Chefsache „Auspuff“?

Spitzengespräch im Bundeskanzleramt über „Klimaschutz-Sorgenkind Verkehr“ – Bundestag verwässert Grenzwerte

Seit Monaten beraten Experten und Interessenvertreter in der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ (NPM – Nachfolgeorganisation der Nationalen Plattform für Elektromobilität) ohne konkrete Ergebnisse über mögliche CO2-Senkungen im Verkehrssektor. „Klimaschutz-Sorgenkind Verkehr“  nannte ein Medium den immer weiter zurückbleibenden Sektor der Energiewende. Nun hatte Bundeskanzlerin Merkel die NPM-Führung am 14.03.2019 zu einem nichtöffentlichen Treffen in ihr Amt geladen – daran nahmen auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), sowie die Spitzen der Koalition teil.

Legislative und Exekutive – das Bundeskanzleramt vom Paul-Löbe-Haus aus gesehen – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„Absichtserklärungen und vage Versprechen haben den CO2– Ausstoß im Verkehr seit 29 Jahren stagnieren lassen. Es ist höchste Zeit für eine Verkehrswende“, sagte Benjamin Stephan, Greenpeace-Experte für Mobilität. „Damit Autokonzerne den Umstieg auf abgasfreie Antriebe nicht noch länger verzögern, braucht Deutschland ein festes Datum, wann die letzten Diesel und Benziner verkauft werden.“ Um die mit dem Pariser Klimaabkommen eingegangenen Zusagen einzuhalten und den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, dürfen ab 2025 keine weiteren Diesel und Benziner mehr verkauft werden. Bis 2035 müssten mindestens 80 Prozent aller Pkw mit Verbrennungsmotor von der Straße verschwunden sein, so das Ergebnis einer von Greenpeace beauftragen Studie aus dem vergangenen Jahr. Länder wie Norwegen, Schweden und Dänemark haben sich darauf bereits eingestellt und das Ende des Verbrenners beschlossen, um die globale Klimakrise in den Griff zu bekommen.

Verkehr liegt hinten

Der CO2-Ausstoß im Verkehr ist seit 1990 nicht zurückgegangen. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), nannte die Einladung Merkels gegenüber dpa eine „Watschn“ für Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Eine „Ohrfeige für Scheuer“ titelte erst jüngst die Süddeutsche Zeitung, nachdem die EU-Kommission Zweifel Scheuers an geltenden Grenzwerten für saubere Luft „brüsk zurückgewiesen“ hatte. Wissenschaftliche Erkenntnisse rund um Stickstoffdioxid und Feinstaub wiesen „immer wieder auf negative Auswirkungen auf die Gesundheit hin“, hatte es in einem (der SZ vorliegenden) Brief gleich dreier Kommissare (Violeta Bulc, Verkehr; Karmenu Vella, Umwelt, und Elbieta Biekowska, Binnenmarkt) an Scheuer geheißen.“Süffisant“ nannte der SPIEGEL ihre Antwort: Die Kommission lehnte denn auch eine Neubewertung der geltenden Schadstoffgrenzwerte erwartungsgemäß schlicht ab. Scheuer hatte das in einem Brief gefordert, nachdem deutsche Lungenfachärzte um Dieter Köhler die geltenden Grenzwerte angezweifelt hatten. Inzwischen gibt es keinen Zweifel, dass sich die medizinischen Feinstaub-Leugner auf falsche Werte gestützt haben. Scheuer verlangte von Brüssel, die EU-Kommission müsse sich mit den Zweiflern auseinandersetzen – noch bevor die Fehlberechnungen herausgekommen waren. Für Scheuer ist die Antwort aus Brüssel ein erneuter Dämpfer. Bundeskanzlerin Merkel hat den Streit  um Grenzwerte laut SPIEGEL längst zur Chefsache erklärt und Forscher beauftragt, die Vorwürfe unabhängig zu prüfen und aufzuklären.

Nachdem Scheuer nun ins Kanzleramt zitiert worden war, schlug Özdemir in die gleiche Kerbe: „Offenbar traut die Kanzlerin dem CSU-Minister nicht zu, die Mammutaufgabe Verkehrswende zu meistern und ich teile ihre Sorge“. Wer weiterhin versuche, einen „Schutzzaun um Benzin und Diesel zu ziehen“, sei „ein falscher Freund unserer Automobilwirtschaft“. Nun müsse dafür gesorgt werden, dass „massig“ E-Autos auf die Straße kämen – unter anderem mit einem „Bonus-Malus-System“, bei dem Fahrer für Spritschlucker mehr zahlen und bei emissionsfreien Antrieben sparen. Dazu brauche es einen „Pakt für eine starke Schiene“. Özdemirs Eindruck verstärkt sich, wenn man hört, dass über das Ergebnis des Treffens zunächst nicht informiert werden soll. Umweltschützer hoffen darauf, dass Merkel den Klimaschutz im Verkehr damit zur Chefsache macht – im vergangenen Jahr hatte sie ihn als „Sorgenkind“ in diesem Bereich bezeichnet. Dem 2016 beschlossenen Klimaschutzplan zufolge, zu dem Union und SPD sich auch im aktuellen Koalitionsvertrag bekennen, soll der Bereich bis 2030 seinen CO2-Ausstoß um 40 bis 42 Prozent senken.

Bundestag relativiert Luftreinhaltung

Obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse über Stickstoffdioxid und Feinstaub auch nach Kommissionsmeinung „immer wieder auf negative Auswirkungen auf die Gesundheit hinwiesen“ (so die Süddeutsche Zeitung) und trotz des Hinweises der Kommissare, dass auch auch Deutschland sich verpflichtet habe, die Grenzwerte einzuhalten, beschloss der Bundestag am 14.03.2019 eine Änderung des Immissionsschutzgesetzes; demnach werden die Grenzwerte aufgeweicht: Erst wenn 50 µg Stickstoffdioxid pro Kubikmeter dauerhaft überschritten werden, soll es Fahrverbote geben. Die Städte können aber auch Diesel ganz aussperren.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) veröffentlichte daraufhin ein angeblich bisher von der Bundesregierung geheim gehaltenes Dokument der EU-Kommission, das Bedenken gegen den Gesetzentwurf anmeldet. Brüssel macht der Bundesregierung darin zur Auflage, die schnellstmögliche Einhaltung des NO2-Grenzwerts von 40 µg NO2/m³ durch Dieselfahrverbote weiter zu ermöglichen. Die Kommission sagt noch einmal, dass der bestehende Grenzwert nicht geändert werden dürfe. Die Kommission gesteht Deutschland allerdings einen Ermessensspielraum zu.

VKU: „Rechtssicherheit“

Mit der Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sollen unverhältnismäßige Maßnahmen bei nur geringfügigen Grenzwertüberschreitungen im Automobilverkehr vermieden werden. Die neuen Regelungen schaffen die erforderliche Rechtssicherheit bezüglich Verkehrsverboten für Fahrzeuge mit einer geeigneten Hardware-Nachrüstung. Dazu gehören unter anderem nachgerüstete Busse und schwere Kommunalfahrzeuge. Dazu VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche: „Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung explizit Ausnahmen für nachgerüstete Fahrzeuge im kommunalen Fuhrpark geschaffen hat, damit diese den essenziellen Leistungen der Daseinsvorsorge wie der Müllabfuhr, der Straßenreinigung oder der Kanalreinigung nachgehen können.“

„Aufweichung des Grenzwerts wäre verfassungswidrig“

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch korrigierte, die Änderung des Luftreinhaltegesetzes solle den Eindruck erwecken, als könnten Dieselfahrverbote nur noch dort verordnet werden, wo ein erhöhter NO2-Wert von 50 µg/m³ gemessen worden sei. „Die bisher unter Verschluss gehaltene Stellungnahme der EU-Kommission ist eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung. Die EU hat nochmalige Änderungen des Gesetzestextes bewirkt und stellt unmissverständlich klar, dass der NO2-Grenzwert europaweit bei 40 µg NO2/m³ liegt und ohne Wenn und Aber schnellstmöglich einzuhalten ist, dort wo notwendig ausdrücklich auch durch Dieselfahrverbote. Eine Aufweichung des Grenzwerts wäre gar verfassungswidrig. Dieselfahrverbote bleiben weiterhin die letzte mögliche und auch verhältnismäßige Maßnahme für die saubere Luft, auch in Städten, die eine Belastung mit bis zu 50 µg NO2/m³ aufweisen. So sehr sich die Bundesregierung auch sträubt – das Unionsrecht hat Vorrang und die Verhältnismäßigkeit von Dieselfahrverboten hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil im Februar 2018 eindeutig klargestellt.“

Zwischenbericht mit Vorschlägen Ende März – BDBe fordert baldige Anhebung der Treibhausgas-Minderungsquote

Ein Zwischenbericht mit Vorschlägen zum Klimaschutz im Verkehr soll Ende des Monats vorliegen. Die Arbeitsgruppe dazu hat bisher neun Mal getagt. Wirbel hatte dabei ausgelöst, dass intern auch das Thema Tempolimit auf Autobahnen besprochen werden sollte, dem hatte Verkehrsminister Scheuer schon vorab eine klare Absage erteilt. Die einzelnen Sektoren-Ziele für weniger CO2 will Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in ihrem geplanten Klimaschutzgesetz derzeit gegen den Widerstand der Union verbindlich verankern.

Anlässlich des Gespächs im  Bundeskanzleramt über Verkehr und Klimaschutz forderte der Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe) eine baldige Anhebung der seit 2015 geltenden Treibhausgas-Minderungsquote (THG-Quote) für alle in Verkehr gebrachten Kraftstoffe. „Mit der einspurigen Fixierung auf Elektromobilität und Scheuklappen gegenüber vorhandenen Alternativen wie zertifiziert nachhaltigem Bioethanol in Benzin, können die internationalen und nationalen Klimaschutzziele im Verkehr nicht wie geplant erreicht werden“, warnt Stefan Walter, Geschäftsführer des BDBe. Um die für den Verkehrssektor angestrebte Minderung der Treibhausgasemissionen mittelfristig auch nur annähernd zu erreichen, müssen Biokraftstoffe im Kraftstoffmix viel stärker berücksichtigt werden, fordert der BDBe. Dadurch ließe sich kurzfristig der CO2-Ausstoß der mehr als 56 Millionen Benzin- und Dieselautos in Deutschland spürbar senken.

„Die CO2-Einsparpotenziale durch zertifiziert nachhaltiges Bioethanol sind enorm, werden wegen des einseitigen Augenmerks auf die E-Mobilität derzeit aber zu wenig zur Kenntnis genommen“ meint Stefan Walter. Die Betankung der über 31 Millionen Autos mit Benzinmotoren mit den Kraftstoffsorten Super (E5), Super E10 und Super plus, die Bioethanol enthalten, verringert die CO2-Emissionen im Verkehr schon jetzt um 2,2 Millionen Tonnen. Diese CO2-Einsparung entspricht rechnerisch 940.000 Null-Emissionsfahrzeugen.

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