Feinstaub gefährlicher als angenommen

Hauptverursacher Landwirtschaft

Nach einer Untersuchung von Forschern des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) verursacht Feinstaub weitaus mehr vorzeitige Todesfälle als bisher angenommen. Als Hauptverursacher nennen die Verfasser der im Fachblatt European Heart Journal veröffentlichten Studie die Landwirtschaft. Demnach sterben in Deutschland rund 120.000 Menschen pro Jahr vorzeitig durch Feinstaub, fast doppelt so viele wie bisher geglaubt – die durchschnittliche Lebenserwartung von Europäern verkürze sich um zwei Jahre. Weltweit kommt die Studie auf rund neun Millionen vorzeitige Todesfälle.

Die MPIC-Forscher stützen sich auf 40 internationale Studien aus 16 Ländern, deren Daten über Jahrzehnte erhoben wurden. „Die Datengrundlage für diese Studie hat enorm zugenommen. Das ist einer der Gründe, dass wir jetzt zu diesen höheren Zahlen kommen“, sagt der Leiter der Studie, Prof. Jos Lelieveld. Damit sei Feinstaub für etwa ebenso viele vorzeitige Todesfälle verantwortlich wie das Rauchen.

Mit einem Anteil von ca. 45% sei die Landwirtschaft – vor allem die Massentierhaltung – als Hauptverursacher für die in Deutschland herrschende Feinstaub-Belastung. Der Grund: Ammoniak-Ausgasungen aus Gülle verbinden sich in der Atmosphäre mit anderen Gasen und werden so zu Feinstaub. „Die Massentierhaltung führt zu Ammoniak, Ammoniak führt zu Feinstaub und Feinstaub führt zu vorzeitigen Todesfällen“, beschreibt es Lelieveld.

Dieser Zusammenhang ist unter Experten seit Jahren bekannt. Deutschland hat sich bereits im Jahr 2001 verpflichtet, die Ammoniak-Emissionen ab 2010 unter einen Wert von 550.000 Tonnen pro Jahr zu begrenzen. Tatsächlich aber überschreitet Deutschland diesen Wert seit Jahren regelmäßig um rund 20 Prozent. „Eigentlich ist in Deutschland in den letzten Jahren nichts passiert, um diese selbst gesteckten und auch unterschriebenen Ziele auch nur annähernd einhalten zu können“, sagt der EU-Abgeordnete Martin Häusling von Bündnis90/Grüne. Der Deutsche Bauernverband betont auf Nachfrage, man sei intensiv bemüht, die Ammoniak-Emissionen zu reduzieren. Die Zahlen der Studie bestreitet man jedoch: „An diesen Spekulationen, ich halte das für Spekulationen, beteilige ich mich nicht“, sagt der Umweltbeauftrage des Deutschen Bauernverbandes Eberhard Hartelt gegenüber dem WDR-Magazin MONITOR.

Demgegenüber warnt der Direktor der Kardiologie im Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, Prof. Thomas Münzel: „Feinstaub führt zu Lungen- und Herz-Kreislauf Erkrankungen. Die hohe Zahl der vorzeitigen Todesfälle muss umgehend politische Konsequenzen haben.“ Man könne in Europa Millionen an vorzeitigen Todesfällen durch Feinstaub vermeiden, wenn man die europäischen Grenzwerte zum Beispiel auf amerikanische Grenzwerte reduzieren würde, so Münzel. Experten fordern eine Reduzierung der Tierbestände, zumindest aber für Großbetriebe eine flächendeckende Verpflichtung zum Einsatz technischer Maßnahmen, mit denen die Ammoniak-Belastung reduziert werden kann.

Kritik

Die Statistikerin Katharina Schüller vom RWI-Essen kritisierte die Studie hart: Das Konzept der „Anzahl vorzeitiger Todesfälle“ sei das Musterbeispiel einer „Unstatistik“. Denn in Deutschland sterbe „kein einziger Mensch an Feinstaub, sondern an Erkrankungen, die durch Feinstaub (mit) verursacht sein können, es aber nicht sein müssen“. Das MPIC untersuche denn auch gar nicht, ob Feinstaub die Gesundheit von Menschen beeinflusst, sondern setze voraus, dass das der Fall sei – „und darüber hinaus sogar quantifiziert werden kann. Dabei handelt es sich aber nicht um gemessene Fakten, sondern um Modellergebnisse, die auf Annahmen beruhen und eine hohe Unsicherheit von mindestens +/- 50 Prozent aufweisen.“ Der Grund liege darin, dass man nicht wisse, wie viele Menschen vorzeitig gestorben seien, sondern lediglich, wie viel kürzer sie im Schnitt gelebt hätten.

Der Spiegel versuchte in einem Faktencheck eine Erklärung: „Hochrechnungen, die die gesundheitlichen Schäden mit vorzeitigen Todesfällen beziffern, sind umstritten, weil sie suggerieren, dass real existierende Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung durch Abgase gestorben sind. Tatsächlich soll die Messgröße einen Eindruck des allgemeinen gesundheitlichen Zustandes der Bevölkerung vermitteln. Bezogen auf Deutschland sind also nicht 13.000 ‚echte‘ Menschen durch Abgase gestorben. Die Maßeinheit verlorene Lebenszeit vermeidet dieses Missverständnis, wird aber bislang zu selten genutzt.“

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