„Deutliche Klimaschutzlücke“

Jahrestagung 2019 des ForschungsVerbunds Erneuerbare Energien

Die aktuelle Umsetzung der Energiewende zeigt eine deutliche Klimaschutzlücke, mit der Folge, dass der Handlungsdruck für die Entwicklung und den Aufbau eines klimaneutralen Energiesystems immer weiter steigt. Daher diskutiert der ForschungsVerbund Erneuerbare Energien (FVEE) im Rahmen seiner Jahrestagung 2019 „Energy Research for Future – Forschung für die Herausforderungen der Energiewende“ am 22. und 23.10.2019 darüber, wo aktuell die zentralen technologischen und sozio-ökonomischen Herausforderungen und Lösungsoptionen für eine treibhausgasneutrale Wirtschaft und Gesellschaft 2050 liegen. Leitplanke für alle Maßnahmen der Politik sollten die Klimaziele von Paris sein.

FVEE-Jahrestagung 2019, Eröffnung – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Wissenschaftler wollen zeigen, wie die Energieforschung zu einer deutlichen Erhöhung der Transformationsgeschwindigkeit beitragen kann, und welche Schritte notwendig sind, um neben der Stromversorgung auch die Sektoren Mobilität und Wärme-/Kälteversorgung für Gebäude und Industrie auf nachhaltige Technologien umzustellen. Die wissenschaftliche Leitung der Tagung haben Prof. Joachim Knebel vom KIT und Prof. Hans-Martin Henning vom Fraunhofer ISE.

Henning betonte in einem Eröffnungsstatement während einer Pressekonferenz, es komme sowohl auf die Geschwindigkeit als auch die Sozialverträglichkeit an. Er nannte „drei Stellschrauben:

  1. Elektrifizierung der bisher fossilen Sektoren, direkt oder indirekt
  2. Stromversorgung auf EE umstellen
  3. Effizienz

Solarenergie würden 2050 zwischen 20 und 80 TWh benötigt; die Schwankungsbreite habe mit dem Fortscheiten der Dekarbonisierung zu tun – heute seien wir erst bei 1,25 TWh (!). Die FVEE-Tagung soll auch Sektoren des Klimaschutzprogramms ansprechen, den notwendigen Wandel in den Sektoren:

  • Energieforschung
  • Systemstabilität
  • Versorgungssicherheit trotz volatiler Energien (Subsekunden- bis Jahresskala), durch Speicher, Wasserstoff, regionaler Ausgleich
  • Wie bekommen wir noch mehr PV in Umwelt und System integriert? Hier nannte Henning die vom ISE eben mit Vorrang betriebenen sogenannten Integrierten PV-Lösungen.
  • Verkehrswende: neue Antriebstechnologien, Verschränkung der Verkehrssektoren, Bettereizellen (Produktion) mit höherer Energiedichte und geringeren Kosten
  • Wärmesektor: richtiger Mix, energetische Sanierung, neue Heizsysteme (EE, neue Wärmepumpen)

Knebel legte Wert auf Akzeptanz (und Resonanz) der Energiewende, vor allem neuer EE-Anlagen, durch Bürger und Gesellschaft; die dürfe man nicht vor vollendete Tatsachen stellen, Schon bei der Ideenfindung sei die Gesellschaft einzubinden, das müsse schon beim Design neuer Wohnquartier bereits vor Baubeginn in kleinem Maßstab wissenschaftlich begleitet gschehen. Dabei müsse das „nicht vor meiner Tür“ entkräftet werden, denn „rgendwohin müssen wir Anlagen hinstellen, z.B. auch zur Erzeugung synthetischer Kraftstoffe für Straßen- Schiffs- und Luftverkehr“.

Prof. Harald Bolt vom FZ Jülich stellte die Frage, ob wir  möglichst vollständig in der Dekarbonisierung werden wollten. Die stärkere Verstromung des privaten Wärmebereichs und die Herausnahme von Industrieprozessen führe nämlich zur Frage der Importe von Energie (wie grüner Strom und grüner Wasserstoff) – in der Folge war dann auch kurz von Desertec die Rede. Desertec, seinerzeit zu Unrecht totgesagt, wäre nach wie vor eine Möglichkeit zum Import von grüner Energie (man braucht mehr als 100 TWh – und noch einmal doppelt so viel für Wasserstoff (für P2Liquid) – wie teuer das sei, sei nicht verherzusagen. Die Technik ist vorhanden – wenn man 95 Prozent Dekarboniserung will, würden 1000 TWh kaum ausreichen. Offen bleibt, wie viel Wasserstoff wir importieren müssten? Der VCI nehme an, dass in Deutschland mehr als 1.000 TWh gebraucht würden.

Nach dem Klimapaket der Bundesregierung gefragt, hob Henning zunächst dessen Vorzüge hervor: Es sei ein „Einstieg“, nicht mehr, ein „wichtiges Signal“, auch die Förderung der energetischen Sanierung stelle ein wichtiges Signal dar; dazu komme jetzt hoffentlich „ein beherzter Ausbau der Ladeinfrastruktur“; Wasserstoff sei mit prominenter Rolle am Start, CCU müsse planugsrechtlich beschleunigt werden. Der CO2-Preis sei als Einstieg wichtig, bringe aber keine wesentliche Veränderung, man erwarte kaum Lenkungswirkung – Henning wollte aber seinerseits keinen konkreten Preis nennen.

Henning verwies auf die ESYS-Studie für ein intergiertes Energiesystem hin, eine Untersuchung mit zehn konkreten Vorschlägen, was zu tun sei. Insgesamt gehe der  EE-Ausbau aber viel zu langsam. PV-Deckel (soll jetzt verschwinden), Wind-Abstandsregelung und Ausschreibungen seien nicht hilfreich.

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Aus der FVEE-Medienmitteilung

Heute werden die Entscheidungen für die Welt von morgen gemacht – Wir spüren heute schon die Auswirkungen der Klimaveränderung. Dabei wird der Zeitfaktor immer kritischer. Denn neue Technologien brauchen einen zeitlichen Vorlauf, um von der Forschung bis in die breite Anwendung zu gelangen. Gravierende Umsetzungsdefizite insbesondere in den Sektoren Mobilität und Wärme hängen auch mit langen Investitionszyklen zusammen: Konsumenten treffen die Entscheidungen für eine neue Heizung oder ein neues Auto nur in großen zeitlichen Abständen, so dass sich die verfügbaren nachhaltigen Technologien nur verzögert verbreiten und sichtbar werden.

Transformationshemmnisse überwinden – Das Klimapaket der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Um einen angemessenen Beitrag für die Klimaziele von Paris zu leisten, müssen die nationalen Ziele aber wesentlich ambitionierter gesteckt, deutlicher erklärt und zeitnäher umgesetzt werden. Außerdem sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Der ForschungsVerbund Erneuerbare Energien diskutiert auf seiner Jahrestagung, wo aktuell die zentralen technologischen und sozio-ökonomischen Herausforderungen liegen und was die Energieforschung beitragen kann, um die Transformationsgeschwindigkeit deutlich zu erhöhen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen auf der Tagung, welche Schritte notwendig sind, um neben der Stromversorgung auch die Sektoren Mobilität sowie Wärme-/Kälte-Versorgung für Gebäude und Industrie auf nachhaltige Technologien umzustellen.

Ambitioniertere Ausbaupfade für Sonne und Wind – Zentrale Bedeutung hat der Ausbau erneuerbarer Energien im Verbund mit einer erhöhten Energieeffizienz. Vorliegenden Szenarien zufolge ist ein jährlicher Zubau von mindestens 5 GW Photovoltaik und 4 bis 6 GW Windkraft an Land nötig, um das Ziel eines Anteils von 65 % erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 zu erreichen. Ein verlangsamter Ausbau der Windenergie an Land ließe sich auch mit einem verstärkten Ausbau von Photovoltaik und / oder Offshore-Windenergie nur sehr schwer kompensieren und würde später erheblich höhere Anstrengungen erfordern, um die Ziele der CO2-Reduktion zu erreichen.

Mobilitätswende endlich starten – Für eine erfolgreiche Mobilitätswende greift die aktuelle Fokussierung auf den Austausch der Antriebstechnologie zu kurz. Es sind zusätzliche Maßnahmen für Verkehrsvermeidung und -verlagerung notwendig. Der öffentliche Personennahverkehr muss attraktiver werden, ebenso die Bedingungen für Fuß- und Radverkehr. Für den Güter- und Luftverkehr müssen nachhaltige Lösungen erarbeitet werden, dafür sind mit regenerativer Energie erzeugte synthetische Kraftstoffe ein wichtiger Baustein.

Wärmewende beschleunigen – Ausschlaggebend für eine gelungene Wärmewende sind wirksame Anreizsysteme für die Umsetzung, damit die vorliegenden technischen Lösungen tatsächlich in Anwendung kommen und ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Ernst machen mit der Wärmewende bedeutet den Umstieg auf Heizungssysteme, die hohe Anteile erneuerbarer Energien nutzen. Gleichzeitig müssen die Raten der energetischen Sanierung deutlich erhöht werden, um den Energiebedarf zu senken. Es gilt, intelligente Versorgungskonzepte für Quartiere zu erarbeiten und umzusetzen, die auch die Mobilität mit einbeziehen. Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind als flexible Strom/Wärme- Systeme wichtige Bausteine der Wärmewende, müssen aber „grün“ weiterentwickelt werden, das heißt hin zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Brennstoffe.

Einstieg in die Sektorenkopplung – Die Sektorenkopplung ist ein Schlüsselbaustein für eine erfolgreiche Energiewende, da sie die Nutzung erneuerbaren Stroms in direkter oder indirekter Form auch für Wärmeversorgung und Mobilität ermöglicht.Für das Zusammenspiel der Sektoren braucht es umfassende Unterstützung auf allen Ebenen: technologisch, ökonomisch und regulatorisch. Außerdem müssen ganzheitliche, integrierte Konzepte umgesetzt werden. Das umfasst den Aufbau nationaler und globaler Produktionsstrukturen für Schlüsseltechnologien wie Elektrolyseure, die Weiterentwicklung von Sektorkopplungstechnologien wie PtX, Netzen und Speichern und weiterer Flexibilisierungsoptionen wie Demand Side Management.

CO2 bepreisen – Eine sektorenübergreifende CO2-Bepreisung in ausreichender Höhe ist ein adäquates und notwendiges Instrument: sie entfaltet bereits kurzfristig Lenkungswirkung und bietet langfristig Planungssicherheit. Außerdem muss das Energie- und Strommarktdesign so weiterentwickelt werden, dass es ausreichend Flexibilisierung anreizt und somit auch die Systemintegration hoher Anteile erneuerbarer Energien fördert.

Hebelwirkung einer Vorreiterrolle nutzen – Erfolgreiche Transformationsprozesse in Vorreiter-Ländern können erhebliche globale Multiplikationswirkungen auslösen. Deutschland kann und sollte aufgrund seiner ökonomischen und technologischen Stärke solch eine Vorreiterrolle übernehmen und Wissen zum verantwortungsbewussten Handeln schaffen. Damit würden wir nicht nur einen Klimaschutzbeitrag leisten, sondern auch eine Innovations- und Investitionsdynamik erzeugen, die gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur eine große Chance bietet, die deutsche Wirtschaft zukunftsfest aufzustellen und von den wachsenden Klimaschutzmärkten zu profitieren. Beispielsweise könnte Deutschland zeigen, wie der Ausstieg aus der Kohleverstromung bei Erhalt von Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit erfolgreich gestaltet werden kann. Die damit erzielbare Multiplikationswirkung ginge weit über den Zwei- Prozent-Anteil hinaus, den Deutschland gegenwärtig zu den globalen Treibhausgasemissionen beiträgt.

Techniken für eine klimafreundliche Industrie

Viele industrielle Prozesse beruhen heute noch auf fossilen Rohstoffen – nicht nur für die Energieversorgung, sondern auch als Ausgangsstoff für die Produktion. Die Erforschung alternativer Verfahren auf Basis erneuerbarer Energien und zur Verwertung von CO2 aus Abgasen oder aus der Atmosphäre steht noch ganz am Anfang. Hier sind Sprunginnovationen für eine Treibhausgas-neutrale energieintensive Industrie möglich, wie z.B. die Wasserstoff-Direktreduktion bei der Stahlerzeugung. Letztlich geht es um die umfassende Entwicklung einer klima- und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft.

Chancen der Digitalisierung nutzen – Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden zu Schlüsseltechnologien für das intelligente Management des zukünftigen Energiesystems und sollten genutzt werden, um die Transformationsprozesse zu unterstützen und zu beschleunigen.

Gesellschaftspolitische Umsetzung begleiten – Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende ist eine hohe Akzeptanz und Unterstützung durch die Bevölkerung. Partizipative Verfahren für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, beginnend im Quartier und auf der kommunalen Ebene, müssen weiter erforscht und erprobt werden. Zielkonflikte mit dem Naturschutz müssen gelöst werden. Hier können einerseits technische Lösungen helfen, andererseits können neue Verfahren des Austauschs und der Herstellung eines Interessenausgleichs Lösungsbeiträge liefern. Schließlich gilt es neben dem weiteren engagierten Ausbau der erneuerbaren Energien den notwendigen Ausstieg aus der Verstromung von Stein- und Braunkohle unter Berücksichtigung strukturpolitischer und sozialer Rahmenbedingungen durchzuführen und zu begleiten.

->Quellen: