IEA: Ausbau der Erneuerbaren dringend forcieren

Internationale Energieagentur veröffentlicht Energy Technology Perspectives 2020

Noch vor wenigen Jahren hätte das niemand für möglich gehalten. Die IEA fordert in ihren am 10.09.2020 veröffentlichten 400 Seiten starken Energy Technology Perspectives 2020 (ETP 2020) den schnellen und konsequenten Ausbau sauberer Energietechnologien, wenn die Energie- und Klimaziele erreicht werden sollen. Doch die Sache hat einen Haken: Was sind „saubere Energietechnologien“?

Zunächst wird zutreffend konstatiert: Die Umgestaltung des Energiesektors allein werde der Welt nur ein Drittel des Weges zur Netto-Null-Emission ermöglichen, heißt es in dem Bericht, in dem die Notwendigkeit größerer Anstrengungen in anderen Schlüsselsektoren hervorgehoben wird. Vor allem müssten die CO2-Emissionen von Verkehr, Gebäude und Industrie reduziert werden. Auf diese Bereiche entfielen rund 55 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. „Hier wäre eine zügige Elektrifizierung der richtige Weg“, so die IEA.

Der Haken: IEA-Definition sauberer Energietechnologien schließt Atomenergie ein
Saubere Energietechnologie umfasst jene Technologien, die zu minimalen oder null CO2-Emissionen von und Schadstoffen führen. Für die Zwecke dieses Berichts bezieht sich saubere Energietechnologie auf kohlenstoffarme Technologien, die nicht mit der Produktion oder Umwandlung fossiler Brennstoffe – Kohle, Öl und Erdgas – verbunden sind, es sei denn, sie gehen mit der Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid und anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung einher. Die Internationale Energieagentur (IEA) definiert kohlenstoffarme Energietechnologien wie folgt: erneuerbare Energiequellen, Kernenergie; Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS); Wasserstoff aus kohlenstoffarmen Energiequellen; Technologien, die die Effizienz der Energieumwandlung verbessern (z.B. Umstellung von Glühlampen- auf LED-Beleuchtung); andere nichtfossile Energie- und Speicheroptionen; und Querschnittstechnologien, die zu minimalen CO2-Emissionen und minimaler Umweltverschmutzung führen. Saubere Energiequellen gewinnen immer mehr an Bedeutung, aber sie machen immer noch nur etwa ein Fünftel der weltweiten Energieversorgung aus. Mit anderen Worten: Das Energiesystem in seinem gegenwärtigen Zustand ist nicht nachhaltig.“

Aber auch strukturelle Änderungen am Energiesystem seien erforderlich, um angesichts der unannehmbar hohen globalen Kohlenstoffemissionen die Emissionen rasch und dauerhaft zu verringern. Der Bericht untersucht, wie die Herausforderung langlebiger Energieanlagen, die weltweit betrieben werden, angegangen werden kann – einschließlich ineffizienter Kohlekraftwerke, Stahlschmieden und Zementfabriken. Die IEA unterstreicht dabei die Notwendigkeit von CO2-Reduktionstechnologien wie CCS und CCU.

Es ist von entscheidender Bedeutung sicherzustellen, dass neue saubere Energietechnologien rechtzeitig für wichtige Investitionsentscheidungen verfügbar sind. In der Schwerindustrie könnten beispielsweise strategisch zeitgesteuerte Investitionen dazu beitragen, rund 40 Prozent der kumulierten Emissionen aus der vorhandenen Infrastruktur in diesen Sektoren zu vermeiden.

Laut IEA wird die Wasserstofftechnologie künftig eine zentrale Rolle spielen. Im Szenario für nachhaltige Entwicklung wird die weltweite Kapazität von Elektrolyseuren von heute 0,2 Gigawatt auf 3.300 Gigawatt im Jahr 2070 erweitert. Damit würden diese dann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts doppelt so viel Strom verbrauchen wie die gesamte chinesische Volkswirtschaft heute.

Im Wortlaut: Die Zusammenfassung

Um unsere Energie- und Klimaziele zu erreichen, braucht es einen dramatischen Ausbau sauberer Energietechnologien

Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden, muss das globale Energiesystem seine Emissionen rasch reduzieren. Der Ruf nach einer Verringerung der  Treibhausgasemissionen wird von Jahr zu Jahr lauter, aber der Ausstoß bleibt auf unhaltbar hohem Niveau. Die internationalen Klimaziele verlangen, dass die Emissionen so bald wie möglich ihren Höchststand erreichen und dann rasch zurückgehen, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts den Netto-Nullpunkt zu erreichen. Der weitaus größte Teil der weltweiten CO2-Emissionen stammt aus dem Energiesektor, was die Notwendigkeit eines saubereren Energiesystems deutlich macht. Die globalen CO2-Emissionen werden aufgrund der Covid-19-Krise zwar 2020 sinken, aber dieser Rückgang wird ohne strukturelle Veränderungen im Energiesystem nur vorübergehend sein.

Um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, muss die Art und Weise, wie wir uns mit Energie versorgen, wie wir sie umwandeln und nutzen, radikal verändert werden. Das rasche Wachstum von Wind-, Solar- und Elektroautos hat das Potenzial neuer sauberer Energietechnologien zur Senkung der Emissionen aufgezeigt. Netto-Null-Emissionen erfordern den Einsatz dieser Technologien in weit größerem Maßstab zusammen mit der Entwicklung und massiven Einführung vieler anderer sauberer Energielösungen, die sich derzeit noch in frühen Entwicklungsstadien befinden, wie z.B. zahlreiche Anwendungen von Wasserstoff und Kohlenstoffabscheidung. Das Szenario für nachhaltige Entwicklung der IEA – ein Fahrplan zur Erreichung der internationalen Klima- und Energieziele – bringt das globale Energiesystem bis 2070 auf Netto-Null-Emissionen, wobei Aspekte der Verhaltensänderung neben einem tiefgreifenden Wandel in der Technologie und Infrastruktur des Energiesystems einbezogen werden.

Dieser Bericht analysiert über 800 Technologieoptionen, um zu untersuchen, was geschehen müsste, damit die Welt bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht. Der Bericht konzentriert sich in erster Linie auf das Szenario der nachhaltigen Entwicklung, enthält aber auch einen ergänzenden Fall „Schnellere Innovation“, in dem die technologischen Auswirkungen der Erreichung von Netto-Null-Emissionen bis 2050 weltweit untersucht werden. Die Analyse versucht, die mit einem raschen Übergang zu sauberer Energie verbundenen Herausforderungen und Chancen zu bewerten. Der Bericht deckt alle Bereiche des Energiesystems ab, von der Brennstoffumwandlung über die Energieerzeugung bis hin zur Luftfahrt und Stahlproduktion.

Eine Transformation des Energiesektors allein würde der Welt nur ein Drittel des Weges zu Netto-Null-Emissionen bringen.

Viele Regierungen haben ehrgeizige Pläne zur Reduzierung der Emissionen aus dem Energiesektor. Einige Regierungen haben sogar Netto-Null-Ambitionen in Gesetze oder Gesetzesvorschläge umgesetzt, während andere ihre eigenen Netto-Null-Strategien diskutieren. Viele Unternehmen haben auch kohlenstoffneutrale Ziele angekündigt. Der Erfolg der Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien gibt Regierungen und Unternehmen Anlass zu einem gewissen Optimismus. Doch um diese Ziele zu erreichen, muss den Sektoren Verkehr, Industrie und Gebäude, die heute für mehr als 55% der CO2-Emissionen aus dem Energiesystem verantwortlich sind, weitaus mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Die Verbreitung der Nutzung von Elektrizität in mehr Teilen der Wirtschaft ist der größte Einzelfaktor, der zum Erreichen von Netto-Null-Emissionen beiträgt. Im Szenario der nachhaltigen Entwicklung hat sich die Endnachfrage nach Elektrizität mehr als verdoppelt. Dieses Wachstum wird durch die Nutzung von Elektrizität für den Antrieb von Autos, Bussen und Lastwagen, für die Produktion von recycelten Metallen und die Bereitstellung von Wärme für die Industrie sowie für die Bereitstellung der Energie, die zum Heizen, Kochen und für andere Geräte in Gebäuden benötigt wird, vorangetrieben.

2050 ein Netto-Null-Emissionsniveau zu erreichen, würde eine viel schnellere Einführung einer kohlenstoffarmen Stromerzeugung erfordern. Im „Faster Innovation Case“ wäre die Stromerzeugung 2050 etwa 2,5-mal so hoch wie heute, was eine Wachstumsrate erfordern würde, die dem Zuwachs des gesamten US-Energiesektors alle drei Jahre entspricht. Der jährliche Zuwachs an erneuerbarer Stromkapazität müsste dagegen im Durchschnitt etwa viermal so hoch sein wie der derzeitige Rekord, der 2019 erreicht wurde.

Elektrizität kann nicht allein ganze Volkswirtschaften dekarbonisieren

Wasserstoff erweitert die Reichweite von Elektrizität. Zusätzlich zu der steigenden Nachfrage nach Elektrizität aus verschiedenen Teilen der Wirtschaft ist eine große Menge an zusätzlicher Erzeugung von kohlenstoffarmem Wasserstoff erforderlich. Die globale Kapazität der Elektrolyseure, die Wasserstoff aus Wasser und Elektrizität erzeugen, steigt im Szenario der nachhaltigen Entwicklung von heute 0,2 GW auf 3.300 GW. Um den kohlenstoffarmen Wasserstoff zu erzeugen, der erforderlich ist, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, würden diese Elektrolyseure die doppelte Menge an Elektrizität verbrauchen, welche die Volksrepublik China heute erzeugt. Dieser Wasserstoff bildet eine Brücke zwischen dem Energiesektor und Industrien, in denen die direkte Nutzung von Elektrizität eine Herausforderung darstellen würde, wie z.B. bei der Herstellung von Stahl aus Eisenerz oder bei der Betankung großer Schiffe.

Die Kohlenstoffabscheidung und Bioenergie spielen vielfältige Rollen. Die Abscheidung von CO2-Emissionen, um sie nachhaltig zu nutzen oder zu speichern (bekannt als CCUS) ist eine entscheidende Technologie. Im Szenario der nachhaltigen Entwicklung wird CCUS bei der Herstellung synthetischer kohlenstoffarmer Kraftstoffe und zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre eingesetzt. Sie ist auch entscheidend für die Herstellung eines Teils des kohlenstoffarmen Wasserstoffs, der benötigt wird, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, vor allem in Regionen mit kostengünstigen Erdgasressourcen und verfügbaren CO2-Speichern. Gleichzeitig ist der Einsatz moderner Bioenergieträger auf dem heutigen Niveau erforderlich. Er wird verwendet, um fossile Brennstoffe direkt zu ersetzen (z.B. Biokraftstoffe für den Verkehr) oder um Emissionen indirekt durch seine kombinierte Verwendung mit CCUS auszugleichen.

Die Sicherheit des heutigen globalen Energiesystems wird zu einem großen Teil durch ausgereifte globale Märkte für die drei wichtigsten Brennstoffe – Kohle, Öl und Erdgas – untermauert, die zusammen etwa 70% des weltweiten Endenergiebedarfs decken. Elektrizität, Wasserstoff, synthetische Brennstoffe und Bioenergie haben im Szenario der nachhaltigen Entwicklung einen ähnlichen Anteil an der Nachfrage wie die fossilen Brennstoffe heute.

Die sauberen Energietechnologien, die wir morgen brauchen werden, hängen von der Innovation von heute

Ein schnellerer Fortschritt in Richtung Netto-Null-Emissionen wird von schnelleren Innovationen in den Bereichen Elektrifizierung, Wasserstoff, Bioenergie und CCUS abhängen. Etwas mehr als ein Drittel der kumulativen Emissionsreduktionen im Szenario der nachhaltigen Entwicklung stammen von Technologien, die heute nicht kommerziell verfügbar sind. Im Fall der schnelleren Innovation steigt dieser Anteil auf die Hälfte. Fünfunddreißig Prozent der zusätzlichen Dekarbonisierungsbemühungen im Faster Innovation Case stammen aus der verstärkten Elektrifizierung, wobei etwa 25 % auf CCUS, etwa 20 % auf Bioenergie und etwa 5 % auf Wasserstoff entfallen.

Im Fernverkehr und in der Schwerindustrie sind die am härtesten zu reduzierenden Emissionen zu verzeichnen. Energieeffizienz, Materialeffizienz und vermiedene Transportnachfrage (z.B. Ersetzen des Individualverkehrs mit dem Auto durch zu Fuß gehen oder Radfahren) spielen alle eine wichtige Rolle bei der Verringerung der Emissionen im Fernverkehr und in der Schwerindustrie. Aber fast 60% der kumulativen Emissionsreduktionen für diese Sektoren im Szenario der nachhaltigen Entwicklung stammen von Technologien, die sich heute erst im Demonstrations- und Prototypenstadium befinden. Wasserstoff und CCUS sind für etwa die Hälfte der kumulativen Emissionsreduktionen in den Sektoren Stahl, Zement und Chemie verantwortlich. Im LKW-, Schiffs- und Luftfahrtsektor liegt der Einsatz alternativer Kraftstoffe – Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe und Biokraftstoffe – zwischen 55% und 80%. Der starke Wettbewerb auf den globalen Märkten, die lange Lebensdauer der vorhandenen Anlagen und die rasch steigende Nachfrage in bestimmten Bereichen erschweren die Bemühungen um eine Verringerung der Emissionen in diesen schwierigen Sektoren zusätzlich. Glücklicherweise sind die technischen Fähigkeiten und Kenntnisse, die diese Sektoren heute besitzen, ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für die Kommerzialisierung der Technologien, die zur Bewältigung dieser Herausforderungen erforderlich sind.

Emissionen aus bestehenden Anlagen sind eine zentrale Herausforderung

Die Energiewirtschaft und die Schwerindustrie sind heute zusammen für etwa 60% der Emissionen der bestehenden Energieinfrastruktur verantwortlich, die bis 2050 auf fast 100% ansteigen werden, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Die Erreichung von Netto-Null wird davon abhängen, wie wir mit den Emissionen umgehen, die durch die langlebigen Anlagen dieser Sektoren verursacht werden, von denen viele erst kürzlich in asiatischen Volkswirtschaften gebaut wurden und noch jahrzehntelang betrieben werden könnten. Die Situation unterstreicht den Bedarf an Wasserstoff- und CCUS-Technologien. Es wird von entscheidender Bedeutung sein sicherzustellen, dass neue saubere Energietechnologien rechtzeitig für wichtige Investitionsentscheidungen zur Verfügung stehen. In der Schwerindustrie zum Beispiel könnten strategisch getimte Investitionen dazu beitragen, dass rund 40% der kumulativen Emissionen der bestehenden Infrastruktur in diesen Sektoren zu vermeiden.

Die Regierungen werden die entscheidende Rolle spielen müssen

Zwar sind Märkte für die Mobilisierung von Kapital und die Katalyse von Innovationen von entscheidender Bedeutung, doch werden sie allein keine Netto-Null-Emissionen liefern. Langfristige Visionen müssen durch detaillierte Strategien für saubere Energie untermauert werden, die Maßnahmen umfassen, die auf die lokalen Infrastruktur- und Technologiebedürfnisse zugeschnitten sind. Wirksame politische Instrumentarien müssen fünf Kernbereiche abdecken:

  1. Bekämpfung von Emissionen aus bestehenden Anlagen
  2. Stärkung der Märkte für Technologien in einer frühen Phase der Einführung
  3. Entwicklung und Modernisierung der Infrastruktur, die den Technologieeinsatz ermöglicht
  4. Verstärkte Unterstützung für Forschung, Entwicklung und Demonstration
  5. Ausweitung der internationalen Technologie-Zusammenarbeit

Die Konjunkturmaßnahmen als Reaktion auf die Covid-19-Krise bieten eine wichtige Gelegenheit, dringende Maßnahmen zu ergreifen, welche die Wirtschaft ankurbeln und gleichzeitig saubere Energie- und Klimaziele unterstützen könnten, auch in den fünf oben genannten Bereichen.

Quellen: