„Wechselseitiges, bilaterales Lernen zur Beschleunigung der Energiewende“

Der GJETC hat im April seinen „Report 2018“ vorgelegt. Was sind die wesentlichen Ergebnisse der bisherigen Ratsarbeit in der Periode 2016-2018 und welche weiteren Planungen gibt es?

GJETC-Report 2018 – Titelseite © gjetc.org

Der Report 2018 enthält weitgehende Empfehlungen zur Beschleunigung der Energiewende in beiden Ländern wie auch eine detaillierte Auflistung von offenen Forschungsfragen. Eine Premiere für die deutsch-japanische Wissenschaftskooperation ist ein Dialogteil, in dem die Ratsmitglieder jeweils kritisch den Stand der Energiewende im eigenen Land, aber auch im Partnerland kommentieren. Gerade dieser Dialogteil spiegelt – trotz erheblicher Bewertungsunterschiede z.B. bei der Atomenergie – die geschaffene Vertrauensbasis wider.

Gemeinsam festgestellt und empfohlen wurde vom Rat, dass

  • ambitionierte langfristige Klimaschutzstrategien zur Dekarbonisierung notwendig sind und Deutschland und Japan als Hochtechnologieländer eine Führungsrolle übernehmen müssen
  • eine substantielle Transformation des Energiesystems in beiden Ländern bis zum Jahr 2050 unumgänglich ist und zentrale Ziele wie Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit dabei zu berücksichtigen sind
  • die forcierte Markteinführung von Effizienztechniken und Erneuerbaren Energien höchste Priorität hat, trotz unterschiedlicher Bewertung der Kernenergie
  • in beiden Ländern verstärkte Anstrengungen aller Stakeholder, vor allem aber auch der Energiepolitik auf allen Ebenen, zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende notwendig sind
  • das Strommarktdesign mehr Anreize und Flexibilitätsoptionen für eine großflächige Ausweitung variabler Stromerzeugung bereitstellen muss, flankiert durch Strategien zur Kostensenkung bei Strom aus PV und Wind
  • die Umsetzungslücke bei der Energieeffizienz durch ein innovatives Energiepolitikpaket geschlossen werden muss, um dem Prinzip „Energy Effiziency First“ Geltung zu verschaffen, wobei zusätzlich auch die genügsame Nutzung von Energiedienstleistungen (Energiesuffizienz) zu fördern ist
  • die Synergien und Co-Benefits zwischen einer forcierten Energie- und Ressourceneffizienzpolitik erschlossen werden
  • die Koexistenz von zentralem Sektor und der wachsenden Vielfalt der Aktivitäten zur Dezentralisierung (Bürgerfinanzierung, Energiegenossenschaften, Errichtung von Stadtwerken) unterstützt werden
  • durch eine gemeinsame Szenarien-Arbeitsgruppe und durch die Etablierung eines akademischen Austauschprogramms die wissenschaftliche Kooperation vertieft werden kann

Nicht zuletzt waren sich alle Mitglieder des Rates einig, dass die erfolgreiche Arbeit des GJETC, wenn möglich in einer 2. Phase (2018-2020) fortgesetzt und auf eine neue Stufe gehoben werden soll. Die Finanzierung von japanischer Seite ist bereits weitgehend gesichert. Auf deutscher Seite gibt es positive Signale der bisherigen Finanziers und von Unternehmen. Wegen der Verzögerung bei der Regierungsbildung ist erst Ende September ein definitiver Weiterführungsbeschluss zu erwarten. Ab Juni 2018 wird zum Beispiel in einer YouTube Serie das umfangreiche Material des Rates im Netz verfügbar gemacht.

Ist der GJETC nach seinem Selbstverständnis konzipiert als Knowhow-Transfer von Deutschland nach Japan oder geht es ihm um einen wechselseitigen Informationsaustausch?

Der GJETC versteht sich als eine zivilgesellschaftliche Institution des wechselseitigen, bilateralen Lernens zur Beschleunigung der Energiewende in beiden Ländern. Allerdings bedarf es einiger Zeit und des Aufbaus einer Vertrauensbasis, bis der Wissenstransfer – wie beabsichtigt – in beide Richtungen verläuft. Es war bisher keine Stärke deutscher Politik systematisch von den guten Erfahrungen anderer Länder zu lernen, um nationale Politikprozesse zu beschleunigen. Aufgrund eines Fokus’ auf Themen wie Strom und Gebäude, bei denen Deutschland einen Vorsprung hat, ergab sich in der ersten Phase des GJETC eine gewisse Ungleichgewichtigkeit der Lernprozesse, die aber in einer zweiten Phase in Richtung stärkeren Lernens von Good practice-Bespielen auch in Japan korrigiert werden soll.

Es gibt zahlreiche deutsch-japanische Kooperationen und Dialoge auf Regierungsebene auf dem Feld der Energie- und Klimapolitik. Welchen Mehrwert hat der GJETC im Vergleich zu diesen offiziellen Aktivitäten?

Es soll Aufgabe der bilateralen Politikberatung in Form des GJETC sein, operative Hinweise auf vorhandenen Änderungsbedarf, Entwicklungen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene, technologische und institutionelle Potenziale sowie positive wie negative Erfahrungen im jeweils anderen Land aus komplexen Aktions-/Politikbereichen an Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in verständlicher und nachvollziehbarer Form heranzutragen. Daraus können sich Impulse für die Energiepolitik in beiden Ländern aber auch andernorts ergeben. Aber selbstverständlich kann der Erfolg eines Rates nicht an konkreten Änderungen der Regierungspolitik gemessen werden.

Deutschland hat 30 Jahre gebraucht, um von der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik“ (1979/1980) in scharfen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu den Energiewende-Beschlüssen 2010/2011 zu gelangen. Zweifellos können Prozesse der Dekarbonisierung und Risikominimierung weltweit zukünftig auf Grundlage disruptiver Technologien und durch umfassendes Erfahrungswissen abgekürzt werden. Auch die anstehenden ambitionierteren Implementierungsprozesse („scaling up, speeding up, tightening up“) in Deutschland und Japan können durch Kooperation und Wettbewerb unterstützt werden.

Vergleicht man Format und Arbeitsweise des GJETC mit der Vielfalt erfolgreicher Dialoge, Konferenzen und Workshops zwischen Deutschland und Japan, dann hat der GJETC folgende Alleinstellungsmerkmale, die in einer 2. Phase noch vertieft werden können:

  • Die Anlehnung hinsichtlich Format, Wissensgenerierung und energiepolitischer Fachdiskussion an das Format der deutschen Enquete-Kommissionen, aber ohne einen politischen Auftrag und daher wissenschaftlich unabhängiger.
  • Die Ermöglichung eines dialoghaften und (selbst-)kritischen Umgangs auch mit kontroversen Themen, die den Rahmen üblicher diplomatischer Konsenssuche überschreitet.
  • Die Kontinuität und die Forschungstiefe der Arbeit (Studienprogramm, Inputpapiere; künftig: die Analyse spezieller gemeinsamer Schlüsselthemen), die über ad hoc Veranstaltungen sowohl der Politikdialoge als auch der Wirtschaftskontakte deutlich hinausgehen.
  • Die indirekte Unterstützung von Politik, NGOs und Zivilgesellschaft mit Material und wissenschaftlich fundierten Argumenten durch die Publikation und – wie beabsichtigt – die vertiefte Kommunikation aller Forschungsergebnisse.
  • Die Entwicklung und Vertiefung persönlicher Netzwerke mit der Energie-Forschungslandschaft in beiden Ländern (z.B. die dt.-jap. Instituts-Konsortien des Studienprogramms).
  • Die Einbeziehung relevanter Stakeholder durch die Beantwortung des GJETC-Fragenkatalogs und die Diskussion bei den Stakeholder-Dialogen.

Der GJETC ist daher nach Format, Arbeitsweise und Zielsetzung eine weltweit bisher in dieser Form nicht gekannte Innovation. Sein wissenschaftsbasiertes, kontinuierliches Politikberatungskonzept kann die Vielfalt staatlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlich-technischer Aktivitäten wirksam unterstützen. Dafür muss seine Arbeit einerseits politikunabhängig, aber in Zukunft andererseits noch politik- und praxisnäher gestaltet werden. In dieser Hinsicht gab es durch die bisherige Arbeit des GJETC wichtige Erfahrungen, um in die Richtung eines „role model“ auch auf der Ebene der globalen Energie- und Klimapolitik weiterzuarbeiten.

Prof. Peter Hennicke (geb 1942) war lange Jahre Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie und Mitglied mehrerer Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages. Nach seinem Studium der Chemie und Volkswirtschaftslehre hatte er sich zunächst als wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Heidelberg und Osnabrück mit Wirtschafts- und Entwicklungstheorie sowie Wirtschafts- und Energiepolitik beschäftigt. Nach seiner Habilitation mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik/Energiewirtschaft wurde Hennicke als Professor (auf Zeit) an die Universität Osnabrück berufen. Von 2012 bis 2018 war er u.a. einer der zwei Repräsentanten des Europäischen Parlaments im Management Board der Europäischen Umweltagentur. Im April 2014 wurde er als Vollmitglied in den Club of Rome aufgenommen. In den Jahren 2014/2015 war Peter Hennicke zudem Gastprofessor am „International Institute for Industrial Environmental Economics (IIIEE)“ der Lund University. Für sein Engagement und seine wissenschaftliche Forschung im Bereich Energiewende und -effizienz wurde Hennicke 2014 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt der Deutsche Umweltpreis verliehen. Darüber hinaus wurde er 2015 mit dem Gothenburg Award for Sustainable Development ausgezeichnet. Sein jüngstes Projekt ist die Initiierung und der Ko-Vorsitz des German-Japanese Energy Transition Council (GJETC), um die Energiewende auch auf internationaler Ebene weiter zu fördern.