„Zweite Chance für Klimapolitik durch mehr Demokratie“

IASS-Kommentar: COP21 wiederbeleben

Die Hoffnung war groß, als 2015 das Pariser Klimaabkommen verabschiedet wurde. Die Staaten verpflichten sich darin, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Die Bilanz seither ist jedoch ernüchternd: Fünf Jahre später steigen noch immer die Emissionen von CO2 und anderen klimarelevanten Stoffen. und Stefan Schäfer vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) argumentieren in Science, dass das zentralisierte System gescheitert sei. Jedoch könne mehr demokratische Beteiligung die globale Klimapolitik reanimieren.

„Die Temperaturen steigen weiter an, die CO2-Konzentrationen erreichen jedes Jahr neue Höchstwerte und es wird zunehmend unrealistisch, selbst das 2-Grad-Ziel überhaupt noch einzuhalten“, urteilt Lawrence. Ursprünglich war die 1,5-Grad-Grenze anvisiert worden, für das noch zirka 400 bis 600 Gigatonnen (Gt) CO2 emittiert werden dürfen. Da die Welt aber jedes Jahr mehr als 40 Gt CO2 ausstößt, dürfte das CO2-Budget der Weltgemeinschaft in etwa einem Jahrzehnt aufgebraucht sein. Geht es in diesem Tempo mit den Emissionen weiter, vergehen bis zur Überschreitung der Zwei-Grad-Grenze nochmals etwa 15 Jahre – ab etwa 2045 könnte die Weltgemeinschaft das Zwei-Grad-Limit überschritten haben. Das lange Festhalten an unrealistischen Szenarien zur Erreichung globaler Ziele, in denen etwa Technologien zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (engl.: Carbon Dioxide Removal, CDR), auch Negative Emissionen genannt, eine unverhältnismäßig große Rolle spielten, habe die Weltgemeinschaft nicht voran gebracht, konstatieren die beiden Experten.

Das Erreichen ehrgeiziger globaler Temperaturziele erscheint zunehmend unplausibel, aber das im Jahr 2015 vereinbarte Pariser Abkommen gibt dennoch Hoffnung, weil es eine demokratischere Klimapolitik verspricht. Foto © Arnaud-Bouissou/COP Paris, CCO1.0-Lizenz

„Erst zur Mitte dieses Jahrhunderts wären wir mit den CDR-Technologien soweit, dass sie eine Möglichkeit der CO2-Entfernung in klimarelevanten Mengen darstellen könnte“, erklärt Lawrence „aber bis 2050 müssten wir bereits die klimaschädlichen Emissionen auf Null reduziert haben, um unter zwei Grad zu bleiben.“ Die beiden Autoren sehen eine „problematische Abhängigkeit von Zukunftstechnologien“. Problematisch, weil sie nur auf kleinen Skalen erprobt seien und es keinerlei Erfahrungswerte über einen großräumigen Einsatz gebe.

Einstellen auf Temperaturen jenseits zwei Grad – „Vielfältigkeit lokaler Kontexte zu berücksichtigen“

Lawrence und Schäfer schlussfolgern, dass globale Klimaziele zwar gut seien, um Staaten eine Richtung vorzugeben und ein Feedbacksystem zu haben, inwieweit Maßnahmen zielführend seien. Jedoch schaffe dieses abstrakte und zentralisierte System keine Basis für effiziente Maßnahmen gegen die weitere Klimaerwärmung. Nun müsse sich die Menschheit wahrscheinlich auf Temperaturen jenseits der 2-Grad-Grenze einstellen, so ihr Fazit.

Stefan Schäfer – Foto © iass-potsdam.de

Erfolgversprechend sei das System der national festgelegten Beiträge (engl.: Nationally Determined Contributions – NDCs), das durch das Pariser Abkommen geschaffen wurde. Dieses eröffne neue Möglichkeiten der demokratischen Beteiligung. „Der demokratische Charakter des Pariser Klimaabkommens erlaubt es, die Vielfältigkeit lokaler Kontexte zu berücksichtigen“, sagt Stefan Schäfer – „so kann die globale Klimapolitik reanimiert werden und auf demokratische Weise lokal verortete Transformationsprozesse zu mehr Klimaschutz fördern. Zugleich unterstützt uns eine demokratischere Politik auch dabei, besser in einer Welt zurechtzukommen, in der die Erwärmung eines Tages tatsächlich um mehr als zwei Grad steigt.“

Schlussargumentation von Lawrence/Schäfer:

„Das Versprechen des Pariser Abkommens besteht aus zwei wichtigen Anerkennungen, die in den NDCs vertreten sind. Erstens haben abstrakte universelle Konzepte wie globale Temperaturziele und Emissionsbudgets, kombiniert mit zentralisierten Verhandlungen über verbindliche Emissionsminderungsverpflichtungen, keine ausreichende Grundlage für wesentliche Fortschritte bei der Begrenzung des Klimawandels geschaffen. Zweitens müssen kulturell spezifische Argumentationsmethoden, die dem Wissen Bedeutung verleihen und mehr auf lokaler als auf globaler Ebene ausstrahlen, stärker berücksichtigt werden. Das eröffnet Möglichkeiten für ein demokratischeres Engagement bei der Frage, welche Formen spezifische transformative Bemühungen annehmen sollten. Darüber hinaus können die vielfältigen Bedeutungen des Klimawandels in verschiedenen lokalen Kontexten sowie die damit verbundenen schwierigen und lokal spezifischen sozialen und politischen Fragen artikuliert werden.

Die Einführung der NDCs hat noch nicht zu einem gemeinsamen Satz nationaler Ambitionen geführt, die den Temperaturzielen des Pariser Abkommens entsprechen und dies auch in Zukunft nicht tun werden. Dennoch kann der NDC-Ansatz einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Landschaft der demokratischen Weltpolitik leisten, unterstützt durch neue transdisziplinäre Ansätze, welche die Verbindung der verschiedenen Wissensformen wie Wissenschaft, Humanismus, Politik, Religion und Indigene nutzen. Es ist der demokratische Charakter des Pariser Abkommens mit seiner Anerkennung der Vielfalt und des lokalen Kontextes, der die globale Klimapolitik wiederbeleben kann, vielleicht sogar noch bevor ehrgeizige Temperaturziele völlig außer Reichweite verschwinden. Und wenn Gesellschaften in einer Welt leben, in der die globale Erwärmung bis 2100 weit über 2°C liegt – was nicht mehr unwahrscheinlich ist, unabhängig davon, welcher Ansatz gewählt wird -, dann wäre es viel besser, das mit einem funktionierenden Satz demokratischer globaler Institutionen zu tun, als sich an Phantasien über eine zentralisierte, losgelöste Steuerung zu klammern, die zu globalen Veränderungen führt, obwohl jahrzehntelange Erfahrung die Unplausibilität eines solchen Ansatzes beweist. Letztendlich wird die Förderung der Tugenden einer demokratischen Regierungsführung auch die Fähigkeit der Gesellschaften verbessern, mit den schwierigen Situationen umzugehen, mit denen sie in einer Welt konfrontiert sind, die unter den immer härteren Auswirkungen des Klimawandels leidet.“

->Quellen: