„Entwicklungsoffenes Energiesystem ermöglichen“

Maßnahmen

Neue Expertengutachten stimmen darin überein: Das wichtigste Leitinstrument für einen effektiven Klimaschutz ist ein einheitlicher und sektorübergreifender Preis für Treibhausgasemissionen. Diese Forderung unterstützt die Leopoldina. Die Politik muss dieses Signal rasch setzen, als Kernelement eines mutigen Klimaschutzgesetzes. Sie muss zudem im Sinne der Wirksamkeit, der Kosteneffizienz und der sozial ausgewogenen Ausgestaltung der Klimapolitik einen zu Beginn schon erheblich höheren CO2-Preis ermöglichen im Vergleich zum aktuellen Preis im europäischen Emissionshandel, der momentan bei rund 25 €/t CO2 liegt. Zudem muss sie es politisch ausgestalten, wenn der Preis in den kommenden Jahren von diesem Punkt aus noch stark steigen wird. Das gilt gleichermaßen für den Umsetzungsweg eines Emissionshandels, bei dem sich der Preis ohne weiteres Zutun der Politik am Markt für Emissionszertifikate ergibt, wie bei dem einer CO2-Steuer, bei dem die Steuersätze regelmäßig an den Grad der Zielverfehlung angepasst werden müssen. Im Falle einer Steuer müssen diese Anpassungen umso stärker ausfallen, je weniger der politische Mut für einen hohen Einstiegspreis vorhanden ist. In jedem Fall muss das Instrument des CO2-Preises als unverrückbare klimapolitische Strategie erkennbar sein.

Ein CO2-Preis alleine reicht jedoch nicht aus, um eine umfassende Verhaltensänderung zu erreichen: Er muss durch weitere klimapolitische Instrumente und Maßnahmen ergänzt werden. Die Einnahmen aus dem CO2-Preis müssen transparent reinvestiert werden: in den sozialen Ausgleich in Form einer „Klimadividende“, in die relative Absenkung des Strompreises, in Kli-maschutz und Anpassungen im Bereich von Infrastrukturen sowie in Allgemeingüter. Das übergreifende Ziel all dieser Weichenstellungen ist der Anreiz für klimaschützendes Wirtschaften und Verhalten. Klimaschützendes Verhalten kann, wenn es klug für den sozialen Ausgleich verwendet wird, sogar zu einem unmittelbaren finanziellen Gewinn für Konsumentinnen und Kon-sumenten führen, vor allem bei niedrigeren Einkommensgruppen. Wohlhabende Bürgerinnen und Bürger produzieren meist mehr CO2 und werden daher einen entsprechend höheren Anteil am Umbau der Infrastrukturen und der Gesellschaft leisten. Schlussendlich wird die gesamte Bevölkerung von modernen und besseren Infrastrukturen profitieren.

Ein wirksamer CO2-Preis wird einen früheren Kohleausstieg wahrscheinlicher machen. Das ist in Deutschland bei entsprechenden Investitionen in erneuerbare Energien, in ein modernes Stromnetz und in Speichertechnologien (Power to Gas, Power to Heat, Batterien, Power to Li-quid) technisch möglich; vor allem dann, wenn es gemeinsam mit den europäischen Partnern umgesetzt wird. Die Transformation des Energiesystems wird  teilweise eine Dezentralisierung mit sich bringen. Beispiele hierfür sind die lokale Gewinnung von erneuerbarem Strom und dessen Speicherung in Batteriesystemen. Nicht zuletzt ist eine intelligente Vernetzung der dezentralen Teilsysteme untereinander erforderlich, um die Qualität des Gesamtsystems aufrecht zu erhalten.

Alle Klimaschutzmaßnahmen und Instrumente müssen so gestaltet sein, dass sie ein entwicklungsoffenes Energiesystem ermöglichen. Dabei sollte die Bundesregierung vornehmlich den Rahmen schaffen, in dem sich verschiedene klimafreundliche Technologien durchsetzen können und keine Einzeltechnologie direkt bevorzugen. Um dies zu erreichen, sollte der Umbau der Energieversorgung europäisch konzipiert werden. Aufgrund der unterschiedlichen Wetter- und Klimabedingungen ist die europäische Integration und der Technologiemix ein bedeutender Vorteil für die Stabilität der Energieversorgung.

Unterschiedliche Sektorziele (Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude) sollten in eine systemweite Gesamtbetrachtung der Emissionen überführt werden. Das erhöht den Handlungsspielraum und ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Gleichzeitig müssen alle klimaschädlichen Subventionen abgeschafft werden. Hierfür ist ein konsequenter Umbau des Steuersystems auf nachhaltige Ziele notwendig. Ebenso sind langfristig angelegte Infrastrukturinvestitionen notwendig, die es der gesamten Bevölkerung ermöglicht, klimafreundliche Mobilität, Wohnen und Ernährung zu nutzen.

Der Verkehr trägt rund 20 % zu den CO2-Emissionen bei, Tendenz steigend. Das betrifft vor allem den Güter- und Personenverkehr, aber auch die Mobilität im Freizeitbereich und den Schiffs- und Flugverkehr. Schnelle CO2-Einsparungen im Verkehrswesen können nur durch eine massive Elektrifizierung erreicht werden. Der öffentliche Personennahverkehr, der Schienenfernverkehr und der Gütertransport auf der Schiene müssen dafür erheblich ausgebaut und qualitativ verbessert werden. Da Bahn und ÖPNV vorwiegend im Eigentum der öffentlichen Hand sind, könnte diese politische Entscheidung schnell umgesetzt werden. Eine Priorisierung von ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr in den Städten hat zudem direkte positive Auswirkungen auf Gesundheit, Flächenverbrauch und allgemeine Lebensqualität.

Intelligente Mobilitätssysteme sind die Antwort auf private PKW. Damit lässt sich der Energie- und Ressourcenaufwand für individuelle Mobilität drastisch reduzieren. Im motorisierten Straßenverkehr ist eine Umstellung auf stark hybridisierte und batterieelektrische Fahrzeuge geboten. Dazu müssen eine Reihe von Maßnahmen zügig getroffen werden:

  • der Ausbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge,
  • die Umstellung des urbanen Liefer- und ÖPNV-Verkehrs auf Elektrofahrzeuge,
  • die Bevorzugung dieser Fahrzeuge auf Parkplätzen und durch reservierte Fahrspuren.

Diese und andere Maßnahmen haben sich in anderen Ländern schon bewährt. Vor allem in Städten sollten zudem vernetzte, sichere Fahrradinfrastrukturen massiv ausgebaut werden.

Die aktuellen Transportkosten berücksichtigen den Umweltverbrauch nicht hinreichend. Sie führen daher häufig zu einer starken Verlagerung von Produktion in ferne Länder und somit zu steigenden Logistikleistungen. Der internationale Flug- und Schiffsverkehr muss daher über entsprechende Abkommen mit einem CO2-Preis belegt werden, um die Gütermengen und Transportwege zu verringern. Der weltweite Verkehr in internationalen Logistikketten muss reduziert werden, z.B. durch Förderung regionaler Produktionsverbünde. Um Logistikketten mittelfristig CO2-neutral zu gestalten, kann überschüssige Wind- und Photovoltaik-Elektrizität genutzt werden, um möglichst durch Power to Liquid- bzw. Power to Gas-Verfahren emissionsarme Treibstoffe zu gewinnen.

Eine in diesem Sinn konsequent betriebene Klimapolitik wird zahlreiche positive Auswirkungen haben: Sie wird national helfen, Klimaschutz, Umweltschutz, Gesundheit und Gemeinwohl zu verbessern. Sie wird den wachsenden Generationenkonflikt mildern. Sie ist der richtige Schritt für eine gemeinsame europäische, nachhaltige Entwicklung, um im internationalen Verbund auch weltweite Veränderungen zu erreichen. Sie wird die Lebensqualität verbessern, indem sie weniger schädliche Formen von Mobilität und Produktion entwickelt. Und sie wird den Wohl-stand durch Innovationen sichern.

->Quelle: leopoldina.org/klimaziele-2030