Stimmen zum IPCC-Sonderbericht 1,5°-Erwärmung

Hans-Josef Fell: „IPCC-Bericht warnt eindringlich, aber  vorgeschlagene Maßnahmen sind unzulänglich“

„Der Weltklimarat IPCC setzt mit seinem aktuellen Sonderbericht die richtigen Botschaften, dass die Menschheit wesentlich mehr für den Klimaschutz tun muss. Doch selbst die vom IPCC vorgeschlagenen Maßnahmen werden den Erkenntnissen über die Dramatik des Klimawandels nicht gerecht. Wie in der Vergangenheit kann dies dazu führen, dass Klimaschutz nicht so stark stattfindet, wie es sein müsste. Noch immer gibt der Weltklimarat die Ansage, dass die Menschheit noch große Mengen Kohlendioxid und andere Treibhausgase emittieren darf und bezieht sich dabei auf die Nichtüberschreitung von 1,5°C Erderwärmung. Doch zwei gravierende Beobachtungen der letzten Jahrzehnte machen nicht nur mich nervös:

  1. Die erste ist, dass es heute schon bei 1,0°C Erderwärmung nach Messung des IPPC in weiten Teilen der Welt unhaltbare Zerstörungen gibt. So verlassen bereits heute über 20 Millionen Menschen ihre ursprünglichen Lebensräume, da sie dort keine Lebensgrundlagen mehr vorfinden. Bezeichnend dafür ist die afrikanische Region um den inzwischen fast ausgetrockneten Tschadsee, wo alleine zwei Millionen Menschen wegen Jahrzehnte langer Dürre fliehen mussten. Eine weitere Aufheizung auf 1.5°C wird das Zusammenleben der Weltgemeinschaft weiter massiv destabilisieren. Schon heute kommt Europa mit den Klimaflüchtlingen aus Afrika nicht zurecht. Auch wenn der Weltklimarat betont, dass heute bereits in Teilen der Welt unhaltbare Schäden durch die bisherige Aufheizung der Atmosphäre um 1,0°C große Schäden verursacht werden, so setzt er doch die klare Botschaft, dass erst ab 1,5°C Welterwärmung schlimmste Entwicklungen kommen würden. Ich halte dies für unverantwortlich, denn das Zusammenleben der Weltgemeinschaft ist heute schon aufgrund des bisherigen Klimawandels massiv gestört. Es wären also weitaus ambitioniertere Maßnahmen erforderlich, wie die Umstellung der Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien bis 2030.
  2. Die zweite schlimme Botschaft des Weltklimarates ist, dass die Weltgemeinschaft noch große Mengen Treibhausgase emittieren darf, das sogenannte Kohlenstoffbudget. Dabei hat der Weltklimarat dieses erlaubte Kohlenstoffbudget sogar noch vergrößert gegenüber dem letzten Bericht vor fünf Jahren. Die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 müssten lediglich um 45 Prozent unter das Niveau von 2010 fallen, bis 2050 müssten sie unter dem Strich bei Null liegen, so der Bericht. Wie in den letzten Jahrzehnten werden sich alle Klimasünder darauf berufen, dass man ja nicht sofort, sondern erst bis 2050 auf null Emissionen reduzieren müsse. So werden RWE, Exxon und Shell, Gazprom und die Automobilkonzerne, die Luftfahrtindustrie und die maritime Schifffahrt, die Chemieindustrie und Landwirtschaft weiter darauf pochen, erlaubte Kohlenstoffdioxidmengen emittieren zu können. Genau dieser Effekt war es, der in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, dass die weltweiten jährlichen Emissionen heute auf einem Rekordniveau stehen und der Klimaschutz in der Welt völlig versagt hat. Der Weltklimarat hätte die Botschaft vermitteln müssen, dass die Weltgemeinschaft sehr schnell keine Emissionen mehr generieren dürfe und die Weltwirtschaft mit 100% Erneuerbaren Energien und grünen Kohlenstoffsenken ein vollkommen neues Wirtschaften machen müsse, und auch könne.

Eine Beschleunigung des heute bereits erreichten Ausbaus der Erneuerbaren Energien mit exponentiellen Wachstumsraten könnte bis 2030 sehr wohl der Kern einer Nullemissionswirtschaft sein. Doch genau hier ist der Weltklimarat zu zögerlich und präsentiert diese Chancen nicht der Weltgemeinschaft. Die mahnenden Worte des Weltklimarates, man müsse schnell wesentlich umsteuern, werden auch diesmal wieder in die Leere laufen, so wie in den vergangenen Jahrzehnten bereits. Es sei denn, Politiker, Manager, und Wissenschaftler erkennen endlich, dass exponentielle Wachstumsraten in der Lage sind, eine Weltwirtschaft mit Nullemissionen in den nächsten 1-2 Jahrzehnten vollständig zu schaffen. Dafür dürfen sie sich nicht mehr auf ein erlaubtes Kohlenstoffbudget berufen, sondern alle Emissionen müssten ab sofort endlich gesellschaftlich geächtet werden.“

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Michael Müller, Naturfreunde: IPCC-Sonderbericht ist eine schallende Ohrfeige für die Politik

Als „schallende Ohrfeige für die Politik“ wertete der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands, Michael Müller, den IPCC-Sonderbericht: „Letztlich verfolgt keine Partei den Klimaschutz mit der Konsequenz, die wirklich notwendig wäre“.

Der aktuelle Sonderbericht zeige, welch katastrophale Opfer Mensch und Natur zu erleiden haben, wenn die 1,5-Grad-Grenze überschritten werde. Im Vergleich zur 2-Grad-Grenze wären bei „nur“ 1,5 Grad Erwärmung mehrere Hundert Millionen Menschen weniger von Hunger und Armut betroffen. Etwa 50 Millionen Menschen weniger würden unter Wasserknappheit leiden. Ungleich seltener würden Wetterextreme auftreten. Weniger Arten würden aussterben. Das mache deutlich, um was es gehe, so Müller.

Zwar sei eine wichtige Nachricht, dass die 1,5-Grad-Grenze noch einzuhalten sei. Allerdings bedürfe es dafür ungeheurer Anstrengungen. Müller warnte: „Die Politik muss nun unverzüglich nachverhandeln und die Maßnahmen beschließen, die die Erderwärmung tatsächlich auf 1,5 Grad begrenzen. Alles andere führt zur Vernichtung von Lebensräumen und bedeutet eine ökologische Kolonisierung.“

Müller, unter anderem ehemaliger Sprecher der Klima-Enquete des Bundestages, wies darauf hin, dass der Bundestag schon im Jahr 1991 von einer Erwärmungsobergrenze von 1,5 Grad ausgegangen sei. Damals sei dieses Ziel zwar zur Kenntnis, aber nicht ernst genommen worden. Mittlerweile habe sich die Situation jedoch dramatisch zugespitzt. „Der Klimaschutz wird immer wieder auf die lange Bank geschoben. Dieses IPCC-Sondergutachten ist das bisher traurigste Zeugnis über das politische Versagen einer niedergehenden Zeit“, so Michael Müller.

Dem langjährigen Trend zufolge wird die Erwärmung um 1,5 Grad schon ab dem Jahr 2030 erreicht werden. Die Maßnahmen des Pariser Klimaschutzabkommens würden die Erderwärmung bei voraussichtlich nur 3 Grad begrenzen, sofern sie überhaupt eingehalten würden.
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Hubert Weiger, BUND: Wirksame Maßnahmen nötig , um 1,5-Grad-Grenze nicht zu reißen

„Der Bericht wird als eine der wichtigsten Veröffentlichungen unserer Zeit in die Geschichte eingehen. Er zeigt, dass die katastrophalen Folgen des Klimawandels schon bei einer globalen Erwärmung von mehr als 1,5 Grad eintreten. Auf der Klimakonferenz in Katowice müssen daher alle nationalen Klimaschutzpläne, auch die EU-Klimaziele, mit dem 1,5-Grad-Ziel in Einklang gebracht werden. Auch die Bundesregierung muss ihre Ziele und Maßnahmen der 1,5-Grenze anpassen. Die schlimmsten Folgen der Erderhitzung zu begrenzen wird nur gelingen mit einem raschen Kohleausstieg, einem ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien, mehr Energieeffizienz und dem grundsätzlichen Umsteuern im Verkehrs- und Landwirtschaftsbereich. Mut macht, dass am Wochenende im Rheinischen Revier, am größten Braunkohletagebau Europas, mehr Menschen als je zuvor für den Kohleausstieg demonstriert haben. Die Bundesregierung muss diesen Forderungen jetzt Taten folgen lassen und den Kohleausstieg einleiten.“

Der IPPC -Bericht warnt vor den drastischen Konsequenzen der Erderhitzung von zwei Grad. Bei diesem Temperaturanstieg würden Ökosysteme wie Korallenriffe zerstört, die bei 1,5 Grad noch zumindest teilweise gerettet werden könnten. Allein: Korallenriffe sind die Grundlage für die Ernährung von Millionen von Menschen. „Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze ist eine moralische Verpflichtung, eine Frage der Gerechtigkeit. Jedes Zehntel Grad, das wir reduzieren können, wird Menschenleben retten und ist zur Bewahrung von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen essentiell“, sagte BUND-Ehrenvorsitzender Weiger.

Die Staaten müssen ihre jährlichen Emissionen dem IPPC-Bericht zufolge bis 2030 um mehr als 40 Prozent reduzieren. Bis zur Mitte des Jahrhunderts müssten die Emissionen weltweit bei null liegen, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu reißen. Alle in dem Bericht dargelegten Emissionsminderungspfade für ein Szenario von 1,5-Grad-Erwärmung enthalten Maßnahmen zum Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre. Beispiele hierfür sind Bioenergie mit CO2-Abscheidung und Speicherung (BECCS) sowie Aufforstung und Renaturierung von Wäldern, Böden und Mooren. Geoengineering-Methoden wie der Rückspiegelung von Sonnenstrahlen wird eine klare Absage erteilt. Der IPPC kommentiert zudem, dass der enorme Flächenverbrauch durch Aufforstungsmaßnahmen und den Anbau von Energiepflanzen zu einem Konflikt mit dem Nahrungsmittelanbau und zu Schwierigkeiten bei der Ernährungssicherheit führen könnte. Je früher die klimaschädlichen Emissionen reduziert würden, desto weniger müsse man auf diese Methoden zurückgreifen.

„Klimaschutz darf nicht zu Lasten der Nahrungssicherheit gerade der ärmsten Menschen gehen. Deshalb ist es falsch auf Monokulturen von Energiepflanzen und schnellwachsende Bäume als CO2-Speicher zu setzen. Stattdessen müssen wir Ökosysteme schützen und renaturieren“, sagte Weiger. Aufforstung  müsse vor allem auf degradierten Flächen stattfinden.

Neben dem Schutz der Natur sei die Abkehr vom Wachstumsparadigma notwendig. Sie müsse Bestandteil jeder Klimaschutzstrategie sein und in Klimaschutzszenarien und -modelle integriert werden. Damit verbunden sei die Notwendigkeit, unseren Energie-, Ressourcen- und Flächenverbrauch absolut zu reduzieren. „Wirtschaftswachstum ist der blinde Fleck der Klimawissenschaft. Die 1,5-Grad-Grenze können wir nur einhalten, wenn sich weltweit die Wirtschaftsweise grundlegend verändert. Suffizienz darf in der Politik kein Fremdwort mehr sein“, forderte Weiger.

->Quellen in den Statements