Warum weiter über Kohleausstieg gestritten wird

Nach BVerfG-Urteil trotz Kohlekommission umstrittener „Kompromiss“

Können Expertenkommissionen bei umstrittenen Entscheidungen zu demokratisch legitimierten Lösungen beitragen? Dies hat ein Team des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) am Beispiel der „Kohlekommission“ mit einem neuen Kriteriensystem analysiert. Die Autoren heben positiv hervor, dass die Kommission zwar zu einem Kompromiss geführt habe – andererseits kritisieren sie jedoch, dass die Gemeinwohlorientierung wegen der hohen Kosten bei geringen klimapolitischen Ambitionen umstritten ist und keine Bürgerbeteiligung stattfand. Das Team liefert zudem Hinweise für das Gelingen künftiger Kommissionen.

Alter Förderturm der Zeche Zollverein – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 29.04.2021 das Klimaschutzgesetz zum Teil für verfassungswidrig. Damit steht nun auch der Kohlekompromiss auf dem Prüfstand. Denn dieses Urteil zwingt die Regierung dazu, ihre Klimaziele nachzubessern, um Maßnahmen nicht in die Zukunft und auf nachfolgende Generationen zu verlagern.

Im Vorfeld der Entscheidungsfindung zum Kohleausstieg gab es heftige Debatten. Da viele die Sorge umtrieb, das Ende der Kohle würden zulasten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kohleregionen gehen, die Lebensqualität mindern und den sozialen Zusammenhalt gefährden, wurde am 6. Juni 2018 die Kommission von der Bundesregierung eingesetzt. „Die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung – kurz ‚Kohlekommission‘ – war die wichtigste Kommission in dieser Legislaturperiode und sollte dazu beitragen, den Konflikt um den Kohleausstieg zu befrieden,“ sagt Projektleiter David Löw Beer, der die Arbeit an der vorliegenden Analyse am IASS geleitet hat. „Aus der Sicht von heute ist das zum Teil gelungen. Mit unserer Untersuchung wollten wir überprüfen, wie diese Kommission in Anbetracht von Demokratie und Nachhaltigkeit zu bewerten ist.“

Für die nun in der Zeitschrift für Politikwissenschaft publizierte Studie haben die Wissenschaftler die Berichte der Kommission, Artikel verschiedener Medien und Stellungnahmen als auch Studien der beteiligten Organisationen ausgewertet. Daneben sind Interviews mit 14 der 28 Mitgliedern geführt worden.

In die Kommission wurden seinerzeit Stakeholder-Gruppen einbezogen wie etwa von den Umweltschutzverbänden, aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften, aber auch aus der Wissenschaft und den Regionen. 27 der 28 Mitglieder haben dem Kompromiss am Ende zugestimmt. „Die Bundesregierung sah dies als Beleg dafür, dass hier ein fairer Ausgleich der unterschiedlichen Interessen gefunden wurde“, sagt Wissenschaftler Löw Beer. Anhand von Interviews mit an den Verhandlungen Beteiligten stellte sich jedoch heraus, dass die abschließenden Verhandlungen vorwiegend in einer informellen Kleingruppe stattfanden.

Wie anerkannt war die Kohlekommission?

Das Besondere der vorliegenden Publikation ist, dass ein umfassendes Kriteriensystem entstand, um die Legitimität der Kohlekommission zu untersuchen und verallgemeinerbare Rückschlüsse auch auf andere Kommissionen zu ermöglichen. „Außerdem haben wir uns mit dem dritten Bereich von Legitimität beschäftigt, der sogenannten Throughput-Legitimität“, erläutert Löw Beer die Arbeit seines Teams. „Dabei geht es um die demokratische Qualität in der eigentlichen Arbeit der Kommission – also beispielsweise um die Frage: Konnten sich alle Mitglieder gleich einbringen? Wie war die Debattenqualität? Wie waren die einzelnen Mitglieder der Kommission ausgestattet? Dazu gibt es nur wenig empirische Forschung – und mit unserer Vorgehensweise haben wir neue Erkenntnisse erhalten.“

Empfehlungen für Kommissionen dieser Art in Zukunft

Die Arbeit der Kommission führte

  1. zum Kohleausstiegsgesetz und
  2. zum Strukturstärkungsgesetz, welches umfangreiche Finanzhilfen für die betroffenen Regionen regelt.

Die Bundesregierung verwies bei ihren Gesetzesinitiativen immer auf die Einigung der Kommission, selbst wenn sie bei der Umsetzung teilweise davon erheblich abwich, so die Autoren in ihren Schlussbemerkungen. Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten betrachtet war problematisch, dass eine öffentliche Übernahme politischer Verantwortung durch die Regierung nicht stattfand. Dies ist für die Autoren gleichsam eine Erklärung, weshalb die „Kohlepolitik“ der Bundes- und Landesregierungen weiterhin auf öffentliche Widerstände stoße.

Weitere kritische Punkte: Es sei für die Öffentlichkeit nur schwer nachvollziehbar gewesen, wie genau die Entscheidungen zustande kamen. Wurde ein Ausgleich gefunden für die unterschiedliche Ausstattung und Vorerfahrung der Mitglieder? Mitnichten. Die Gemeinwohlorientierung – und damit die vom Bundesverfassungsgericht kritisierte fehlende Zukunftsfähigkeit von Entscheidungen das Klima betreffend – sei wegen der hohen Kosten für den Staatshaushalt und der geringen klimapolitischen Ambitionen ebenfalls in zu geringem Maße gegeben.

Am Ende stellen die Wissenschaftler fest, dass es etwas paradox sei, dass erhebliche Finanzmittel für die Kohleregionen beschlossen wurden, der Kompromiss in den Regionen aber vergleichsweise wenig Zustimmung gefunden habe. Löw Beer mutmaßt, dass dies an einer mangelnden Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die Kommissionsarbeit und den Gesetzgebungsprozess liegen könnte.

Folgende Punkte empfehlen die Wissenschaftler für weitere Kommissionen:

  • Festlegung verbindlicher Kriterien für die Zusammensetzung und Ausstattung von Kommissionen sowie über die Transparenz ihrer Arbeit
  • ein Mandat, das alle betroffenen Interessen fair berücksichtigt
  • eine Ausweitung und Stärkung parlamentarischer Debatten und Entscheidungsfindungsprozesse. So weitreichende Entscheidungen wie ein Kohleausstieg sollten im Parlament getroffen und verhandelt werden
  • eine professionelle und inklusive Moderation
  • die Einrichtung begleitender Bürgerbeteiligungsverfahren

->Quellen: