EU-Parlament für „CO2-armen“ Wasserstoff

Trotz Grünen-Widerstands

Ein Bericht zur EU-Wasserstoffstrategie ist am 19.05.2021 vom Europäischen Parlament gebilligt worden. Darin wird „CO2-armer Wasserstoff“, der unter Nutzung von Erdgas hergestellt wird, als „Brückentechnologie“ befürwortet, schrieb Nikolaus J. Kurmayer auf euractiv.com. Die im Juli vergangenen Jahres vorgestellte EU-Wasserstoffstrategie will eigentlich Wasserstoff fördern, der vollständig auf Erneuerbarem Strom (etwa Wind- oder Solarenergie) basiert. In der Strategie wird aber auch sogenannter „CO2-armer Wasserstoff“ (auch „blauer Wasserstoff“ – siehe: solarify.eu/wasserstoff-farbenlehre) als Zwischenlösung angegeben, um die Produktion kurzfristig zu erhöhen. Der Industrieverband BDI sprach sich unterdessen gegen eine Fixierung auf grünen Wasserstoff aus, so die Frankfurter Rundschau.

Gaslager Berlin-Spandau – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Im nun gebilligten Report des EU-Parlaments – allerdings ein unverbindlicher Antrag ohne aktuell rechtliche Konsequenzen – wird die „Notwendigkeit“ anerkannt, den europäischen Markt so schnell wie möglich auszubauen, aber eben auch mittels „kohlenstoffarmen Wasserstoffs“ als „Brücke“. Der Antrag wurde mit 411 Ja- gegen 135 Nein-Stimmen bei 149 Enthaltungen angenommen. Dagegen waren die Grünen sowie die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID), während die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die linke GUE/NGL sich weitgehend enthielten.

Nach Ansicht des Parlaments schließt „CO2-arm“ blauen Wasserstoff (siehe: solarify.eu/gruener-wasserstoff-gut-fuers-klima-blauer-wasserstoff-nicht) aus Erdgas ein, bei dessen Produktion das entstehende CO2 abgeschieden und unterirdisch gelagert wird (CCS). Erneut wird die Atomenergie nicht explizit angesprochen. Die meisten Fachleute gehen aber davon aus, dass die Bezeichnung „CO2-arm“ auch sogenannten gelben Wasserstoff auf Kernenergie-Basis mit einschließt. Die Grünen – die sich gegen blauen Wasserstoff aus fossilem Gas aussprechen – brachten ihrerseits Änderungsanträge zum Bericht ein, die jedoch keine Mehrheit fanden.

Wasserstoffmarkt aufbauen

„Die Mehrheit des Europäischen Parlaments hat sich für einen innovativen europäischen Wasserstoffmarkt ausgesprochen,“ fasste der deutsche Europaabgeordnete Jens Geier, der den Bericht im Namen der sozialdemokratischen S&D-Fraktion geschrieben hatte, zusammen. „Dieser Bericht enthält kein einziges Wort, das ich dort nicht haben wollte,“ zeigte sich Geier bereits am 17.05.2021 bei einem Pressegespräch zufrieden.

Co-Berichterstatterin Angelika Niebler, deutsche Konservative: „Der Markthochlauf wird nur gelingen, wenn wir den Ausbau der erneuerbaren Wasserstofferzeugung mit den Potenzialen des kohlenstoffarmen Wasserstoffs ergänzen. Auch unsere Klimaziele werden wir nur mit dem sogenannten blauen Wasserstoff erreichen.“ Allerdings sollte Atomstrom nicht zur Erzeugung von kohlenstoffarmem Wasserstoff verwendet werden. Letztendlich sei dies aber keine Entscheidung, die auf EU-Ebene, sondern von den einzelnen Mitgliedstaaten getroffen werde.

Grüne Kritik

Der Bericht hat zwar keine Konsequenzen, sendet aber ein politisches Signal im Vorlauf eines des Pakets mit Energie- und Klimagesetzen, das die EU-Kommission am 14.07.2021 vorlegen will. Entsprechend verärgert reagierten denn auch Grüne MEPs sowie Umwelt- und Klimaschutzgruppen: „Als Grüne können wir Rufe nach finanzieller und regulatorischer Förderung für sogenannten ‚CO2-armen Wasserstoff‘ mit der Behauptung, er werde für eine Übergangszeit benötigt, einfach nicht unterstützen,“ betonte die EU-Parlamentarierin Henrike Hahn. Camille Maury vom WWF fügte hinzu: „Die Abgeordneten haben da etwas falsch verstanden. Sogenannter ‚CO2-armer‘ Wasserstoff als ‚Brückentechnologie‘ ist eine CO2-reiche Brücke ins Nirgendwo.“ Und Co-Berichterstatter Damien Carême, französischer Grüner, kritisierte: „Wasserstoff kann eine Energie der Zukunft sein, unter der einzigen einfachen Bedingung, dass er aus 100 Prozent erneuerbarer Energie hergestellt wird.“

Kritik an Millionenzahlungen der Gaslobby – schon Rechnungshofrüge im Oktober 2020

Gegenüber EURACTIV prangerte Carême zudem den ausufernden Lobbyismus an: „Ich bin empört, dass derartig verrückte Geldbeträge – 58,6 Millionen Euro nach einer konservativen Schätzung von Corporate Europe Observatory – von der Gaslobby ausgegeben wurden. Die 163 Treffen, die [die Lobbyisten] mit drei EU-Kommissaren, Mitgliedern ihrer Kabinette oder den entsprechenden Generaldirektionen hatten, haben die von der Kommission vorgestellte und vom Europäischen Parlament gebilligte Wasserstoffstrategie sehr stark geprägt“.

Schon im Oktober 2020 hatte der Europäische Rechnungshof die EU-Kommission gerügt: Sie habe mehrfach den Bedarf an Gas überschätzt. Der Ausbau der Erdgas-Infrastruktur gefährde die europäischen Klimaziele und verschwende Milliarden Euro an Steuergeldern, so eine ausführliche Recherche von Investigate Europe (publiziert in zahlreichen  Zeitungen, darunter der Berliner Tagesspiegel vom 04.10.2020, geschrieben von Nico Schmidt und Harald Schumann). Ursache sei die enge Verflechtung von Politik und Industrie. Nirgends würden so viele Flüssiggas-Terminals geplant wie in Deutschland, heißt es dort. Aber ob der angeblich rettende fossile Brennstoff wirklich zum Übergang in die Energiewende tauge, bezweifelten viele. Schmidt und Schumann belegen mit ihrer Recherche, dass Erdgas nicht nur klimaschädlich ist, sondern keineswegs die viel zitierte Dekarbonisierung einleitet.

Wörtlich: „Gas gegen Klimaschutz – der Streit wird europaweit geführt und erschüttert Regierungen und Parlamente. Während Kohlekraftwerke von Irland bis Griechenland nach und nach abgeschaltet werden, betreiben Energieunternehmen und Regierungen den massiven Ausbau der Erdgas-Infrastruktur. Dagegen warnen Ökonomen und Klimaforscher, die neuen Pipelines und Kraftwerke führten Europa in die Erdgasfalle. Wenn die Erwärmung auf unter zwei Grad begrenzt bleiben soll, wie im 2016 ratifizierten Pariser Abkommen versprochen, dann dürfen die Europäer überhaupt nur noch 70 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre abgeben. Das entspricht gerade mal den Emissionen von 16 Jahren mit dem bisherigen Verbrauch von Kohle, Öl und Gas, rechnen die Energieexperten des Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vor. Deshalb sei eine vollständige Dekarbonisierung notwendig, schlussfolgern sie. Gas sei ’nicht mehr Teil der Lösung, sondern ist Teil des Problems geworden‘. Claudia Kemfert, die Energiechefin des DIW, warnt: ‚Jede Investition in fossile Infrastruktur, dazu gehören Erdgas-Pipelines und Flüssiggasterminals, wird eine verlorene Investition sein.’“

In der Tat: Schon in seinem Monatsbericht 27/2018 erklärte das DIW (am 04.07.2018), die zweite Ostseepipeline sei überflüssig, denn Deutschland und Europa verfügten schon über ein gut ausgebautes Netzwerk von Pipelines und Lieferregionen, das weiter diversifiziert und darüber hinaus im Bedarfsfall durch Flüssiggaslieferungen ergänzt werden könne. Sowohl die deutsche als auch die europäische Erdgasversorgung seien damit krisenfest. Das zeigten DIW-Modellrechnungen (siehe: solarify.eu/2018/07/04/231-diw-zweite-ostseepipeline-ueberfluessig).

->Quellen: