Bündnis 90/Die Grünen: Solarstrom-Ausbau stärken

10 GW pro Jahr notwendig – Deckel streichen

Bündnis 90/Die Grünen wollen den Ausbau der Solarenergie beschleunigen – so der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag. Laut dem Antrag 19/9698 der Bundestagsfraktion muss ein „nachhaltiger, solidarischer und schwungvoller Ausbau“ von jährlich 10.000 Megawatt erreicht werden, davon 3.000 MW in Ausschreibungen für Großanlagen. Dafür sollen die Ausbaudeckel für Solarenergie ersatzlos gestrichen und Bürgerenergie-Projekte sowie Mieterstrom durch entsprechende Neuregelungen attraktiver ausgestaltet werden.

PV-Anlage bei Bitterfeld – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Grünen begleiten ihre Forderung mit einer umfassenden Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung. Diese lege der Solarenergie durch „überflüssige Bürokratie“ und gesetzliche Regelungen „neue Steine in den Weg“. Als ein weiteres Hemmnis benennen die Grünen in dem Antrag die Pflicht zur Direktvermarktung für mittelgroße Anlagen. Diese greife in Deutschland bereits bei 100 Kilowatt installierter Leistung. „Eine Anhebung der Grenze auf 500 Kilowatt würde den Ausbau dieser Anlagen wieder attraktiver machen, ohne für Mehrkosten zu sorgen,“ schreiben die Grünen. Zudem müssten die Potenziale solarer Wärme stärker genutzt werde. (hib/SCR)

Im Wortlaut: Antrag „Ausbau der Solarenergie beschleunigen, dezentrale Bürgerenergie und Mieterstrom unterstützen“

Deutscher Bundestag Drucksache 19/9698 – 19. Wahlperiode – 26.04.2019

Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Lisa Badum, Christian Kühn (Tübingen), Dr. Ingrid Nestle, Dr. Bettina Hoffmann, Sylvia Kotting-Uhl, Steffi Lemke, Gerhard Zickenheiner, Harald Ebner, Matthias Gastel, Stefan Gelbhaar, Oliver Krischer, Renate Künast, Friedrich Ostendorff, Stefan Schmidt, Markus Tressel, Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Ausbau der Solarenergie beschleunigen, dezentrale Bürgerenergie und Mieterstrom unterstützen“

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Auf dem Weg in eine erneuerbare Energieversorgung wird die Solarenergie eine herausragende Rolle spielen. Die Solar- und Windenergie sind schon heute die günstigsten Stromerzeugungsformen und sehen weiterhin erheblichen Kostensenkungen entgegen. Solarenergie bietet den Vorteil lastnaher Erzeugung und ist durch Systeme mit installierten Batterien speicherbar. Solarenergie bietet erhebliche Potenziale zur Nutzung von Strom für die Sektoren Mobilität und Wärme.

Zudem genießt sie eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Mehr noch als über die anderen Technologien der Erneuerbaren Energien können die Menschen in Deutschland mittels der Solarenergie aktiv an der Energiewende teilhaben. Das gilt auch für die Wärmeversorgung, zu der die Solarthermie dezentral und CO2– frei beitragen kann. Solare Wärme ersetzt unmittelbar fossile Energie für die Warmwasser- und Heizwärmebereitung.

Die Politik der Bundesregierung hat jedoch in den vergangenen Jahren dazu geführt, den Ausbau der Solarenergie im Stromsektor von jährlich über 7500 Megawatt in den Jahren zwischen 2010 und 2012 auf zwischenzeitlich 1700 Megawatt im Jahr 2017 abstürzen zu lassen. Auf das erstmalige Erreichen des ohnehin zu niedrigen jährlichen Ausbauzieles der Bundesregierung reagierte die Bundesregierung mit einer Gesetzesnovelle, die die Gefahr birgt, diesen Aufschwung gleich wieder auszubremsen. BürgerInnen, Genossenschaften und kleine Unternehmen werden mit einem Übermaß an überflüssiger Bürokratie an Investitionen gehindert und Gemeinden beim Bau von Solarparks allein gelassen.

Anstatt der Solarenergie neue Steine in den Weg zu legen, muss die Bundesregierung zur Erreichung der Klimaziele dafür sorgen, dass ein nachhaltiger, solidarischer und schwungvoller Ausbau der Solarenergie in einem Umfang von 10.000 Megawatt jährlich erreicht wird, davon 3.000 Megawatt in Ausschreibungen für Großanlagen. Auch die Potentiale für solare Wärme werden völlig unzureichend genutzt. 2017 wurden nur knapp 8 Terawattstunden Solarwärme genutzt (vgl. https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/erneuerbareenergien- in-zahlen#waerme). Für eine vollständig erneuerbare Wärmeversorgung ist mindestens die Verzehnfachung dieses Beitrags bis 2040 erforderlich (vgl. Studie „Die Neue Wärmewelt“ unter https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/ media/gruenebundestag_de/publikationen/18-91- Die_neue_W%C3%A4rmewelt_Innenteil_komplett_webvariante-neutral.pdf). Doch bisher behindern u.a. staatliche Subventionen für fossile Heizungen und fehlende gesetzliche Vorgaben für Erneuerbare Wärme im Gebäudebestand den zügigen Ausbau der Solarthermie.

Neben der erneuten, außerplanmäßigen Senkung der Einspeisevergütung für mittelgroße Anlagen Anfang 2019 durch die große Koalition liegen die Hemmnisse beim Ausbau der Photovoltaik auch bei zu hohen bürokratischen Anforderungen, insbesondere an BetreiberInnen von Kleinanlagen. So müsste zum Beispiel in einem Zweifamilienhaus die BetreiberIn der Anlage ihren NachbarInnen eine Rechnung stellen, sobald er ihr auch nur eine Kilowattstunde Strom liefert. Regelungen, die eigentlich für große Stromversorgungsunternehmen gedacht waren, werden direkt auf kleinere AnlagenbetreiberInnen angewandt. Durch eine Überprüfung und Entbürokratisierung zum Beispiel durch die zeitnahe Einführung einer individuellen und einer gemeinschaftlichen Eigenversorgung könnte der Ausbau von Solaranlagen auf den Level gebracht werden, den wir für den Klimaschutz brauchen. Regeln, welche im Sinne von Artikel 21 und 22 der neuen EU-Richtlinie zur Förderung von Erneuerbaren Energien (RED II) ohnehin bis Sommer 2021 umgesetzt werden müssen, um die Rechte von Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften zu stärken, könnten so früher wirksam werden. Die Energiewende kann nur beschleunigt werden, wenn die Bundesregierung die neuen Chancen konsequent nutzt.

Ein weiteres Hemmnis ist die verpflichtende Direktvermarktung von mittelgroßen Anlagen. Die Direktvermarktung von Ökostrom hat sich als ein geeignetes Mittel zur Marktintegration von Erneuerbare Energien Anlagen entwickelt. Sie führt dazu, dass schon heute Ökostromanlagen sich zeitweise allein über den Strommarkt refinanzieren. Allerdings müssen Anlagen eine gewisse Größe haben, damit sich die zusätzlichen Kosten für die Direktvermarktung rechnen und keine unnötigen Mehrkosten entstehen. In Deutschland gilt die Pflicht zur Direktvermarktung ab 100 Kilowatt installierter Leistung, innerhalb europäischer Vorgaben wären hier bislang bereits 500 Kilowatt möglich gewesen. Eine Anhebung der Grenze auf 500 Kilowatt würde den Ausbau dieser Anlagen wieder attraktiver machen, ohne für Mehrkosten zu sorgen. Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, das EEG nicht als Beihilfe zu bewerten, kann die Bundesregierung nun auch den Verweis auf Brüssel nicht länger als Ausrede nutzen, um diese Bremsklötze für die Erneuerbaren beizubehalten.

Die Bundesregierung weigert sich bis heute, ein Zeit- und Mengengerüst für ihr Ausbauziel von 65 Prozent Erneuerbare Energien in der Stromversorgung bis 2030 aufzustellen. Ohne einen klaren, ambitionierten Ausbaupfad für die Erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 gibt es jedoch keine Planungs- und Investitionssicherheit für die Erneuerbaren-Branche mit derzeit ca. 330.000 Arbeitsplätzen. Selbst das – für das Pariser Klimaabkommen unzureichende – Kohleausstiegsszenario der „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ benötigt einen ambitionierteren und schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien, als derzeit im Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) verankert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

a) einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
– den 52 Gigawatt-Deckel für die Solarenergie ersatzlos streicht;
– die Möglichkeiten der neuen EU-Richtlinie RED II konsequent nutzt und zumindest Anlagen bis zu einer Leistung von 30 kW von EEG-Umlage auf Eigenstrom aus
erneuerbaren Energien („Sonnensteuer“) befreit;
– die Ausschreibungsgrenze für Solaranlagen auf ein Megawatt installierter Leistung und die Grenze für die verpflichtende Direktvermarktung von 100 kWp auf
500 kWp anhebt;
– ein neues Segment für PV-Anlagen zwischen 40 und 249 Kilowattpeak schafft und für diese Anlagen, insbesondere auch für Mieterstromanlagen, die noch bis
Dezember 2018 gültigen Förder- und Degressionsbedingungen ab sofort wieder vorsieht;
– die Ausschreibungsmenge für Anlagen über einem Megawatt installierter Leistung auf 3000 Megawatt jährlich erhöht und getrennte Ausschreibungen für
Dachanlagen und Freiflächenanlagen einführt;
– nicht bezuschlagte oder nicht gebaute Mengen sind in den folgenden Ausschreibungsrunden zusätzlich auszuschreiben;

b) den Stromhandel im direkten räumlichen Zusammenhang zu erleichtern und dazu
– bürokratische Regelungen zu überprüfen und für BetreiberInnen kleiner Solaranlagen unnötige Hürden abzubauen, indem erst ab einer Stromerzeugung von 10
Megawattstunden für Haushalte und 500 Megawattstunden für juristische Personen die Pflichten eines Energie- und Elektrizitätsversorgungsunternehmens
erfüllt werden müssen;
– eine Neuregelung der Varianten der Eigenversorgung zu entwickeln, die den aufkommenden und wachsenden Prosumer-Konzepten Rechnung trägt, zum Beispiel mit
der Gleichstellung von individueller und gemeinsamer Eigenversorgung;
– im EEG die gemeinschaftliche Eigenversorgung aufzunehmen, wonach verschiedene Parteien in einem Mehrfamilienhaus gemeinsam eine Anlage betreiben und den
Strom aus der Anlage selbst verbrauchen dürfen, und diese gemeinschaftliche Eigenversorgung mindestens bis zu einer Leistung von 30 kW ebenfalls von der
EEG-Umlage sowie von den Pflichten eines Energie- und Elektrizitätsversorgungsunternehmens zu befreien;

c) die gesetzlichen Regelungen zum Mieterstrom für Solarstrom zu überarbeiten und
– Quartierskonzepte aufzunehmen, nach denen auch Solaranlagen auf angrenzenden Gebäuden zur Versorgung der BewohnerInnen mit Mieterstrom genutzt werden
können;
– die Erzeugung und Nutzung von Mieterstrom auch auf rein gewerblichen oder von öffentlicher Hand genutzten Gebäude auszudehnen;
– die Obergrenze von 100 Kilowatt installierter Leistung pro Projekt bei Mieterstromanlagen aufzuheben;
– sicherzustellen, dass die Definition der „Kundenanlage“ in §3 EnWG dergestalt präzisiert wird, dass sie auch größere Quartierskonzepte mit deutlich mehr
als 100 Wohnungen umfasst;
– im Mieterstrom das sogenannte Lieferkettenmodell zuzulassen und damit die Einbeziehung von Dienstleistungen (z.B. Abrechnungen) eines
Energieversorgungsunternehmens zu erleichtern;
– die Maßgabe zu streichen, dass der zu zahlende Preis für Mieterstrom höchstens 90 Prozent des Grundversorgertarifs betragen darf; die Wahlfreiheit des
Stromanbieters bleibt davon unberührt;
– steuerliche Hemmnisse für Mieterstrom im Gewerbesteuerrecht und im Körperschaftssteuerrecht für Wohnungsbaugesellschaften zu beseitigen;
– den Deckel von 500 Megawatt maximalen Neubau von Solarstromanlagen im Rahmen der Mieterstromregelungen pro Jahr zu streichen;

d) die Anmeldung von Photovoltaikanlagen durch eine One-Stop-Shop-Lösung zu vereinfachen und damit gleichzeitig die Kosten für die Anmeldung zu senken;

e) alle bundeseigenen Gebäude ab einer Nutzfläche von 500 Quadratmetern auf mögliche Nutzung von Solarthermie und/oder Photovoltaik zu prüfen, zeitnah zu
investieren und hier endlich Vorbild zu werden bei der Nutzung von Solarenergie;

f) eine Nutzungspflicht von Solarthermie und/oder Photovoltaik bei Neubauten einzuführen;

g) die Nutzung der Sonnenenergie auch im Bereich der Gebäudeenergie und der Wärmebereitstellung voranbringt:
– den verpflichtenden Einsatz von Erneuerbarer Wärme nach dem Erneuerbare- Energien-Wärmegesetz auch auf den Gebäudebestand auszuweiten, wenn eine fossile
Heizung sowieso ausgetauscht wird;
– die staatlichen Subventionen für Öl- und Gasheizungen zu streichen und statt dessen die Förderung für Solarthermie und Wärmepumpen wirksam und
ertragsbezogen auszugestalten und dabei der Effizienz der eingesetzten Sonnenkollektoren und Wärmepumpen Rechnung zu tragen;
– für Dachausbauten bei der Planung eine Prüfung der Installation von Photovoltaik und/oder Solarthermie festzuschreiben.

Berlin, den 9. April 2019 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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