der deutschen und auch vieler japanischer Experten langfristig eine erfolgreiche Strategie das „Quadlemma“ aufzulösen. Ohne eine forcierte Strategie der Effizienzsteigerung und ohne Richtungsentscheidung für Erneuerbare Stromerzeugung (aus PV, Wind, Geothermie, Biomasse), für einen komplementären Netzausbau, für deutliche Anreize und für einen diskriminierungsfreien Netzzugang für Newcomer, bleibt eine fatale Pfadabhängigkeit entweder von Atomstrom oder von Kohle bestehen. Eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 wird dann unmöglich, die Chancen einer Risikominimierung durch Atomausstieg bleiben ungenutzt und eine Stärkung der internationalen Wettbewerbsposition Japans auf den „Leitmärkten“ für Klima- und Ressourcenschutz (z.B. Techniken für Energie- und Ressourceneffizienz und Erneuerbare) findet nicht statt.

Folgt: Deutsche, aber auch japanische Experten berufen sich häufig auf die deutsche Energiewende als Referenzfall und empfehlen der japanischen Regierung diesem Beispiel zu folgen. Inwieweit sind die deutschen Erfahrungen auf Japan übertragbar?