„Der Klimawandel ist hier und geschieht jetzt“

US-Regierungs-Bericht legt sich quer zu Trump

Lange war befürchtet worden, US-Präsident Trump werde den aktuellen Bericht der US-Regierungsbehörden zum Klimawandel „verschwinden“ lassen (siehe: solarify.eu/laesst-trump-unbequemen-klimareport-verschwinden vom 08.08.2017) – jetzt wurde Kapitel Zwei doch veröffentlicht. Allerdings tönte das Weiße Haus (wenig glaubwürdig) er sei „ungenau“. Denn der neueste Klimabericht (Fourth National Climate Assessment, NCA4 – Vierte nationale Klimafolgenabschätzung)  „dürfte dem Präsidenten nicht gefallen“, so Martin Ganslmeier, ARD-Studio Washington auf tagesschau.de. „Demnach sind die Folgen in den USA schon jetzt nicht mehr zu übersehen. Die Experten fordern dringend, gegenzusteuern.“

Tornadofolgen auf Kuba – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die US-Regierung muss dem Kongress alle vier Jahre einen Bericht über die Folgen des Klimawandels (NCA) vorlegen. NCA4 ist das Ergebnis eines Gesetzes aus dem Jahr 1990, das eine vierjährige US-Version der vom Intergovernmental Panel on Climate Change veröffentlichten Klimaberichte vorschreibt. NCA4 hätte ursprünglich im Dezember erscheinen sollen. Kurz vor dem 16.11.2018 informierten die Bundesbehörden aber ihre Autoren, dass NCA4 etwas früher publiziert werden könnte. Am 21.11.2018 erschien dann die Medienmitteilung: Der Bericht selbst erschien dann am 23.11.2018, dem sogenannten Schwarzen Freitag, dem „Schnäppchentag“ nach Thanksgiving, ein Tag, an dem die Amerikaner Nachrichten wenig Aufmerksamkeit schenken.

NCA4 ist das zweite Kapitel – das erste erschien im November 2017 (siehe: solarify.eu/trump-regierung-raeumt-anthropogenen-klimawandel-ein). 13 Bundesbehörden und 3.000 Wissenschaftler haben dieses Mal auf 1.600 Seiten zusammengestellt, wie sehr die USA schon jetzt unter den Klimawandelfolgen leiden. Klimaforscher Michael Oppenheimer, Professor an der Universität Princeton, sagte im Sender PBS, die wichtigste Botschaft der Studie sei: „Der Klimawandel ist hier und geschieht jetzt. Die Amerikaner zahlen bereits für die Folgen.“ Es  handle sich nicht mehr um ein abstraktes Problem, das die USA erst irgendwann treffe

Denn extreme Wetterereignisse hätten stark zugenommen. Seit 2015 richteten die Hurrikane Maria und Harvey sowie die verheerenden Waldbrände in Kalifornien Schäden in Höhe von umgerechnet mehr als 350 Milliarden Euro an – vor allem in Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus. Immer mehr Krankheiten würden über Zecken oder Mücken übertragen. Die Autoren waren unmissverständlich: Wenn die Politik nicht energisch gegensteure, werde Amerika bis zum Ende des Jahrhunderts zehn Prozent seines Bruttoinlandsprodukts abschreiben können – wörtlich heißt es: „Wir tun nicht genug, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Und wir tun nicht genug, um uns gegen die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels zu schützen. Wir tun nur sehr wenig, um uns auf die Risiken einzustellen.“

Oppenheimer brachte ein schlagendes Beispiel für den klimaverursachten Anstieg der Meeresspiegel, der die Küstenanwohner treffe, etwa Miami: „Ihre Straßen werden immer häufiger überschwemmt. Das passierte früher vielleicht fünf bis zehn Mal pro Jahr, jetzt etwa 30 bis 40 Mal. Weil die Meeresspiegel ansteigen. Und was verursacht das? Die Erderwärmung!“ Küstenabschnitte und Inseln von Louisiana und Virginia würden bald unbewohnbar,

„Ohrfeige für Trump“ – Al Gore kritisiert Zeitpunkt der Veröffentlichung

Dass die NCA-Studie ausgerechnet am „Black Friday“ veröffentlicht wurde, provozierte Kritik. Das Weiße Haus versuche, die Erkenntnisse der Klimaforschung zu unterdrücken, sagte Andrew Light vom World Resources Institute, einer der vielen Co-Autoren des Berichts. Der frühere US-Vizepräsident und Klimaaktivist Al Gore kritisierte den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Klimaberichts: Trump habe den für ihn unangenehmen Klimabericht bewusst am „Black Friday“ verstecken wollen. Wörtlich twitterte Al Gore: „Der Präsident mag versuchen, die Wahrheit zu vertuschen, aber seine eigenen Wissenschaftler und Experten zeigen sie so schonungslos und klar wie möglich.“

Laut Ganslmeier wurde der Klimabericht der Regierungsbehörden in mehreren US-Medien als Ohrfeige für Präsident Donald Trump bezeichnet. Denn die Ergebnisse stehen in krassem Widerspruch zur Politik des Präsidenten: Trump hat das Pariser Klimaschutzabkommen gekündigt und setzt auf fossile Energieträger wie Kohle und Erdöl. Wird Trump auf Klimastudien angesprochen, winkt er meist ab: „Zeigen Sie mir den Klimaforscher. Die haben eine sehr große politische Agenda.“ Eine Sprecherin von Präsident Donald Trump kritisierte den NCA-Bericht denn auch als „ungenau“: Er basiere weitgehend auf dem extremsten Szenario und lasse technische Innovationen außer Acht.

Noch vor wenigen Tagen hatte Trump auf Twitter über die ungewöhnliche Kälte zu Thanksgiving gespottet – und wieder einmal Klima und Wetter verwechselt: „Was bitteschön ist mit der Erderwärmung passiert?“

Im US-Technik-Magazin wired ätzte Adam Rogers am 23.11.2018: „Jemand in der Bundesregierung will ein Geheimnis hüten. Irgendjemand – niemand sagt, wer – will nicht, dass öffentlich wird, wie sehr die Bundesregierung wegen des Klimawandels in Panik gerät. Das sollte sie aber. Ein neuer Regierungsbericht – 1.600 Seiten, zweieinhalb Jahre Arbeit, Hunderte von Autoren, 13 teilnehmende Agenturen – warnt davor, dass der ungehinderte Klimawandel bis zum Ende des Jahrhunderts Zehntausende von Todesfällen und Hunderte von Milliarden von Dollar an Verlusten und Schäden verursachen könnte. Alle Beweise deuten auf menschliche Emissionen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid als Ursache hin.“ (ganzer Artikel in Englisch auf: wired.com/a-government-climate-study-contradicts-the-president).

[note Die NCA4-Autoren verwendeten weitgehend abgestimmte Modelle, die als repräsentative Konzentrationspfade bezeichnet werden, Szenarien, die für den Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen entwickelt wurden und Emissionen, Aerosole, Landnutzung und eine Reihe anderer Faktoren berücksichtigen. Am schlimmsten ist am Ende ein Zukunftsszenario namens RCP8.5. (Die Zahl bezieht sich auf eine Veränderung des Energieflusses in der obersten Schicht der Atmosphäre von 8,5 Watt pro Quadratmeter, ein Ergebnis von viel mehr Wärmeenergie, die im Inneren eingeschlossen ist; die heutigen Klimatrendlinien sind auf RCP8.4 ausgerichtet). Die Autoren der NCA untersuchten aber auch ein Szenario, in dem es den Menschen gelingt, die Treibhausgasemissionen bis Mitte des Jahrhunderts deutlich zu reduzieren. Das ist RCP4.5.]

Folgt: Aus der 4. nationalen Klimafolgenabschätzung – Zusammenfassende Ergebnisse