„Eine Frage des Überlebens für den ganzen Kontinent“

Unter deutscher Präsidentschaft: Afrika- und Chinagipfel

Deutschland will während seiner Präsidentschaft seinen Beitrag dazu vor allem durch zwei Dinge leisten, die ich hier nennen möchte. Das ist einmal ein Gipfel mit den afrikanischen Staaten, den wir in Brüssel abhalten werden und auf dem wir vor allen Dingen auf Afrikas Agenda eingehen werden. Ich bin sehr froh, dass wir nicht mehr nur etwas für Afrika tun, sondern dass wir zunehmend etwas mit Afrika tun. Afrika hat sich eine Entwicklungsagenda gegeben. Afrika hat im vergangenen Sommer eine Freihandelszone gegründet. Im Übrigen hat der Kongress der Afrikanischen Union in Niamey, der Hauptstadt von Niger, stattgefunden, das das ärmste Land der Welt ist. Man hat sich entschieden, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu entwickeln. Das wird sicherlich noch eine Weile dauern, aber das ist eine mutige Entscheidung.

Wir sollten auf die Vorstellungen der Afrikaner eingehen, die sie für ihren Kontinent haben, und ihnen dabei helfen. Aber wir sollten nicht immer wieder unsere Vorstellungen von ihrer Entwicklung einbringen. Wir sollten endlich verstehen, dass das Miteinander mit Afrika nicht nur eine karitative Herangehensweise ist, sondern dass das etwas sein kann, das uns gegenseitig bereichert.

In Deutschland beträgt das Durchschnittsalter der Bevölkerung rund 45 Jahre, in Niger und Mali beträgt das Durchschnittsalter 15 bis 16 Jahre. Was bedeutet das, wenn es so einen großen Teil von Menschen gibt, die auf die Zukunft konzentriert sind? Wir in Deutschland haben uns daran gewöhnt, dass alles langsam gehen kann und immer noch ausreichend Zeit ist. In anderen Ländern bekommt man ein bisschen mehr Druck. Deshalb sage ich: Die Europäer können nur gewinnen, wenn sie sich etwas mehr mit Afrika und mit der Kreativität, der Motivation und der Freude am Leben dort unter viel schwierigeren Bedingungen befassen.

Wir werden als Zweites etwas machen, das sicherlich keine ganz einfache Sache ist. Die Europäische Union verfolgt bislang keine einheitliche China-Politik. Jeder hat China über die Jahre als einen interessanten Handelspartner angesehen. Mittel- und osteuropäische Staaten haben sich irgendwann zusammengeschlossen und haben gesagt: Frankreich, Deutschland, die Großen treffen sich permanent mit China und machen ihre großen Geschäfte; jetzt wollen wir uns auch einmal zusammenschließen und uns auch permanent mit China treffen.

Wir wollen zum allerersten Mal einen EU-China-Gipfel mit allen 27 Mitgliedstaaten ab-halten, der im September in Leipzig in Deutschland stattfinden wird. Dort wollen wir uns mit drei Themen beschäftigen. Wir arbeiten seit 2013 an einem Investitionsschutz-abkommen. Ich kann nur hoffen, dass es uns gelingt, 2020 damit fertig zu werden. Es ist aber nicht sicher, ob wir das schaffen. Das setzt natürlich Flexibilität auf beiden Seiten voraus. Wir werden darüber sprechen, wie wir den Klimaschutz gemeinsam angehen können. Das ist eine Riesenchance für uns, weil China auch ein Emissionshandelssystem einführt, also marktwirtschaftliche Mechanismen. Wenn wir das europäische Emissionshandelssystem mit dem chinesischen verknüpfen könnten, hätten wir ein Riesenstück der Welt abgedeckt und könnten damit auch Vorbild sein.

Wir wollen uns auch mit Drittstaatenbeziehungen beschäftigen. Dabei geht es auch zum Beispiel wieder um Afrika, weil China in Afrika sehr aktiv ist. Wir wollen aktiver sein und hoffen, dass wir dort vielleicht auch gemeinsame Maßstäbe finden, mit denen wir dann den betreffenden Ländern helfen, sich selbst zu entwickeln.

Digitalagenda

Wir werden uns natürlich auch mit vielen innereuropäischen Fragen befassen. Wir haben eine Digitalagenda. Ich habe gerade bei meiner Diskussion über die Biotechnologie im Zusammenhang mit der Digitalisierung wieder das gehört, was wir immer zu hören bekommen: Europa ist gut, was gerade auch den Umgang mit Daten anbelangt; aber Europa ist viel zu langsam. Diese Langsamkeit müssen wir überwinden, denn sonst werden wir kein geopolitischer Faktor werden; das wissen wir. Aber das ist mit 27 Mitgliedstaaten nicht ganz einfach, wenn es in jedem Land ein Parlament gibt, das ihm Aufgaben mit auf die Reise nach Brüssel gibt. Aber wir haben im Grunde keine Alternative – und deshalb wollen wir uns dabei einbringen.

Wir werden uns als Europäer – Deutschland ist ganz vorne mit dabei – natürlich für Multilateralismus und für multilaterale Organisationen einsetzen. Jeder kann zwar mit jedem Handelsabkommen abschließen; und das tut die Europäische Union auch. Hoffentlich gelingt uns das auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber insgesamt sehe ich die effizienteste Art und Weise, Wohlstand für die Welt zu erzeugen, immer noch in funktionierenden multilateralen Organisationen. Dazu gehört zum Beispiel die Welthandelsorganisation. Diese muss reformiert werden – da stimme ich dem amerikanischen Präsidenten zu –, aber sie muss wieder funktionsfähig gemacht werden. Dass wir im Augenblick keine tagenden Schiedsgerichte haben, ist im Grunde ein Ausdruck des Nichtfunktionierens.

Deshalb schließe ich mit dem Motto, das Sie hier in diesen Tagen bewegt: „Stakeholders for a Cohesive and Sustainable World.“ Das sind wir alle. Das sind auch Staaten, das ist die Politik. Wir versuchen, diesen Auftrag ernst zu nehmen. Ich glaube, wir haben Chancen. Aber wir dürfen uns vor lauter Problemen nicht immer weiter jeweils auf uns selbst zurückziehen. Das wäre 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die völlig falsche Lehre. Nun weiß ich, dass allein das Wiederholen der immer gleichen Botschaften noch keine Überzeugungskraft verleiht. Aber es ist aus meiner Sicht eine lohnende Sache, sich dafür einzusetzen, auch wenn es manchmal schwierig ist. Ich weiß, dass unter Ihnen viele sind, die für das gleiche Ziel arbeiten. Herzlichen Dank, dass ich Ihnen meine Gedanken darlegen durfte.

->Quelle: bundesregierung.de/bkin-weltwirtschaftsforum-data.pdf