„Wissenschaftspolitik als Produkt und Ware“

„Sogar Profis sind Laien“

„Wir alle sind Laien, sogar die Profis sind Laien“, so Finke lakonisch: „Ihr Profitum schneidet zu schmale Kompetenzbereiche aus ihren Aktivitäten heraus, um ihnen uneingeschränkt vertrauen zu können. Dies ist das ambivalente Ergebnis der neuzeitlichen Wissenschaft, die Francis Bacons neuem Organon so bereitwillig gefolgt ist, dass es ‚die Wissenschaft‘ heute gar nicht mehr gibt, sondern nur Hunderte, ja Tausende einzelner Wissenschaften. Und da die Mittel für ihre Forschungswünsche nicht beliebig vermehrt werden können, konkurriert heute faktisch jeder gegen jeden, um für seine Spezialinteressen ein möglichst großes Stück vom begrenzten Kuchen abzubekommen.“ Diese Konkurrenz der Profis behindere einander zwar. Die Laien seien allerdings nicht dabei und das sei auch gut so, denn es sichere ihnen ihre Freiheit: Hier sie sie tatsächlich noch vorhanden, die „grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit: bei den ehrenamtlich tätigen Amateuren“.

Natürlich könnten und sollten sie die Profis nicht ersetzen, aber sie könnten sie in eine ungewohnte Rolle zwingen, glaubt Finke: diejenigen, die selbst nur gewohnt seien zu lehren, auch wieder zu „Lernern“ machen, die ein Leben lang dazulernen müssten. Die Amateure könnten ihnen die Augen dafür öffnen, was sie alles von den Mächtigen hinnähmen, die sich über die berufliche Wissenschaft aufgeschwungen hätten.

Tragische Rolle der Politik

Die Politik spiele eine besonders tragische Rolle: „Sie ist zum Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft herabgesunken; ihre Werte sind internationale Sichtbarkeit und Prestige: Wissenschaftspolitik als Produkt und Ware, nicht als demokratische Idee und Freiheitsgarantie. Statt den § 5 der Verfassung ernst zu nehmen und gegen seine Feinde zu verteidigen, beteiligt man sich an seiner Aushöhlung und reglementiert die Wissenschaftsfreiheit durch europaweit vorgegebene Reformstrukturen, Hochschulgesetze und  finanzielle Rahmensteuerung. Man macht Parteipolitiker zu letzten Vorgesetzten von Wissenschaftlern und hält Sonntagsreden über die Freiheit der Wissenschaft. Ein bisschen muss in meinem Buch das Wissenschaftsministerium, das eigentlich nur die Verwaltungsspitze der Wissenschaft ist, auch für die Politik mit bluten. Aber falsch ist das auch nicht, denn an der Spitze steht dort eine Politikerin.“

Die wissenschaftliche Freiheit gebe es uneingeschränkt nur noch bei den Laien und Amateuren. Doch auch sie, über die kein Wissenschaftsministerium Macht habe, versuche man inzwischen in den Griff zu bekommen – durch Förderprogramme. Der „schöne aus England und Amerika importierte und in den USA zur Marke entwickelte Begriff Citizen Science“ solle dabei helfen. Die Profis hätten sie schnell gekapert – mit zwei für sie angenehmen Resultaten: der Entdeckung der ehrenamtlich arbeitenden Amateure als kostenlose wissenschaftliche Mitarbeiter, und der Gewissheit, dass die akademischen Stellenbesitzer die alleinigen Empfänger von Geldern aus einem neuen Topf für die Förderung der Amateurwissenschaft sind. Finke: „Das entspricht zwar nicht der ursprünglichen Idee, aber erlaubt es, alle Strukturen der Wissenschaft bei den alten zu belassen.“

Finke nennt das „eine verkehrte Welt, gegen die ich mit Argumenten angehe. Das Buch führt dies an vielen Beispielen aus: vor Naturfreunden, Gewerkschaftern, Vereinen und Bürgerinitiativen, in einer universitären Ringvorlesung, auf einer Philosophentagung, änderungsbereiten Nachwuchswissenschaftlern, frustrierten Lehrern, einer Identitätssuchenden Stadt und Dissidenten der untergegangenen DDR.“

Folgt: Ausschnitte aus dem Vorwort