Durchbruch(?) in Katowice

NYT-Breaking News Alert

Am Samstag, dem 15. September 2018 um 16:09 New Yorker Zeit (22.09 MEZ) versandte die New York Times einen News Alert: „Diplomaten einigten sich, das Pariser Klimaabkommen am Leben zu erhalten, indem sie von jedem Land verlangen, sich an eine Reihe von Normen zur Messung seiner Emissionen zu halten. Die nach einer nächtlichen Verhandlungsrunde getroffene Vereinbarung fordert die Länder auf, ihre Pläne zur Emissionssenkung vor einer weiteren Gesprächsrunde im Jahr 2020 zu verschärfen.“ Aber in Katowice keine Begeisterung wie in Paris vor drei Jahren: Allseits nüchternes Echo.

Zwei Wochen hatten 11.100 Delegierte aus 197 Staaten, inklusive Journalisten und Beobachter 18.420 Teilnehmer, hatten bis zuletzt zäh um Kompromisse gerungen – nach denen Staaten künftig über ihre Pläne und Fortschritte im Klimaschutz berichten , Vergleichbarkeit und Transparenz garantiert werden sollen (denn das Pariser Abkommen beruht auf wechselseitigem Vertrauen und sieht keine Sanktionen vor, wenn Länder nicht vorankommen – der Gruppendruck soll alle auf Kurs halten). Am Ende beurteilten Umweltschützer das Ergebnis der UN-Klimakonferenz wie erwartet: „Viele kleine Schritte, aber noch lange nicht genug. Der Kampf gegen die Erderwärmung bleibt mühsam,“ so die FAZ.

Vor allem ein Konflikt um Berechnungsverfahren beim Emissionshandel hatte den Abschluss verzögert. Dabei pochte Brasilien auf eine Formulierung, die nach Auffassung anderer Staaten eine Doppelzählung seiner Emissionsminderungen ermöglicht hätte. Die Lösung des Streits wurde vertagt.

Die Tagesschau bringt auf ihrer Webseite die zentralen Punkte im Überblick

  • 1,5-Grad-Grenze – Das Abschlussdokument von Kattowitz enthält eine Anerkennung des jüngsten Sonderberichtes des Weltklimarates (IPCC), in dem verstärkter Einsatz zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze angemahnt wird. Dieser Punkt war in den Verhandlungen besonders umstritten gewesen. Die USA, Saudi-Arabien, Kuwait und Russland hatten sich dagegen positioniert, dass der Gipfel den Report „begrüßt“, sondern darauf bestanden, dass er nur „zur Kenntnis genommen“ wird. Als Kompromissformel findet sich nun im Beschluss, dass die „rechtzeitige Fertigstellung des Berichtes begrüßt“ wird.
  • Transparenz – Das COP21-Klimaschutzabkommen funktioniert nur, wenn die Staaten einander vertrauen. Nach dem Motto: „Ich strenge mich nur an, wenn du das auch machst.“ Deshalb sollen regelmäßig Berichte vorgelegt werden, in denen unter anderem steht, wie sich der Treibhausgas-Ausstoß entwickelt hat und was ein Land für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel geleistet hat. Künftig gelten für alle Staaten einheitliche Transparenzregeln und Standards zur CO2-Erfassung. Dadurch sollen die Fortschritte der einzelnen Länder bei der Verfolgung ihrer CO2-Reduktionsziele vergleichbar sein. Die Industrieländer hatten in Kattowitz darauf gedrungen, dass Schwellenländer wie China den Treibhausgas-Aussstoß nach den gleichen Methoden wie sie selbst erfassen. Entwicklungsländern wird eine Übergangszeit eingeräumt, um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
  • Verbindlichkeit – Spielregeln hin oder her – Sanktionen gibt es nicht, wenn ein Staat gegen sie verstößt. Das „scharfe Schwert der Transparenz“ soll dafür sorgen, dass jeder über jeden Bescheid weiß und der soziale Druck alle dazu bringt, sich anzustrengen. Es gibt einen Ausschuss, der Staaten „helfen“ soll, ihre Klimaschutz-Berichte ordentlich abzuliefern. Damit der Ausschuss mit einem Land offiziell in Kontakt treten und eine Art Dialog über den Rückstand führen darf, braucht er aber das Einverständnis dieses Landes.
  • Finanzen – Im Pariser Klimaabkommen wird das Versprechen der Industrieländer festgehalten, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Erderwärmung in armen Staaten bereitzustellen. Diese Summe soll bis 2025 fließen. Bereits vor 2025 soll ein neues Finanzierungsziel festgelegt werden. In Kattowitz verlangten die Entwicklungsstaaten, dass sie regelmäßig und verlässlich über die Aufstockung der Mittel informiert werden, um Planungssicherheit zu haben. Klimaschützer kritisieren, dass in den Berichten, die im Zwei-Jahres-Turnus abgegebene werden, etwa auch Kredite als Klimahilfen angerechnet werden können.
  • Schäden und Verluste – Die Entwicklungsländer beklagen seit Jahren, dass Schäden und Verluste durch den Klimawandel bei den Verhandlungen nicht ausreichend anerkannt werden. Über die bisherigen Klima-Hilfen hinaus fordern sie für die Bewältigung der Klimawandel-Folgen gesonderte Unterstützung. Laut der Übereinkunft von Kattowitz soll das Thema künftig mehr Gewicht bekommen: Bei der Bilanz der globalen Klimaschutz-Anstrengungen („Global Stocktake“), die laut Paris-Vertrag alle fünf Jahre erfolgen soll, werden Schäden und Verluste künftig berücksichtigt. Finanzielle Unterstützung wurde in diesem Bereich jedoch nicht auf den Weg gebracht.
  • Markt für Verschmutzungsrechte – Staaten können mit Verschmutzungsrechten handeln, denn für das Weltklima ist egal, wo die Treibhausgase herkommen und wo sie eingespart werden. Wichtig ist aber, dass hier nicht geschummelt werden kann und sich zum Beispiel zwei Staaten das gleiche gutschreiben. Bisher läuft das nicht gut. Deswegen soll es ein ganz neues System geben, das die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt. Der Streit darum hatte – vor allem, weil Brasilien ausscherte – die Verhandlungen am Ende noch einmal lange verzögert. Das Thema wurde auf das kommende Jahr vertagt. Nach Einschätzung von Verhandlern ist das erst mal nicht so schlimm – die wichtigen Regeln für die Umsetzung des Paris-Abkommens seien verabschiedet.
  • Künftige Klimaziele – In Paris hatten die Staaten freiwillige, selbstgesetzte Ziele zur Eindämmung ihrer CO2-Emissionen eingereicht. Damals wurde vereinbart, dass bis 2020 aktualisierte Ziele vorgelegt werden sollen. Die Kattowitzer Beschlüsse bekräftigen diese Aufforderung – eine Formulierung, dass diese Ziele deutlich verschärft werden müssen, wie es Klimaschützer gefordert hatten, findet sich in dem Text nicht. Zusätzliche Anstrengungen zur Erhöhung der Klimaziele hatte während der Konferenz allerdings eine „Koalition der Ehrgeizigen“, unter ihnen die EU mit Deutschland sowie kleine Inselstaaten, zugesichert.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einem „soliden“ Ergebnis. Er forderte aber mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz. Weltweit müsse der Treibhausgasausstoß zügig und deutlich gedrückt werden, denn der Klimawandel sei nach wie vor „schneller als wir“.  Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte, in geopolitisch schwierigen Zeiten habe der Gipfel gezeigt, „dass es sich lohnt, beharrlich an einem globalen Konsens zu arbeiten“.

Vitumbiko Chinoko von der Nichtregierungsorganisation Care sagte: „Verletzliche Staaten können nicht die Last der Welt auf ihren Schultern tragen.“ Sven Harmeling, Klimaexperte von CARE: „Getrieben von kurzsichtigen Interessen, drängten auf der COP24 einige mächtige Länder darauf, die ehrgeizige Grenze der Erderwärmung von 1,5 °C quasi abzuschaffen und die alarmierenden Ergebnisse des IPCC-Sonderberichtes über schädliche Klimaauswirkungen zu ignorieren. Das ist besonders bedauerlich, da die am stärksten von der Klimakrise betroffenen Länder, die Zivilgesellschaft und Menschen an vielen Orten weltweit einen engagierten Kampf für mehr Klimagerechtigkeit geführt haben. Immerhin haben die Regierungen aber die Verabschiedung eines wichtigen Regelwerks zur weiteren Umsetzung des Pariser Abkommens vereinbart. Allerdings braucht es jetzt viel schnellere und stärkere Klimaschutzmaßnahmen auf nationaler Ebene, auch in Deutschland, und die Unterstützung der armen Länder beim Aufbau ihrer Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel.“

Das Präsidiumsmitglied des Deutschen Naturschutzrings, Hermann Ott, warf einer kleinen Gruppe von Staaten, „notorisch die Vereinigten Staaten, Russland und Saudi-Arabien“, vor, die Verhandlungen in Polen aus Eigeninteresse gebremst zu haben, um ihre heimische Öl- und Gasindustrie zu schützen.

Sabine Minninger von Brot für die Welt nannte es bedauerlich, dass keine Einigung auf finanzielle Unterstützung von besonders armen und verletzlichen Staaten bei der Bewältigung von Klimaschäden gelang.

Konferenzpräsident Michal Kurtyka nannte die Beschlüsse dagegen „1000 kleine Schritte nach vorne. Sie können stolz sein.“ Zuletzt hatten noch Brasilien und die Türkei für Verzögerungen gesorgt. Strittig waren in Kattowitz auch Fragen rund um Finanzhilfen der reicheren Länder für die ärmeren. Die vom Klimawandel besonders gefährdeten Staaten hatten zudem ein deutliches Signal eingefordert, dass es größere Anstrengungen im Klimaschutz braucht, um dramatische Folgen zu begrenzen. Bis zuletzt gab es auch Ärger um den internationalen Handel mit Verschmutzungsrechten. „Bedauerlich ist, dass eine Einigung auf finanzielle Unterstützung von besonders armen und verletzlichen Staaten bei der Bewältigung von Klimaschäden nicht gelungen ist“, sagte Sabine Minninger.

ARD-Eckert: „Ein kleiner Schritt vorwärts“

Die Ergebnisse in Kattowitz seien zwar „keine ideale Lösung im Kampf gegen den Klimawandel“, aber „ein kleiner Schritt vorwärts. Die Staaten müssten noch viel tun – auch und gerade Deutschland“, kommentierte Werner Eckert vom SWR. Diese Klimakonferenzen seien mit Erwartungen überfrachtet. Da stehe die Weltenrettung innerhalb von zwei Wochen „gar nicht auf dem Programm. Klimaschutz ist Heimarbeit für die Staaten. Die Konferenzen setzen nur den Rahmen, die Regeln, und fassen die nationalen Programme zusammen. Das ist schwierig genug, wenn am Ende fast 200 Regierungen zustimmen müssen“.

Daher hält der ARD-Klimaexperte die COP24-Ergebnisse auch nicht für die „ideale Lösung. Nur: ein kleiner Schritt vorwärts“. Und er ist sicher, dass die einheitlichen Regeln beim Klimagasrechnen, bei der Kontrolle Bestand haben werden. Eckert tröstet sich und uns mit „mindestens eine[r] formelhafte[n] Erwähnung neuester Wissenschaft: Eigentlich müsste die Erwärmung bei eineinhalb Grad schon gestoppt werden“.

Schließlich hat Eckert völlig recht, wenn er fragt, „ob nicht die schiere Größe diese Veranstaltungen mittlerweile im umgekehrten Verhältnis zu ihrem Ertrag steht. Für die eigentlichen Verhandlungen braucht man nur einige Hundert Leute. Der Rest ist eine bunte Börse für Botschaften rund um den Klimaschutz.“

Denn beim derzeitigen Tempo bremse alles bisher Beschlossene Erderwärmung nur und „verhindert die Heißzeit nicht“. Da müssten die Staaten viel mehr tun. Deutschland brauche den Kohleausstieg „und zwar nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag“. Das Klimaschutzgesetz müsse mit klaren Vorgaben für einzelne Sektoren: Verkehr, Hausbau, Energie und Landwirtschaft im nächsten Jahr kommen. Eckert: „Das steht zwar schon im Koalitionsvertrag, aber Umweltministerin Svenja Schulze weiß, dass das noch ein heißer Kampf mit den Kabinettskollegen wird. Ihr Problem: Sie neigt zur vorbeugenden Kompromisssuche statt harter Ansagen“. Das gelte aber  nicht nur für Deutschland: „Anspruch und Wirklichkeit beim Klimaschutz fallen weit auseinander.“

ZDF-Angres: „Ganz wichtiges Signal an die Welt“

Die nationalen Sonderwünsche haben lange ein Regelwerk blockiert. Nun gibt es zum Abschluss der UN-Klimakonferenz ein Durchbruch. Korrespondent Volker Angres zog im ZDF Bilanz: „Es gibt jetzt mal dieses Regelbuch, und es war wirklich ein Dämpfer für all die, die ihre wirtschaftlichen Interessen brutal nach vorne schieben, und  natürlich die Interessen der fossilen Industrien. Diese Zeiten sind jetzt wirklich vorbei. Allerdings wurde der strittige Punkt mit Brasilien mal eben auf das nächste Mal in Chile verschoben. Ob das so klasse ist, weil wir ja wissen, dass der brasilianische Präsident Bolsanaro aus dem Pariser aussteigen will. Trotzdem bleiben natürlich Fragen offen, wie die Verschärfung der Klimaziele, alle haben zwar gesagt, ja, ja, das machen wir – ob das dann tatsächlich so kommt, das wird man sehen, ab 2020 wirde es dann wieder ganz spannend.“

Der nächste UN-Klimagipfel tagt in Chile – nach Angaben des dortigen Umweltministeriums entweder im Dezember 2019 oder Januar 2020. “

->Quellen: