EU-Kommission versagt bei Prüfung von Gasvorhaben

EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly bestätigt Klimaversagen: Subventionierte fossile Gasprojekte ohne wirkliche Klimafolgenanalyse

In einer am 19.11.2020 von Food&Water Action Europe in Brüssel veröffentlichten „endgültigen Entscheidung“ bestätigte Emily O’Reilly, Bürgerbeauftragte der EU, dass die EU-Kommission seit 2013 keine angemessenen Klima- und Nachhaltigkeitsbewertungen für die fossilen Gasvorhaben auf der Liste der Projekte von gemeinsamem Interesse (PCI) durchgeführt hat. Die EU-Ombudsfrau hatte nach einer Beschwerde von Andy Gheorghiu, Politikberater von Food & Water Europe, einer Umwelt-NGO mit Sitz in Brüssel, ein Verfahren eingeleitet.

Erdgas-Projekte erhalten ohne Prüfung auf Klimawirkungen vereinfachten Zugang zu Fördermitteln und können beschleunigt umgesetzt werden

Der Klimawandel wartet nicht – Erdgasreklame in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Ursprünglich ignorierte die EU-Kommission jegliche Klimaauswirkungen von PCI-Projekten – so eine Medienmitteilung von Food&Water Europe – und 2019 wurde der Europäische Verbund der Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSOG) beauftragt, eine Nachhaltigkeitsbewertung in die seit 2013 durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse aufzunehmen. „Leider basierte der von ENTSOG vorgeschlagene Ansatz auf der Annahme, dass alle Gasprojekte automatisch nur positive Vorteile im Hinblick auf die CO2-Minderung aufweisen würden, wobei fälschlicherweise behauptet wurde, eine Verlagerung von Kohle auf Gas sei gut für das Klima, während negative Auswirkungen wie ein Anstieg der Treibhausgasemissionen ignoriert wurden“.

Im Februar eröffnete die EU-Ombudsfrau eine offizielle Untersuchung über das Versäumnis der Europäischen Kommission, die Klimaauswirkungen subventionierter Projekte auf der PCI-Liste zu berücksichtigen, von denen einige in direktem Zusammenhang mit importiertem Fracking-Gas aus den Vereinigten Staaten stehen (siehe: solarify.eu/eu-buergerbeauftragte-untersucht-gas-politik-der-kommission). Die Untersuchung war das Ergebnis einer offiziellen Beschwerde, die am 29.10.2020 von Andy Gheorghiu, Food & Water Europe, bei der Ombudsfrau eingereicht worden war.

Trotz des zunehmenden Drucks auf die Europäische Kommission, zusätzliche Infrastruktur für fossile Brennstoffe zu vermeiden, verabschiedete diese den sogenannten delegierten Rechtsakt, der die vierte Liste von PCI-Projekten festlegte – und ignorierte dabei die „überwältigenden wissenschaftlichen Belege negativer Klimaauswirkungen von fossilem Gas“, stattdessen habe sie sich auf die fehlerhafte Analyse von ENTSOG verlassen, um den Bau weiterer Infrastruktur für fossile Brennstoffe zu rechtfertigen.

EU-Ombudsfrau mahnt Prüfung künftiger Projekte an und fordert Kommission zur Nachbesserung der Rechtsgrundlage in der TEN-E Verordnung auf

Mit der Entscheidung bestätigte die EU-Bürgerbeauftragte die Kernpunkte der Beschwerde und stellte fest, dass „die Nachhaltigkeit von Gasprojekten, die auf der vierten PCI-Liste (und früheren Listen) aufgeführt waren, nicht ausreichend geprüft wurde“, und dass „die Bürgerbeauftragte es bedauerlich findet, dass die Kommission nicht zu einem früheren Zeitpunkt versucht hat, die verfügbaren Daten und die angewandten Analysemethoden zu verbessern, so dass eine Einstufung der Kandidaten für Gas-PCIs auf der Grundlage ihrer Nachhaltigkeit möglich gewesen wäre“.

In ihrer Bewertung stellte die Ombudsfrau auch fest, dass die Ziele der EU in Bezug auf Klimaziele und Nachhaltigkeit mit dem zunehmenden Bewusstsein für die sich beschleunigende Klimakrise an Dringlichkeit gewonnen hätten, und kam zu dem Schluss: „Da die Kommission daran arbeitet, die Methodik und die Datenerfassung zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gas-Projekten, die für die PCI-Liste in Frage kommen, zu verbessern, ist die Europäische Bürgerbeauftragte der Ansicht, dass zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Untersuchungen gerechtfertigt sind“. (Siehe: solarify.eu/geschaeftsinteressen-vor-gemeinwohl-und-klimaschutz)

Der 5. PCI-Prozess begann bereits am 17.11.2020 mit einem Treffen von überregionalen TEN-E-Gruppen (Trans-European Networks for Energy) zu den Themenbereichen Elektrizität, Gas, intelligente Netze und CO2 – mit der ENTSOG erneut im Mittelpunkt. Die endgültige Abstimmung des EU-Parlaments über die nächste PCI-Liste wird für Ende 2021 erwartet.

Als Antwort auf diese Entscheidung stellt der Beschwerdeführer Andy Gheorghiu fest: „Die Ombudsfrau bestätigt eindeutig das Fehlen entscheidender Klima-Bewertungen von hoch subventionierten fossilen Brennstoff-Projekten für alle bisherigen PCI-Listen. Die Kommission muss den Worten Taten folgen lassen und bei der nächsten Liste wirklich eine echte Klima-Analyse liefern. Leider plant die Kommission immer noch, mit der ENTSOG zusammenzuarbeiten, deren voreingenommene Bewertung den Kern des Problems ausmacht. Ein strengerer und unabhängiger Nachhaltigkeitstest ist für zukünftige PCIs notwendig“.

DUH und Food and Water Action Europe fordern Sreichung fossile Projekten von der PCI-Liste sowie sofortige Aussetzung öffentlicher Fördermittel

Die EU-Ombudsfrau bekräftigte, dass für künftige Projekte Prüfungen nicht mehr unterlassen werden dürften. DUH und Food and Water Action fordern daher von der EU-Kommission, dass fossile Projekte aufgrund ihrer negativen Klimawirkung künftig nicht mehr in die PCI-Liste aufgenommen werden. Solche Prüfungen auf die Klimawirkung sind in der europäischen Rechtsgrundlage, der Verordnung für Transeuropäische Energienetzwerke, eigentlich vorgesehen. Dazu Andy Gheorghiu, Campaigner und Berater von Food and Water Action Europe: „Die Kommission hat bei der Erstellung der PCI-Liste versagt. Obwohl die Prüfung der Klimaverträglichkeit in der Rechtsgrundlage gefordert ist, hat sie die Erdgas-Projekte ohne weitere Untersuchung einfach durchgewinkt. Das bestätigt O’Reillys Prüfung. Das Ergebnis ist eine Liste mit fossilen Projekten, die nun bei Planung und Finanzierung bevorzugt behandelt werden – obwohl sie den Klimazielen der Kommission offensichtlich widersprechen.“

Die EU-Kommission hat im Zuge des „Green Deals“ bereits eine Revision der TEN-E-Verordnung angekündigt. Die EU-Ombudsfrau mahnte an, im Zuge der Revision auch die Vorgaben für eine Prüfung der Klimawirkung zu stärken. Ursprünglich war ein erster Entwurf der überarbeiteten Verordnung für Ende 2020 geplant. Dieser Zeitplan scheint sich nun zu verzögern, die EU-Ombudsfrau rechnet mit einer Vorlage erst im letzten Quartal 2021.

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH: „Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verspricht neue Klimaziele und sogar Klimaneutralität bis 2050. Diesen Ankündigungen muss sie endlich Taten folgen lassen: Fossile Projekte dürfen keinerlei Privilegien mehr erhalten. Die TEN-E-Verordnung muss stattdessen so überarbeitet werden, dass damit ausschließlich der Ausbau erneuerbarer Energien und der dafür benötigten Infrastruktur vorangebracht wird. Fossile Projekte müssen von öffentlicher Förderung gänzlich ausgeschlossen werden. Das darf die Kommission nicht weiter verzögern – stattdessen muss sie möglichst schnell einen Entwurf für die neue TEN-E Verordnung vorlegen.“

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