Europa braucht immer noch CO2-Mindestpreis

MCC, PIK und andere entlarven fünf Mythen

Ein neues vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) mitverfasstes und am 11.10.2018 publiziertes Policy Paper entkräftet fünf „Mythen“ gegen einen CO2-Mindestpreis im Europäischen Emissionshandelssystem EU-ETS. Dessen jüngster starker Preisanstieg wird beispielsweise gerne mit der kommenden Löschung von Zertifikaten erklärt, wodurch das Angebot verknappt werde. Diese Reform habe das Vertrauen des Marktes wiederhergestellt. Die Autoren argumentieren jedoch einer MCC-Medienmitteilung zufolge, es sei keineswegs gewiss, dass die Reform die Probleme des EU ETS behoben habe.

Europa braucht immer noch einen CO2-Mindestpreis – Montage © Gerhard Hofmann für Solarify

Nachdem Anfang 2018 eine Reform des ETS angekündigt wurde, ist der Preis für Emissionszertifikate auf 20-25 Euro pro Tonne CO2 gestiegen – ein Niveau, das weitgehend in Übereinstimmung mit den europäischen Klimazielen ist. Der jüngste Preisanstieg könnte jedoch von kurzer Dauer sein, warnen die MCC-Wissenschaftler in ihrem neuen 12seitigen Strategiepapier. Sie empfehlen die Einführung eines Mindestpreises als „wichtige Ergänzung des EU-ETS, die dazu beiträgt, sich gegen niedrige oder sinkende Preise in der Zukunft abzusichern“. Das Papier wurde gemeinsam mit Forschern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Resources for the Future, dem Centre for European Policy Studies, der VU Amsterdam und dem IVL Swedish Environmental Research Institute verfasst.

Die gängige Erklärung für den starken Preisanstieg der letzten Monate beruft sich auf die zukünftige Löschung von Zertifikaten – einem wichtigen Bestandteil der Reform –, die zu einem geringeren Angebot führen wird. Dadurch sei das Vertrauen des Marktes in die Bereitschaft der EU-Politiker, ambitionierten Klimaschutz zu betreiben, wiederhergestellt, so die Darstellung. Die Autorinnen und Autoren um MCC-Gruppenleiter Christian Flachsland argumentieren jedoch, dass keineswegs gewiss sei, dass die Reform die Probleme des EU ETS tatsächlich behoben hat. „Es könnte sich auch um eine vorübergehende Blase handeln“, schreiben sie. Es bestehe nach wie vor die Gefahr, dass das „Marktvertrauen wieder untergraben wird“. Im Falle „zukünftiger wirtschaftlicher oder politischer Schocks“ könnte der Preis erneut deutlich fallen.

[note Die fünf Mythen:
Mythos #1: Die ETS-Reform macht die Notwendigkeit einer CO2-Preisuntergrenze überflüssig.
Mythos #2: Eine Preisuntergrenze würde das EU-ETS von einem quantitativen Politikinstrument in ein Preisinstrument verwandeln.
Mythos #3: Ein Carbon Price Floor ist rechtlich nicht durchsetzbar.
Mythos #4: Eine einseitige CO2-Preisobergrenze würde die EU-Klimapolitik zerschlagen.
Mythos #5: Es ist unmöglich, sich auf ein gemeinsames CO2-Preisniveau zu einigen.]

Ein Mindestpreis im Emissionshandelssystem, wie er etwa in Kalifornien (USA), Quebec (Kanada) oder der Regional Greenhouse Gas Initiative (RGGI) im Nordosten der Vereinigten Staaten eingeführt wurde, würde dagegen langfristig für einen ausreichend hohen CO2-Preis sorgen. So würden die nötigen Investitionen in CO2-arme Technologien angeregt, schreiben die Forscherinnen und Forscher. Unter Berufung auf aktuelle Erkenntnisse entkräften sie fünf „Mythen“, die gegen die Einführung einer Preisuntergrenze im EU ETS sprechen. So widerlegen sie etwa Darstellungen, die die rechtliche Möglichkeit eines Mindestpreises anzweifeln oder vor einer politischen Fragmentierung infolge der Einführung einer Preisuntergrenze in einzelnen Staaten warnen.

[note Einer früheren MCC-Studie zufolge sind Zweckbindung, Transparenz und gerechte Verteilung entscheidend dafür, dass eine gute Steuerpolitik die Akzeptanz von CO2-Preisen erhöhen kann. Denn die politische Umsetzbarkeit von CO2-Preisen hänge weniger von deren geringen Kosten und wirtschaftlichen Vorteilen ab, sondern vor allem von der Akzeptanz der Bevölkerung. Um diese zu erhöhen, sind vor allem eine Zweckbindung der Einnahmen, eine transparente Steuerpolitik sowie eine Kompensation einkommensschwacher Haushalte ratsam – beispielsweise durch einen jährlichen Scheck an jeden einzelnen Bürger. Das geht aus der Studie „Making Carbon Pricing Work for Citizens“ hervor. MRC-Forscher  hatten diese Erkenntnisse Ende Juli 2018 gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Oxford und der London School of Economics sowie anderen Institutionen im Fachmagazin Nature Climate Change veröffentlicht. Relevant sind diese Ergebnisse vor allem für die Diskussion über CO2-Preise in Europa: In Deutschland hatte sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kurz zuvor deutlich gegen die Einführung eines CO2-Preises ausgesprochen. Seine Kabinettskollegin, Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), hatte dagegen jedoch immer wieder einen CO2-Preis befürwortet. Auch die Energiekonzerne Eon und EnBW setzten sich für das Steuerungsinstrument ein, um Fehlinvestitionen zu vermeiden – siehe solarify.eu/gute-steuerpolitik-erhoeht-akzeptanz-von-co2-preisen]

->Quellen: