WBGU: Unsere gemeinsame digitale Zukunft

Arbeit der Zukunft und Abbau von Ungleichheit

Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit wie auch die internationale Arbeitsteilung in ihrer heutigen Form verändern sich derzeit tiefgreifend. Beschäftigung wird den Menschen jedoch auch in Zukunft erhalten bleiben. Die gemeinsame Betrachtung des digitalen Wandels und der Transformation zur Nachhaltigkeit bietet Chancen, Leitbilder für eine nachhaltige Arbeit der Zukunft zu etablieren.

Der WBGU empfiehlt:

  • Steuer- und Abgabensystemen reformieren: Steuerund Abgabensysteme sollten als zentrale Hebel zur Gestaltung beider Prozesse gesellschaftlichen Wandels genutzt werden. Steuerliche Belastungen von Arbeitseinkommen können im Rahmen einer umfassenden sozial-ökologischen Steuerreform unter Beibehaltung staatlicher Finanzierungsspielräume reduziert werden, wenn Umweltgüter konsequent bepreist werden.
  • Sicherung und Förderung sozialer Standards für Arbeitsschutz: Anknüpfend an den globalen Dialogprozess der internationalen Arbeitsorganisation „The Future of Work We Want“ sollte eine internationale Initiative forciert werden, um Verständigung über (Mindest)Standards für Arbeitsschutz und soziale Absicherung zu erzielen sowie auch für Menschen in digitalen Beschäftigungsverhältnissen eine geeignete Interessenvertretung zu verhandeln.
  • Neue Mechanismen der Verteilung entwickeln: Neue Verteilungs- und alternative Beteiligungskonzepte wie ein (bedingungsloses) Grundeinkommen oder eine direktere Beteiligung an Unternehmensgewinnen sollten umfassend auf ihre individuellen und gesellschaftlichen Anreizwirkungen hin überprüft werden. Dazu sollte interdisziplinär gearbeitet und auch die systemischen Implikationen, wie etwa notwendige Reformschritte zur Finanzierung derartiger Mechanismen, berücksichtigt werden.
  • Erweiterten Arbeitsbegriff und neue Leitbilder etablieren: Bewusst aufgewertet werden sollten Tätigkeiten und Fähigkeiten, die zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen (z. B.
  • ehrenamtliche Arbeit) oder ein besseres Miteinander ermöglichen, indem sie Eigenart sowie gesellschaftliche Teilhabe (Abb. 1) fördern. Dazu können zeitliche oder finanzielle Freiräume und Anreize geschaffen werden, oder diese Tätigkeiten in formale Arbeitsmärkte integriert werden.
  • Internationale Arbeitsteilung – Technologietransfer vorantreiben: Fortschreitender Strukturwandel wird zu einer Neujustierung der Rolle von Entwicklungsund Schwellenländern führen. Zum Erhalt von Arbeitsplätzen in Entwicklungs- und Schwellenländern sollte gezielt Technologietransfer betrieben werden.

Zukunftsbildung

Bildung versetzt Menschen in die Lage, produktive Tätigkeiten auszuführen und gesellschaftliche Innovationen und Transformationen denken wie umsetzen zu können. Dafür müssen Bildungsinhalte und -formate zu den zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen passen und digitale Mündig Zusammenfassung 21 keit befördern. Außerdem sind die gerechte Teilhabe an hochwertiger formaler Bildung sowie die Eröffnung von Bildungsangeboten in Sektoren und Orten mit intensiven Veränderungsprozessen zentral. Die Nutzung digitaler Möglichkeiten kann Zugang und Vermittlung signifikant verbessern, gleichzeitig bleiben direkte Erfahrungen unersetzlich.

Der WBGU empfiehlt:

  • Bildungspakt für Zeiten tiefer Umbrüche und digitaler Durchdringung von Gesellschaften aufsetzen: Ein neuer Bildungspakt für das 21. Jahrhundert sollte die umfassenden inhaltlichen Dimensionen und persönlichen Kompetenzkonzepte aus der Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Global Citizenship mit Online-Medienbildung, digitaler Intelligenz und Technikverständnis zusammenführen. Dies bedient gleichermaßen Kompetenzforderungen wie sie für digitaler, agiler und komplexer werdende Arbeitsumfelder formuliert werden.
  • Bildung als Zukunftsinvestition ernst nehmen: Durch die Nationale Plattform und die Fachforen des Weltaktionsprogramms sind Strukturen etabliert worden, in denen eine Ausweitung des inhaltlichen Kanons sowie strategischer Maßnahmen und Projekte verhandelt werden kann. Notwendige Qualifizierungsmaßnahmen und Investitionen sollten nun in enger Zusammenarbeit mit Vorreitern aus der Praxis definiert und in einer Roadmap über z. B. 10 Jahre festgeschrieben werden. Dafür müssen deutlich mehr Mittel als im „DigitalPakt Schule“ mobilisiert und durch entsprechende Evaluationsformate eine Ambitionsspirale nach oben gewährleistet werden.
  • Weiterführung Weltaktionsprogramm Bildung für Nachhaltige Entwicklung prominent unterstützen: Nach dem Review des SDG 4 „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern“ im High Level Political Forum 2019 sollten auch in der internationalen Zusammenarbeit nach dem Monitoring die Umsetzungsbarrieren in den Mittelpunkt gestellt und eine institutionelle wie finanzielle Verstärkung für die Erreichung der Ziele angestrebt werden.
  • Zukunftsorientierung in Entscheidungsprozessen stärken: Gesellschaftliche Verständigung über plausible, mögliche und wünschenswerte Zukünfte und deren politische wie technologische Gestaltung braucht einen reflektierten Umgang mit Trends und Herausforderungen. Antizipation und „Futures Literacy“ sollten als neues Forschung- und Bildungsthema gezielt gefördert und in existierenden Gremien gestärkt oder entsprechende Zukunftsgremien geschaffen werden.

Big Data und Privatsphäre

Sowohl die Potenziale für eine gemeinwohlorientierte Nutzung von Daten als auch die technischen Voraussetzungen für eine totalitäre Diktatur sind im Zeitalter von Big Data auf historisch wohl größtem Niveau. Um die Basis freier, demokratischer, friedlicher und langfristig souveräner Gesellschaften längerfristig zu verteidigen und zu bewahren ist es unabdingbar Datenschutz, Manipulationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung sowohl national als auch global zu befördern.

Der WBGU empfiehlt:

  • Nachhaltigkeit bei der Datennutzung stärker in den Fokus rücken: Bei der Formulierung nationaler Strategien oder Unternehmensstrategien, die den Umgang mit Daten betreffen, sollten Nachhaltigkeitsaspekte konsequent mitberücksichtigt werden.
  • „United Nations Privacy Convention“ aushandeln: Für das weltweite Menschenrecht auf Privatsphäre (Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte) sollte eine „United Nations Privacy Convention“ ausgehandelt werden.
  • Wirksamer Privatsphärenschutz sollte als Querschnittsthema in allen Bereichen verankert werden.
  • Individuelle Privatheit und digitale Öffentlichkeit nachhaltig schützen – digitalen Totalitarismus verhindern: Demokratisch nicht kontrollierte (Massen)überwachung sollte abgelehnt werden, da sie die Grundlagen der Demokratie bedroht. Datenschutz und Datensicherheit sollten technisch und organisatorisch gewährleistet werden, zum Beispiel durch strikte Umsetzung von Datensicherheit und Datenschutz by design und by default.
  • Digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit gemeinwohlorientiert und innovativ gestalten: Informationelle Selbstbestimmung sollte für die gesamte Gesellschaft gewährleistet werden. Darüber hinaus ist eine breitere europäische bis globale Öffentlichkeit im Dienste des Gemeinwohls zu stärken.

Fragilität und Autonomie technischer Systeme

Digitale Technologien übernehmen zunehmend komplexe Kontroll- und Steuerungsaufgaben, von deren Verlässlichkeit Gesellschaften und Individuen abhängig sind. Es ist daher von höchster Bedeutung, die Zusammenfassung 22 Sicherheit der Systeme gegenüber kriminellen Tätigkeiten, Manipulation und Spionage, aber auch organisatorischen und technischen Mängeln und Ausfällen in den Fokus zu nehmen. Eine Übertragung von Entscheidungen auf automatisierte Systeme in gesellschaftlichen Kernbereichen sollte nur methodisch und demokratisch abgesichert erfolgen und den Betroffenen gegenüber nachvollziehbar sein.

Der WBGU empfiehlt:

  • Sicherheit der Digitalisierung als Voraussetzung für die Transformation zur Nachhaltigkeit: Grundsätzlich sollten bereits bei der Entwicklung von Software und Hardware Sicherheitsanforderungen mit bedacht werden (Security by Design). Es sollte ein europäisches Register für technische Systeme sowie deren Ausfälle und Schäden entwickelt werden.
  • Big Data und algorithmische Entscheidungen – einklagbare Rechte schaffen: Intransparenz und methodische Schwächen können zu verzerrten algorithmischen Entscheidungen führen. Daher sind Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsunterstützung und -findung auch dann nötig, wenn eine Entscheidung nur in Teilen automatisiert ist. Um die Durchsetzbarkeit zu erhöhen, sollten derartige Entscheidungen durch Betroffene gerichtlich überprüfbar sein.
  • Algorithmische Entscheidungsfindung regulieren: Es braucht mehr Transparenz über Verfahren, eine zivilgesellschaftliche Beteiligung, eine Verbesserung der Aufklärung von Betroffenen und staatliche Aufsicht im Rahmen algorithmischer Entscheidungsfindung.
  • Informations- und Kennzeichnungspflichten für Entscheidungsverantwortliche, eine präventive Kontrolle durch Erlaubnisvorbehalt für technische Systeme in kritischen Anwendungsbereichen und Haftungsregeln sollten diskutiert und etabliert werden.

Ökonomische und politische Machtverschiebungen

Digitale Technologien verschieben Macht und Einfluss zwischen Staaten, Unternehmen und Bürger*innen. Dabei wirken starke Netzwerk- und Skaleneffekte, die dazu führen, dass die Digitalisierung heute maßgeblich durch einige wenige, zumeist privatwirtschaftliche Akteure gestaltet wird. Auch einzelne Staaten nutzen die digitale Technik bereits intensiv zur Steigerung ihrer staatlichen Macht.  Die Digitalisierung wird nur dann bestehende soziale Ungleichheiten nicht verschärfen, wenn alle Menschen gleichermaßen die Chance bekommen, an ihren Potenzialen teilzuhaben.

Der WBGU empfiehlt:

  • Öffentlich-rechtliche IKT und digitale Gemeingüter schaffen: Alle Menschen sollten als Teil der Daseinsvorsorge diskriminierungs- und barrierefreien Zugang zu IKT-Infrastrukturen sowie zu verlässlichen und qualitativ hochwertigen Daten, Informationen, Diensten und Wissen sowie digitalen Gemeingütern bekommen. Netzneutralität und Reduzierung der Diskriminierung sollte gesichert werden.
  • Wettbewerb auf digitalisierten Märkten stärken: Wettbewerbsrechtliche Reglungen und Verfahren zur Bestimmung von Marktmacht und deren Missbrauch sollten weiterentwickelt und international abgestimmt werden. Die Rolle von Daten für wirtschaftliche Machtkonzentration sollte adressiert werden.
  • Staatliche Machtkonzentration im Hinblick auf die Analyse großer Datenmengen einhegen: Das Beispiel China zeigt die Gefahren durch Machtkonzentration bei Verschränkung von staatlicher und wirtschaftlicher Macht mit digitalen Werkzeugen. Auch Bürger*innen westlicher Staaten sind durch datenbasierte Überwachung und Machtmissbrauch von privater wie staatlicher Seite gefährdet. Zivilgesellschaftliche Initiativen sollten auf allen Governance-Ebenen gestärkt werden, um Menschen- und Bürgerrechte aktiv einzufordern.

Global Governance für die nachhaltige Gestaltung des Digitalen Zeitalters

Es fehlt eine robuste Verankerung des Themas „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ in der Global-Governance-Architektur sowie die Verständigung auf einen gemeinsamen Handlungsrahmen durch die internationale Staatengemeinschaft. Auch hat sich für die global operierende und sich sehr dynamisch entwickelnde internationale Digitalwirtschaft noch keine geeignete Global Governance entwickelt. Die EU sollte eine tragende Rolle spielen, indem sie eine zukunftsweisende Vision und Strategie für eine digital unterstützte Nachhaltigkeitsgesellschaft entwickelt und umsetzt.

Der WBGU empfiehlt:

  • UN-Gipfel „Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“ mit dem Ziel der Verabschiedung einer Charta anberaumen: Deutschland und die EU sollten sich 30 Jahre nach der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung für einen UN-Gipfel zum Thema „Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter“ im Jahr 2022 einsetzen („UN Conference for a Sustainable Digital Age“). Ein zentrales Ergebnis des UN-Gipfels könnte die Verabschiedung einer Charta der internationalen Staatengemeinschaft „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ sein.Zur Vorbereitung des UN-Gipfels sollte eine „Weltkommission für Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter“ nach dem Vorbild der „Brundtland-Kommission“ berufen werden.
  • Stärkere institutionelle Verankerung des Themas Digitalisierung im UN-System sicherstellen: Zur Einbettung in Arbeits- und Strategiebildungsprozesse käme ein UN-Mechanismus zur systemweiten Koordination („UN Digitalization“) in Betracht. Die verhandlungstechnisch aufwändigste, aber potenziell durchsetzungsfähigste Option wäre die Aushandlung einer „UN-Rahmenkonvention für digitale Nachhaltigkeit und nachhaltige Digitalisierung“. Zudem sollte in regelmäßigen Sachstandberichten der wissenschaftliche Erkenntnisstand zu allen nachhaltigkeitsrelevanten Aspekten der digitalen Transformation aufgearbeitet werden. Dafür sollte ein Gremium, ähnlich IPCC oder IPBES, eingerichtet werden.
  • Wettbewerbsvorteile durch „EU-Strategie für Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter“ schaffen: Ein eigenes Modell für eine digitalisierte Nachhaltigkeitsgesellschaft würde der EU die Chance bieten, sich international als nachhaltiger Lebens- und Wirtschaftsraum zu profilieren. Gerade die Gewährleistung von Datenschutz sowie die Verknüpfung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu einem Leitbild der „ digitalisierten Nachhaltigkeitsgesellschaft“ können dabei von Unternehmen und Bürger*innen als Grundlage zukunftsfähiger Standortvorteile wahrgenommen werden. Wirksame europäische Datenschutzinstrumente sollten so gestaltet sein, dass sie sich als internationale Standards eignen, um eine notwendige Adaption über europäische Grenzen hinweg zu erleichtern. Angesichts der vielen nicht vorhersehbaren und schnellen technologischen Entwicklungen sollten zudem „Europäische Reallabore für eine nachhaltige und digitale Zukunft“ eingerichtet werden.

Folgt: Neue normative Fragen – Die Zukunft des Homo sapiens