Jahrhundertprozess gegen ExxonMobil eröffnet

Anklage der New Yorker Staatsanwaltschaft wegen Anlegerbetrugs

Ziemlich genau vor einem Jahr (am 24.10.2018) berichtete die New York Times unter der Überschrift „Exxon an ‚langjährigem betrügerischen Plan‘ beteiligt“ darüber, dass der Staat New York den Ölriesen wegen Täuschung von Aktionären über den Klimawandel verklage. Am 22.10.2019 wurde der Prozess eröffnet. Der Ölmulti hat – das ist inzwischen nachgewiesen –  seit 40 Jahren vom Zusammenhang zwischen seinem Geschäft und dem Klimawandel gewusst (siehe solarify.eu/2019/05/19/744-exxon-forscher-prophezeiten-vor-fast-40-jahren-praezise-temperaturanstieg). Das Wall Street Journal: „Exxon misled investors over climate change, court told“ (Gericht: Exxon täuschte Anleger über Klimawandel“).

Exxon Mobil-Kerosintanker – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Anklage unterstellt Exxon im Gegensatz zu vielen anderen allerdings Initiativen nicht, mitschuld an der Entstehung des Klimawandels zu sein, obwohl die Verbrennung von Öl und Benzin wesentlich zum menschengemachten Klimawandel beiträgt. Kevin Wallace, stellvertretender Chef des Investor Protection Bureau der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft, sagte am 22.10.2019, das Unternehmen habe vielmehr ein “langjähriges betrügerisches System” betrieben und zwei Buchhaltungen verwendet, um die wahren Kosten von Klimaschutzbestimmungen vor Investoren zu verbergen, und sie “über das Management der Risiken zu täuschen, die sich aus der Regulierung des Klimawandels für sein Geschäft ergeben”. Der Anwalt des Öl-Konzerns Theodore Wells nannte die Behauptungen falsch und politisch motiviert.

Die Eröffnungsplädoyers der Anwälte standen am Beginn der lang erwartete Gerichtsverhandlung. Die Generalstaatsanwalt wirft Exxon vor, Investoren um 1,6 Milliarden US-Dollar betrogen zu haben. Der Prozess wird vor dem Obersten Gerichtshof von Manhattan stattfinden und Insidern zufolge etwa drei Wochen dauern (nach anderen Darstellungen mehrere Jahre). Exxon hat jedenfalls nun 30 Tage Zeit, um auf die beim New York State Supreme Court eingereichte Klage zu reagieren. Das Unternehmen sagte NBC News in einer Erklärung, dass es „sich darauf freut, diese Klagen so schnell wie möglich abzulehnen und diese nutzlose Zivilklage abzuweisen“ (so insideclimatenews.org). Mit Spannung wird zudem erwartet, ob Richter Barry Ostrager Rex Tillerson, der als Exxon Chief Executive Officer und U.S. Außenminister diente, in den Zeugenstand rufen wird. Der Bundesstaat Massachusetts untersucht derweil separat, ob Exxon sein Wissen über die Rolle fossiler Brennstoffe beim Klimawandel verschwiegen hat.

Sowohl Massachusetts als auch New York hatten mit den Ermittlungen gegen Exxon begonnen, nachdem Medienberichte 2015 besagten, Wissenschaftler des Unternehmens hätten schon vor 40 Jahren festgestellt, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe reduziert werden müsse, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Inzwischen sehen sich weitere Ölgesellschaften wie etwa BP, Chevron und Royal Dutch Shell mit Klagen von Städten und Landkreisen in den Vereinigten Staaten konfrontiert, die Gelder für die Bezahlung von Kaimauern und anderer Infrastrukturen zum Schutz vor dem Anstieg des Meeresspiegels infolge des Klimawandels verlangen.

„Eine Untersuchung des Pulitzerpreis-Gewinners Inside Climate News zeigte bereits im Oktober 2015 (siehe: solarify.eu/exxon-wusste-schon-vor- fast-40-jahren-vom-klimawandel), dass die Ölgesellschaft die wissenschaftlichen Erkenntnisse sehr wohl verstanden hatte, bevor sie zu einem öffentlichen Thema wurden und schon lange Millionen für Desinformation ausgegeben hatte, schrieb Shannon Hall im Scientific American. Das Wissen des Unternehmens über den Klimawandel stammt den Recherchen zufolge aus dem Juli 1977. Demnach war sich Exxon bereits elf Jahre, bevor er zum Thema wurde, des Klimawandels bewusst. Trotz dieses Wissen weigerte das Unternehmen jahrzehntelang, den Klimawandel anzuerkennen und täuschte die Öffentlichkeit gezielt. Später finanzierte Exxon mit zig Millionen Dutzende von “Schein-Think Tanks”, die den Klimawandel leugneten“. Exxon soll zudem in großem Stil Einfluss auf die Forschung genommen haben, um zu vertuschen, in welchem Ausmaß das äußerst profitable Geschäftsmodell des Konzerns eine Belastung für das Klima darstellte.
Exxon bestreitet alles: “Verschwörung!”
Wenig verwunderlich: Die Texaner weisen die Vorwürfe zurück. „Diese Geschichten gehen fälschlicherweise davon aus, dass wir schon definitive Schlüsse zu den Risiken des Klimawandels gezogen hätten, als die Klimaforschung noch in der Frühentwicklung war“, erklärt Sprecher Alan Jeffers. #ExxonKnew sei eine von Gegnern des Konzerns finanzierte Verschwörung, die irreführende Artikel verbreite.

Der Rechtsstreit bedeutet ein finanzielles Risiko für Exxon und droht dem Ölmulti mit einem kräftigen Reputationskratzer – wo doch das Unternehmen angeblich so intensiv daran gearbeitet hat, die Sorgen um den Klimawandel zu verstehen. Er könnte auch weitere Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen. Allerdings hat Exxon Mobil laut eigenen Angaben im zweiten Quartal 2018 vier Mrd. Dollar verdient – hochgerechnet 16 Mrd. für 2018.

Die Untersuchung hat die Amtszeit von zwei New Yorker Generalstaatsanwälten umfasst und die anderer Staaten einbezogen. Exxon hat versucht, die Ermittlungen vor Gerichten in drei Bundesstaaten zu blockieren, und hat sie als Versuch von „Rüpeln“ bezeichnet, die First Amendment*)-Rechte des Unternehmens einzuschränken – und als Teil einer Verschwörung gegen die fossilen Brennstoffe, befördert unter anderem durch die Rockefeller-Familie.

Barbara D. Underwood, seit Mai 2018 New Yorker Generalstaatsanwältin, brachte die Klage vor einem Jahr unter dem Martin Act**) ein, einem Landesgesetz, das ihr weitreichende Befugnisse zur Untersuchung und Verfolgung von Wertpapierbetrug gibt. Die Klage verlangt, dass Exxon den Anlegern das gesamte durch den angeblichen Betrug verdiente Geld zurückerstattet. Die Ermittlungen wurden vor drei Jahren publik, etwa ein Jahr nachdem der ehemalige Generalstaatsanwalt Eric T. Schneiderman zu ermitteln begonnen hatte. Bald darauf kündigten andere Staatsanwälte ihre Unterstützung an; einige begannen eigene Ermittlungen.

Am 10.10.2016 berichtete Solarify unter dem Titel „New Yorker Generalstaatsanwalt ermittelt“: Investigative Untersuchungen in den USA haben ExxonMobil, den größten Ölkonzern der Welt, ins Zwielicht gebracht. Die Texaner sollen bereits vor Jahrzehnten Risiken des Klimawandels verschleiert haben. Der für seine harte Linie bekannte New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman ermittelt deshalb gegen Exxon. Der texanische Öl- und Gasriese dementiert: “Verschwörung!” Ex-Vize-Präsident Al Gore, 17 andere demokratischen Staatsanwälte und 13 Umweltorganisationen unterstützen Schneidermans Ermittlungsoffensive gegen Exxon – schreibt dpa- Korrespondent Hannes Breustedt. Gore und Schneiderman ständen an der Spitze einer Kampagne von Umweltaktivisten, die sich unter dem Hashtag #ExxonKnew und auf der gleichnamigen Internetseite formiert habe.

Exxon Mobil hat erst Mitte der 2000er Jahre millionenschwere Förderungen für Wissenschaftler, Pseudo-Think-Tanks und teils selbst gegründete zweifelhafte Klimaleugungs-Institute gestoppt. Heute akzeptiert der Ölmulti angeblich den Klimawandel und den daraus resultierenden Handlungsbedarf, um seine schlimmsten Auswirkungen abzuschwächen. So unterstützte das Unternehmen den Pariser Klimavertrag COP21 und lehnte – etwas spät – die Entscheidung von Präsident Trump ab, sich aus dem Abkommen zurückzuziehen.

*) Der erste Verfassungszusatz garantiert die freie Religionsausübung, die Rede- und Pressefreiheit sowie das Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln und, schließlich das Petitionsrecht.

**) Der Martin Act (New York General Business Law Artikel 23-A, Abschnitte 352-353) ist ein New Yorker Betrugsbekämpfungsgesetz, das weithin als schwerstes Blue-Sky-Gesetz des Landes angesehen wird (Ein Blue-Sky-Gesetz ist ein Landesgesetz, welches das Anbieten und Verkaufen von Wertpapieren regelt, mit dem Ziel, die Öffentlichkeit vor Betrug zu schützen. Obwohl die spezifischen Bestimmungen dieser Gesetze von Staat zu Staat unterschiedlich sind, erfordern sie alle die Registrierung aller Wertpapierangebote und -verkäufe sowie von Börsenmaklern und Maklerfirmen. Das Blue-Sky-Gesetz jedes Staates wird von seiner zuständigen Regulierungsbehörde verwaltet und bietet meist auch private Klagegründe für private Anleger, die durch Wertpapierbetrug verletzt wurden.). 1921 verabschiedet, gewährt der Martin Act der Generalstaatsanwältin von New York weitreichende Befugnisse, Ermittlungen wegen Wertpapierbetrugs durchzuführen und zivil- oder strafrechtliche Maßnahmen gegen mutmaßliche Gesetzesübertreter einzuleiten.

->Quellen und mehr: